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Sonntag, 8. März 2020

Gedanken zum Weltfrauentag...

von Thomas Heck...

Mich erstaunt immer noch, dass die größten und radikalsten Feministen zu Hause in der Nachttischschublade in der Regel auch die größten und dicksten Gummipimmel liegen haben, was schon allein deswegen erstaunlich ist, da das Geschlecht doch angeblich nur ein soziales Konstrukt ist...


Gedanken zum Weltfrauentag in der taz...

Ich stehe im dm und staune. In einem der Mittelgänge des Drogeriemarktes, hinten links in der Abteilung „Gesundheit“, liegen sie zum Verkauf, zwischen Kondomen, Gleitgel und Wundpflastern: Vibratoren in drei verschiedenen Formen, Farben und Preisklassen zwischen 25 und 70 Euro. Sexshop im Drugstore?!

Adieu, Diskretion und Anonymität des Onlinekaufs. Zugegebenermaßen fühle ich mich etwas unbehaglich und leider längst nicht so selbstbewusst, wie ich es von mir erwartet hätte. Ich muss an früher denken, als es sogar peinlich war, Klopapier oder Tampons aufs Kassenband zu legen – und muss unwillkürlich schmunzeln.

Mit verstohlenen Blicken nach links und rechts greife ich nach dem Modell in Türkis, u-förmig gebogen. Es verspricht „Spaß am Liebesleben – farbenfroh, natürlich und selbstbewusst“. Ein Sextoy, dass die selbstbestimmte Lust ins Zentrum stellt, liegt hier für alle sichtbar im Regal und thematisiert somit öffentlich den (weiblichen) Orgasmus. Bereits seit 2017 hat dm die Vibratoren im Angebot, was so wenige Wellen geschlagen hat, dass viele Kund*innen es bis heute nicht wissen.

Während sich Beate Uhse nach der Eröffnung ihres ersten Sexshops 1962 in Flensburg mehrfach vor Gericht verantworten musste, ist der Verkauf von Sextoys heute offenbar so normal, dass mir meine Scham peinlicher ist, als mit den Dingern im Laden zu stehen. Der zweite Vibrator, nach dem ich greife, ist pink, sieht ein bisschen aus wie ein kleiner Hockeyschläger und verspricht „bei jedem Solo eine Punktlandung“.

Ich besitze selbst seit Jahren einen und bestätige gern, (G-)Punktlandung hin oder her, er hat mein Sexleben revolutioniert. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Rabbit-Vibrator in dunklem Lila. Er besteht aus geschmeidigem Silikon, lässt sich vorheizen und verfügt über sage und schreibe zehn verschiedene Vibrationsprogramme.

Farbenfrohes Design

Wobei ich bei meiner Recherche feststellen muss, dass das nahezu lächerlich wenig ist: Die neuesten Teile warten sogar mit dreißig Vibrationsprogrammen auf. Und wie ich da so stehe und die farbenfrohen Designs betrachte, frage ich mich, wem ich das eigentlich zu verdanken habe. Wer hat wann und warum den Vibrator erfunden? War es Beate Uhse selbst? Oder doch die Porno-Industrie?

Ich beginne zu recherchieren. Die Geschichte, die ich dabei zutage befördere, ist so absurd, dass ich sie fast nicht glauben kann – aber wahr.

Der Vibrator wurde in den 1880er Jahren vom britischen Arzt Joseph Mortimer Granville als medizinisches Gerät erfunden. Zu dem Zeitpunkt hatte er rein gar nichts mit sexueller Befriedigung zu tun, sondern diente der Behandlung der sogenannten Hysterie.

Bis in die 1920er Jahre wurden Genitalmassagen zur Therapie der Hysterie verschrieben

Die Vorstellung von Hysterie als Krankheit reicht bis in die Antike zurück. Bereits Platon vertrat die Annahme, dass Hysterie ein schwerwiegendes, vornehmlich weibliches Leiden sei, von dem insbesondere unverheiratete, kinderlose Frauen heimgesucht wurden.

Zu den Symptomen zählten Schlaflosigkeit, Angstzustände, Nervosität, Völlegefühl, aber auch erotische Fantasien und vaginale Feuchtigkeit. Das Wort Hysterie leitet sich ab von hystera, altgriechisch für Gebärmutter. Der Uterus wurde als Quelle dieser „Krankheit“ angesehen, die dann ausbrach – so die Vorstellung –, wenn die Gebärmutter ihren Zweck nicht erfüllen konnte, der da lautete: den Samen eines Mannes empfangen und Kinder austragen. Bis ins 18. Jahrhundert gingen Wissenschaftler (und mit hoher Wahrscheinlichkeit waren es tatsächlich nur Wissenschaftler) davon aus, dass dies zu organischen Schäden an der Gebärmutter führte. Im Viktorianischen Zeitalter setzte sich dann die Annahme durch, dass die Ursache für Hysterie psychischer Natur sein musste, aber ebenfalls auf sexuelle Dysfunktionen der betreffenden Frauen zurückzuführen sei.

Genitalmassagen als Therapie

Sexuelle Dysfunktion meint in dem Fall, dass eine Frau durch Koitus und Penetration durch den Penis eines Mannes keine Befriedigung erfuhr. Es wurde nicht in Erwägung gezogen, dass Penetration allein womöglich der falsche Weg sein könnte, um Frauen sexuell zu befriedigen. Stattdessen wurden Frauen als frigide, unreif und krank erklärt. Nicht wenige von ihnen begaben sich aufgrund dessen in therapeutische Behandlung. Bis in die 1920er Jahre wurden Genitalmassagen zur Therapie der Hysterie verschrieben. Eine „erfolgreiche Behandlung“ mündete in eruptiven Unterleibskrämpfen und Muskelspasmen der „leidenden Frau“.

Sobald sich die „Patientin“ vom Kontrollverlust erholt hatte, ließ sich eine unmittelbare Verbesserung ihres Gemütszustands feststellen – die Frauen fühlten sich ausgeglichener, ruhiger und zugleich euphorisch. Wie wir heute glücklicherweise wissen, handelt es sich hierbei schlicht um die nüchterne Beschreibung eines weiblichen Orgasmus, der rein gar nichts Pathologisches an sich hat.

Dieses Beispiel zeigt, welche Auswüchse das zwanghafte Festhalten an klassischen Geschlechterrollen hatte und haben kann. So wurde insbesondere bei solchen Frauen Hysterie diagnostiziert, die nicht den normierten, gesellschaftlichen Konventionen entsprachen, sei es, weil sie unverheiratet blieben, weil sie aufmüpfiges Verhalten an den Tag legten oder sexuell selbstbestimmt leben wollten.

Es ist also kein Zufall, dass Ende des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Frauen begannen sich aufzulehnen und gegen ihre untergeordnete Rolle zu rebellieren, fast drei Viertel der weiblichen Bevölkerung als „hysterisch“ galt.

Fast schon eine Pandemie

Es war die Rede von einer regelrechten Pandemie. Die Genitalmassage wurde von damaligen Ärzten nicht etwa als erotische, sexuell stimulierende Erfahrung erlebt, sondern als komplizierte, lästige und langwierige Aufgabe. Eine Sitzung konnte mehrerer Stunden dauern!

Abhilfe schaffte schließlich das elektromechanische Gerät des besagten Joseph Mortimer Granville, das mittels Vibrationen die beschriebenen „Krämpfe“ in wenigen Minuten auszulösen vermochte. Aus heutiger Sicht mag das absurd klingen, und man will vielleicht schmunzelnd den Kopf schütteln. Das Ganze war jedoch alles andere als lachhaft: In „besonders schweren Fällen der Hysterie“ wurde Frauen die Klitoris oder sogar die Gebärmutter vollständig entfernt, was nichts anderes ist als medizinisch verordnete Genital­ver­stümmelung.

Ob organisch oder psychisch begründet, Hysterie als vornehmlich weibliche Krankheit gilt als die älteste psychische Störung, die hartnäckig über Jahrtausende im medizinischen Diskurs kursierte: Erst 1980 wurde Hysterie aus dem Diagnosehandbuch für Psychische Störungen (DSM), dem internationalen Standardwerk zur Klassifikation psychischer Erkrankungen, gestrichen.

Gedankenverloren streiche ich über die weiche Oberfläche meines lila Vibrators, der tatsächlich mehr ist als das aktuell beliebteste Sexspielzeug in Deutschland. Er ist ein kulturhistorisches Artefakt





Freitag, 14. Februar 2020

Universitäres Scheißen für Fortgeschrittene...

von Thomas Heck...

Früher brauchte man für den täglichen Toilettengang keine universitäre Ausbildung. Doch in Zeiten, wo fürs Klima gehüpft wird, geraten die Horizonte ganz schnell durcheinander. In Hamburg muss schon mal Gender-Wissenschaften auf Bachelor studieren, um auch nur erahnen zu können, auf welches Scheißhaus man zu gehen hat.



Die TU Hamburg hat ab sofort nicht mehr nur Männer- und Frauenklos, sondern auch Toiletten für alle, „die sich ungern den gesellschaftlich gegeben Geschlechterrollen unterordnen möchten“. Auf Initiative des Allgemeinen Studierendenausschusses werden dazu bestehende Klo-Anlagen umbenannt.


Um die Diskriminierung, die der Studierendenausschuss ausgemacht hat, zu beheben, werden nun die Klos an drei Standorten auf dem Campus der Hochschule in Harburg, jeweils mit Männer- und Frauen WCs, umbenannt: Die ehemaligen Männer-Toiletten mit Sitzklos und Pissoirs sind jetzt „All-Gender-Toiletten“, die allen offen stehen (auch Frauen).

Aus den Damentoiletten, die nur Sitzklos anbieten, werden „Frauen Inter Nichtbinär Trans*“-Toiletten. Wer sich dort alles erleichtern darf, wird in einem Schreiben neben der Tür erläutert. Kurzfassung: Ausgeschlossen sind nur Männer, die sich immer und überall als Männer fühlen, egal ob homo- oder heterosexuell – aber denen bleibt ja auch ein herkömmliches Damen WC versperrt.

Präsidium und Gebäude Management der TU unterstützen die Umwidmung der sechs Klo-Anlagen durch neue Schilder. „Die Umwandlung zeigt, dass die TUHH eine weltoffene und tolerante Universität ist, die die Diversität ihrer Mitglieder schätzt und ernst nimmt“, lobt Professorin Kerstin Kuchta, Vizepräsidentin für Lehre.

„Es betrifft eine Minderheit“, räumt der Studierendenausschuss ein, aber: „Die Vertretung von Minderheiten ist wichtig, weil wir diese schützen müssen. Wenn wir mit einer veränderten Toilettensituation auch nur einem Menschen helfen können, dann ist das Ziel erreicht.“ Die WCs sollen auch als „Schutzraum“ für Betroffene dienen, vor Übergriffen, die hauptsächlich von Männern ausgehen, die sich als Männer fühlen (Gender-Fachbegriff: „Cis-Männer“).

Hamburg ist nicht die erste Uni mit All-Gender-Klos: In Köln, Bielefeld oder Bremen sind schon geschlechtsneutrale stille Örtchen an den Unis eingerichtet, auch in Kalifornien und in Skandinavien sind die WCs für alle längst Normalität.

Bevor der Eindruck entsteht, die Mehrheit der Studis müsste jetzt immer anhalten, während eine Minderheit an jeder Ecke ein Klo findet: Neben den drei umgewidmeten Standorten gibt es 19 Anlagen auf dem Campus, die herkömmliche Männer- und Frauentoiletten bleiben. 






Sonntag, 26. Januar 2020

Von Kondome bis Pille... Frodo hat schon alles genommen...

von Thomas Heck...

Du weisst, Du bist im Deutschland des Jahres 2020, wenn Du über Frodo liest, der mit 23 über eine Vasektomie nachdenkt. Frodo ist feministisch und will Verhütung nicht nur den Frauen überlassen. An sich löblich. Verhütungsmittel seien unzuverlässig. Kondome, Hormonpflaster für Mann und Frau, die Pille: er hat sie alle ausprobiert. Manche saufen sogar Putzmittel. Jetzt soll es die Vasektomie richten. Schnipp Schnapp und Frodo ist aus dem Thema Fortpflanzung raus. Gut für den Planeten, so denkt er. Bei so einem Vollidioten denkt der Leser höchstens, gut, dass der sich dann nicht mehr fortpflanzen kann. Bleibt zu hoffen, dass Frodo weiss, auf welches öffentliche Klo er gehen muss, als Feminist. Seien Sie deshalb nicht wie Frodo. Und lesen Sie besser nicht ze.tt...






Warum Frodo mit 23 über eine Vasektomie nachdenkt

Mit 23 Jahren weiß Frodo bereits, dass er keine Kinder bekommen möchte. Er überlegt, sich sterilisieren zu lassen. Das empfindet er als feministische Pflicht.

Frodo hat nicht nur einen ungewöhnlichen Namen, sondern ihn beschäftigt auch ein für sein Alter eher untypisches Thema: die eigene Sterilisation, bei Männern Vasektomie genannt, als Verhütungsmaßnahme.

Der 23-Jährige hat seit vergangenem Sommer seinen Chemie-Bachelor in der Tasche, steuert auf den Master zu und ist kinderlos. So soll es auch bleiben – das ist zumindest momentan sein Plan. Doch warum gleich eine Vasektomie, wo es doch weniger radikale Verhütungsmethoden gibt?

Frodo findet: Kondome sind unzuverlässig, bei falscher Anwendung fehleranfällig oder würden, und das ist für ihn am meisten ausschlaggebend, mitunter gar nicht erst benutzt. Frodo kennt inzwischen so ziemlich alle anderen Verhütungsmittel für Frau und Mann. Von der Pille über Hormonpflaster bis hin zum Kondom für die Frau und Pille für den Mann. Sogar von einer sehr speziellen Methode hat er gelesen, Frodo nennt sie „Eier kochen“, eine Art thermische Verhütung, bei der die Hoden aufgeheizt werden. Frodo ist von keiner der Maßnahmen überzeugt.

Die Sache selbst in die Hand nehmen

Seit ungefähr einem Jahr beschäftigt er sich mit Alternativen zu herkömmlichen Methoden, eine Schwangerschaft zu verhindern. Sein Fazit: „Es stellt mich persönlich nicht zufrieden, dass sichere Verhütungsmethoden immer nur eine Sache der Frau“ – hier verbessert sich der 23-Jährige – „immer nur eine Sache von Menschen ohne Penis sind.“

Diese Sensibilität für Geschlechter kommt bei Frodo nicht von ungefähr: Seit rund sieben Jahren ist er politisch interessiert. Mit 21 übernahm er eine leitende Position bei der Grünen Jugend in Dortmund, seit vergangenem Jahr geht er mit Fridays for Future auf die Straße. Für ihn dabei ein sehr wichtiges Thema Feminismus – und der liefert aus seiner Sicht einen guten Grund dafür, von Arten der Verhütung abzuweichen, die, in seinen Worten, die Frau belasten.

Wie funktioniert eine Vasektomie?

Eine Vasektomie ist normalerweise eine ambulante Operation, bei der der Patient eine örtliche Betäubung erhält. In bestimmten Fällen wird auch eine Vollnarkose angeboten. Bei dem Eingriff werden über den Samenleitern an beiden Hodensäcken zwei kurze Schnitte gemacht. Dann werden die Samenleiter freigelegt, ein Teilstück davon auf jeder Seite entfernt und die Enden der Samenleiter werden jeweils verschlossen. Die Haut wird wieder zugenäht und die Samenleiter an eine*n Patholog*in geschickt, um auszuschließen, dass es bei der OP zu Verwechslungen (zum Beispiel mit einer bindegewebsveränderten Vene) gekommen ist.

Als die Pille 1961 in Deutschland auf den Markt kam, galt sie für viele als Zeichen der Emanzipation. Für Frodo ist eben deren Ablehnung feministisch. Da mögen ihm viele Frauen heutzutage zustimmen, ist die Pille doch aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkungen inzwischen heftig umstritten. Doch wenn sich ein Mann deshalb sterilisieren lässt, ist das dann noch Feminismus?

„Es wäre es in meiner Vorstellung dann unfeministisch, wenn ich als Mann was entschieden habe, was beide entscheiden sollten“, gibt Frodo zu. Genauso pocht er aber auch auf seine eigene Selbstbestimmung und fügt hinzu: „Wenn man mich haben will, dann eben mit dieser Entscheidung“ – gemeint ist, sollte er sich tatsächlich sterilisieren lassen.

Durch die Grüne Jugend hat Frodo sich auch eingehend mit der Klimakrise befasst. Und die lässt ihn umso mehr an seinen Überlegungen festhalten: „Wenn sich jetzt nichts in der Klimapolitik ändert, bricht die menschliche Zivilisation zusammen, das sagt die Wissenschaft“, so Frodo. „Da denke ich ungern an Kinder.“

Verhütung war immer Frauensache

Mary, Frodos Freundin, ist von dessen Idee zur Vasektomie nicht wirklich begeistert, auch wenn sie sich mit dem Thema noch nicht so genau befasst hat. In ihrem Umfeld sei Verhütung immer „Frauensache“ gewesen. Dafür hat sie sich aber über viele alternative Wege informiert, wie sie als Frau eine Schwangerschaft verhindern kann. Nach einem Jahr Pille ist sie inzwischen auf den Verhütungsring umgestiegen.

Frodos Überlegungen führten innerhalb der Beziehung nicht zu Streit, das Thema sei aber dennoch schwierig. Mary gibt zu: „Der Hintergrund ist natürlich erstmal gut.“ Trotzdem sagt sie auch: „Wir sind beide noch relativ jung und unsere Meinung kann sich schnell mal wieder ändern.“ Mary hat momentan keine eindeutige Haltung zum Thema Kinder: „Ehrlich gesagt habe ich noch nicht so ganz viel darüber nachgedacht, ob ich wirklich einmal Kinder haben möchte“, sagt sie. „Ich könnte es mir nur nicht vorstellen, mal keine zu haben.“

Auch Mary ist bei der Grünen Jugend und FFF aktiv. Sie hat eine zwiespältige Meinung zum Verhältnis von Feminismus und Vasektomie: „Damit würde die Frau nicht mehr so unter Druck gesetzt werden, etwas zu tun, was sie vielleicht nicht will“, findet sie. „Auf der anderen Seite verliert die Frau die Möglichkeit zur Entscheidung beim Kinderwunsch.“
Infografik: So verhüten die Deutschen | Statista

Abgesehen von Zeit- und Kostenaufwand sei der Erfolg einer Refertilisierung „fraglich“, so steht es auf dem Informationsblatt, das Ingerfeld seinen Patienten zur Aufklärung über eine mögliche Vasektomie aushändigt. Dazu erklärt Dr. Ingerfeld: „Erfolg bedeutet, Nachweis von Spermien im Ejakulat.“ Das schließe aber nicht mit ein, dass der Patient tatsächlich wieder zeugungsfähig sei. „Hier spielen weitere Faktoren eine Rolle“. So zum Beispiel Alter oder Vorerkrankungen beider Geschlechtspartner*innen. Für Frodo ist das zu unsicher. Die Möglichkeit einer Refertilisierung kalkuliert er nicht in seine Überlegungen zur Vasektomie mit ein.

Was passiert nach einer Vasektomie beim Orgasmus?

Nach der Vasektomie produziert der Mann deutlich weniger Sperma, „eine Art Schlafmodus“, nennt es Ingerfeld. Das wenige Sperma wird mit der Zeit in den Kanälen der Nebenhoden abgebaut. Im Ejakulat sind keine Spermien, was aber eigentlich nicht auffällt. Aus dem Penis kann aber selbst nach der Vasektomie noch Ejakulat austreten, weil im unoperierten Zustand das Prostatasekret und das Sperma erst in der Prostataregion zusammenkämen und dann aus dem Samenhügel weiter herausgeschleudert werden. Als ungesund stuft die Wissenschaft das Verfahren nicht ein.

Die Pille für den Mann noch keine Alternative

Normalerweise seien Dr. Ingerfelds Patienten, die sich sterilisieren lassen, zwischen 30 und 50 Jahre alt – und hätten dann schon zwei bis drei Kinder. Frodos Gedanken in seinem Alter seien „ungewöhnlich“ und führten auch nicht oft zu einer Operation, sagt Dr. Ingerfeld. Auch er führe aufgrund seiner Erfahrung in mit Frodo vergleichbaren Fällen keine Vasektomie durch – also bei gesunden, potenten und sehr jungen Männern.

Und doch sagt Ingerfeld auch: „Bei allein auf die Männer bezogenen Verhütungsmethoden ist die Auswahl ausgesprochen abgespeckt.“ Alternativen wie den Coitus interruptus oder spezielle Medikamente gegen den Samenerguss hält er für wenig zuverlässig. „Auch die Beobachtung, dass eine Überwärmung des Hodens zu einer Zeugungsunfähigkeit führen kann, bietet keinerlei Verlässlichkeit“, sagt er. Aus seiner Sicht könnte die Pille für den Mann zwar „Marktreife erlangen“, denn die Wirksamkeit sei vorhanden. Aber laut Umfragen gäbe es momentan nicht ausreichend Absatz dafür, so der Facharzt. An Frodo liegt das sicher nicht: „Am sinnvollsten wäre es, wenn die Pille für den Mann weiter entwickelt wird, damit Ausgeglichenheit herrscht“, sagt der 23-Jährige.



Montag, 30. Dezember 2019

Die Vagina hat noch einen langen Weg vor sich...

Als Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl sich kennenlernten, hatten sie gerade das Medizinstudium in Oslo begonnen, engagierten sich nebenher in einer Organisation, die über sexuelle Gesundheit aufklärt und fanden: Die Medizin interessiert sich ganz schön wenig für die weibliche Sexualität. Was es an Informationen gab, war schwer aufzutreiben und es kursierten Mythen um vaginale Orgasmen und Jungfernhäutchen. 

Also recherchierten die Studentinnen selbst, lasen Studien und befragten Expertinnen und Experten, starteten ein Blog und wunderten sich selbst über dessen Erfolg. Dann schrieben sie auch noch ein Buch: "Gleden med Skjeden" wurde in Norwegen ein Bestseller und ist inzwischen in 30 Ländern erschienen. Auf Deutsch heißt es "Viva la Vagina".


ZEIT Campus ONLINE: Ihr habt ein Aufklärungsbuch über die Vagina und weibliche Lust geschrieben. Das ist noch immer ein Tabuthema. Warum?

Nina Brochman: Weil die meisten Kulturen versuchen, die weibliche Sexualität zu kontrollieren. Das wird häufig damit erklärt, dass früher über diese Kontrolle versucht wurde sicherzustellen, dass Frauen nur mit einem Mann Kinder haben: Weil Männer sich evolutionär gesehen nie sicher sein konnten, ob sie wirklich der Vater eines bestimmten Kindes sind und weil es aufwendig ist, ein Menschenbaby großzuziehen, war es schon für Steinzeitmänner wichtig, sicherzustellen, dass nur sie das Kind gezeugt haben können. Deshalb versuchten sie, die weibliche Sexualität zu kontrollieren.

ZEIT Campus ONLINE: Und diese Kontrolle dauert bis heute an?

Ellen Støkken: Ja, ein Beispiel ist der Mythos vom Jungfernhäutchen. Er hält sich hartnäckig in der Popkultur: Es heißt, eine Frau verliere ihre Jungfräulichkeit, als gäbe es da etwas, das verschwindet. Frauen werden im schlimmsten Fall ermordet, weil sie in der Hochzeitsnacht nicht bluten. Aber das Hymen ist kein Keuschheitssiegel in der Scheide, das beim ersten Sex durchstoßen wird. Es ist eine ringförmige und dehnbare Schleimhautfalte in der Scheide. Bei manchen Frauen hat es die Form eines Halbmondes, bei anderen ähnelt es eher einem Donut mit einem Loch in der Mitte. Darum muss es nicht reißen, darum bluten nicht alle Frauen und darum kann auch niemand am Hymen ablesen, ob jemand Jungfrau ist oder nicht. Die Medizin weiß das schon lange.

Nina: Solche Medizinischen Mythen werden so als Werkzeuge gegen Frauen verwendet. Jungfräulichkeitstests sind Bullshit und das sollten alle wissen.

ZEIT Campus ONLINE: Es gibt schon viele Aufklärungsbücher, trotzdem habt ihr noch eins geschrieben. Was wissen wir noch nicht über Frauenkörper? 

Nina: Beispielsweise, dass auch Frauen Erektionen bekommen. Mehrmals in einer Nacht und auch tagsüber. In der Schule lernen alle, dass ein Penis Schwellkörper besitzt, durch die er steif wird. Aber über die Klitoris lernen wir nichts. Beispielsweise, dass sie ein großes Organ mit Schenkel und eben auch mit Schwellkörpern ist. Es ist doch toll zu erfahren, dass die Anatomie von Frauen und Männer so ähnlich ist. Immer wird nur die Scheide als weibliches Sexualorgan gesehen, weil man da einen Penis reinstecken kann, damit eine Frau schwanger wird. Dabei sorgt die extrem empfindsame Klitoris für den ganzen Spaß.

ZEIT Campus ONLINE: Ihr beschreibt darum in eurem Buch auch gleich eine Stellung, die besonders die Klitoris stimuliert. Warum?

Ellen: Viele Frauen machen sich Sorgen, weil sie keinen vaginalen Orgasmus bekommen. Aber der vaginale Orgasmus ist nur eine komische Idee, die Freud mal hatte. Ein Orgasmus ist ein Orgasmus, egal durch welche Stimulation er zustande kommt. Die Klitoris umschließt die Vagina, darum ist es bescheuert, zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus zu unterscheiden. Die wenigsten Frauen kommen allein durch vaginale Stimulation. Wir wollen, dass Frauen und Männer die gleichen Chancen auf einen Orgasmus haben. 

Nina: Darum die CAT-Position: statt dem klassischen Rein und Raus reibt der Penis an der Klitoris. CAT steht für coital alignment technique: Der Mann liegt eng auf der Frau, sie hält die Beine zusammen. Es gibt gute Videos, die die Stellung bei YouTube erklären. Er erlebt die Freude, seinen Penis in die Scheide zu schieben und sie wird klitoral wie vaginal stimuliert. So können viele Frauen zum Orgasmus kommen. 

ZEIT Campus ONLINE: Frauenmagazine geben ihren Leserinnen lieber Tipps für den perfekten Blowjob oder besprechen ausgefallene Kamasutrastellungen.

Nina: All diese akrobatischen Stellungen verhelfen Frauen nicht zum Orgasmus, wenn sie nicht zu den Glücklichen gehören, die leicht kommen. 

ZEIT Campus ONLINE: Was hilft denn dann?

Ellen: Masturbieren. Aber Frauen, die sich selbst befriedigen, sind ein riesiges Tabu. Mädchen wird eingeredet, dass es sich nicht gehört. Wir haben beide neben dem Studium Sexualkunde an Schulen gelehrt und regelmäßig lautete die Hausaufgabe, insbesondere für die Mädchen: zu Hause masturbieren. Dabei finden sie heraus, welche Stimulation sie zum Orgasmus bringt, und Teenager, die masturbieren, haben oft ein positiveres Körperempfinden. Das schafft Selbstbewusstsein! 

ZEIT Campus ONLINE: Für Frauen hat sichere Verhütung vieles leichter gemacht. In den vergangenen Jahren sind jedoch in Deutschland viele Frauen immer skeptischer mit der Pille geworden. Wie seht ihr das?

Ellen: In Norwegen gibt es dieselbe Entwicklung. Es gibt diesen komischen Trend, dass alles, was im Garten wächst, als gesund angesehen wird. Und alles andere ist schlecht, vor allem, wenn es von einem Pharmaunternehmen kommt. Aber: Hormone wie in der Pille sind auch etwas Natürliches. In unserem Körper finden die ganze Zeit hormonelle Reaktionen statt. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Pille oder andere hormonelle Verhütungsmittel perfekt sind und dass sie keine Nebenwirkungen haben. Aber sie sind extrem sicher. 

ZEIT Campus ONLINE: Ist diese Skepsis denn ein Problem?

Ellen: Ja. Denn viele junge Frauen hören auf, sichere Verhütung zu nutzen und setzen dann beispielsweise auf Apps zum Zyklustracking. Klar, die haben keine Nebenwirkungen – aber sie sind keine sichere Empfängnisverhütung. Das Hormonstäbchen gilt mit der Kupferspirale als sicherste Verhütung. Von 10.000 Frauen, die es ein Jahr lang verwenden, werden 5 schwanger. Wenn 10.000 Frauen mit Temperaturmessungen arbeiten, werden 750 bis 2.500 schwanger. In einem Jahr! 

ZEIT Campus ONLINE: Ihr schreibt, ihr hättet Viva la Vagina auch geschrieben, weil ihr das Gefühl hattet, im Medizinstudium nicht genug übers weibliche Geschlechtsorgan zu lernen. In Deutschland hatte Giulia Enders, die als Studentin Darm mit Charme geschrieben hat, großen Erfolg. Sie schrieb über Kacke. Glaubt ihr, die Vagina ist schwieriger anzupreisen als Kacke? 

Ellen: Irgendwie schon. Mit Kacke kann jeder etwas anfangen, weil jeder das Gefühl kennt, kacken zu müssen. Aber nicht jeder hat eine Vagina und sowohl Menschen mit Vagina als auch die ohne haben große Probleme, die weibliche Sexualität zu besprechen. Kacken ist zwar auch ein Tabuthema – aber da kann wenigstens theoretisch jeder mitreden.

Nina: Kacke ist auch nicht so politisch und Ernährung ein riesiges Thema, das total angesagt ist. Der Darm ist schon was und dazu hat Giulia beigetragen. Die Vagina aber hat noch einen langen Weg vor sich. Zum Beispiel müssen wir die gesellschaftliche Akzeptanz und das Wissen darum erhöhen, wie schlimm Periodenschmerzen werden können.

ZEIT Campus ONLINE: In Italien gab es vergangenes Jahr Diskussionen um bezahlten Urlaub für Frauen mit heftigen Menstruationsbeschwerden. Braucht es so was wirklich?

Ellen: Ja. Für Frauen mit Dysmenorrhö, so nennt sich die Diagnose, wäre es toll, wen sie während der schlimmsten Tage nicht arbeiten müssen. Der Schmerz bei Menstruationsschmerzen entsteht durch Druck im Uterus. Dieser Druck kann stärker sein als bei Wehen. 

Nina: Wäre das ein Männerproblem – die Leute nähmen es viel ernster. Die alltäglichen Bürden von Frauen werden weder von der Gesellschaft noch von der Medizin wahrgenommen. In der Schule wird nicht darüber gesprochen. Ein Grund für extreme Regelbeschwerden ist beispielsweise Endometriose, davon haben die meisten Frauen und Männer noch nie gehört. Obwohl eine von zehn Frauen unter der Krankheit leidet.

ZEIT Campus ONLINE: Ihr erklärt Frauen, wie ihr Körper funktioniert und gebt ihnen Hilfestellung, wie sie Lust empfinden können. Habt ihr ein feministisches Buch geschrieben?

Nina: Nein, wir haben ein medizinisches Sachbuch geschrieben. Wir wollten mit Mythen aufräumen, dabei rein wissenschaftlich und so neutral wie möglich informieren. Uns ist wichtig, niemanden aufgrund politischer Haltungen abzuschrecken. Glaubte jemand, wir seien männerhassende Feministinnen, vertraute sie oder er uns nicht und läse das Buch nicht. Gerade Frauen, die keine gute sexuelle Aufklärung bekommen haben, bringt das Wissen viel mehr als der liberalen feministischen mittleren Oberklasse, die schon gut informiert ist.

Ellen: Aber Wissen über ihren Körper zu erlangen, ist ein wichtiger Selbstermächtigungsprozess für Frauen. Weibliche Gesundheit ist ein heiß diskutiertes Thema, nehmen wir Abtreibungen, Verhütung oder Schwangerschaftsvorsorge. Die medizinischen Grundlagen zu kennen, ermöglicht einer Frau, die richtigen Entscheidungen für sich zu treffen.

ZEIT Campus ONLINE: Wie gut müssen denn Männer über die weibliche Anatomie Bescheid wissen? 

Nina: Um gute Partner, Väter und Freunde zu sein, sollten sie wissen, was Frauen durchmachen. Sie sollten wissen, dass viele Frauen unter Schmerzen leiden, wenn sie ihre Tage haben, dass sie müde sind oder Durchfall bekommen – jeden Monat. 


Ellen: Das hat auch mit Empathie zu tun: Um sich in die Menschen, die man liebt, hineinzuversetzen, muss man verstehen, was in ihnen so los ist. 

Nina: Wir sprechen schließlich von der Hälfte der Bevölkerung. Uns schreiben auch tatsächlich viele Männer. Der älteste, der sich bei uns gemeldet hat, war ein 70 Jahre alter Busfahrer. Er hatte ein paar Nachfragen zu unserem Buch und wollte uns widersprechen.

ZEIT Campus ONLINE: Womit war er nicht einverstanden? 

Ellen: Wir schreiben an einer Stelle, dass der männliche Nippel keine Funktion hat. Davon war er etwas angefasst, weil er fand, wir sprechen seinen Brustwarzen die Existenzberechtigung ab. Darum wolle der Mann uns wissen lassen, dass auch viele Männer es mögen, wenn man ihre Nippel liebkost. Da stimmen wir ihm zu – uns ging es jedoch darum, dass Männer mit ihren Brustwarzen keine Kinder säugen können.



Mittwoch, 10. Juli 2019

Wenn Kinder vergewaltigen... und der Rechtsstaat machtlos ist...

von Thomas Heck...

Wenn Jugendliche oder Kinder ausländischer Familien vergewaltigen, können sie sich dennoch sicher sein, auch weiterhin in den Genuss des deutschen Wohlfahrtsstaates zu kommen. Eine Zusammenarbeit mit dem Staat ist da nicht notwendig. Wozu auch. Bulgarische Vergwaltiger können sich weiter sicher fühlen. Und so könnte sich dieser Dialog zwischen Eltern und Jugendamt abgespielt haben, überliefert ist das aber nicht: 

Der Kontakt mit den Familien sei am Montag über die jeweilige Gegensprechanlage an den Haustüren erfolgt..., ich fasse es nicht. Nach einer Vergewaltigung. Wird vermutlich so abgelaufen sein: Palim, Palim..."ja"..." "Hallo hier ist das Jugendamt, wir wollten mit ihnen über ihren Sohn sprechen"... "Mein Sohn?, hau ab du Hurensohn"......"aber" ..."nix aber, ich figge deine Mudda"... "aber ihr Sohn soll doch eine Frau vergewaltigt haben"... "mein Sohn hat das nicht notwendig und nun verschwindest du Fotze"... "gleich kommen meine Mann und meine andere 14 Söhne von Wettbüro, dann kriegst du auf Fresse"..."verpiss dich du rassistisch Sau"......."ja gut einen schönen Tag noch und Entschuldigung"... Familien von 12-jährigen Vergewaltiger lehnen Hilfen des Jugendamtes ab, so wird es in Medien berichtet werden. Und eine Heerschar von Sozialpsychologen und Sozialarbeitern wird fachliche Gründe dafür finden, es dabei bewenden zu lassen. Deutschland im Jahre 2019...


Drei 14-Jährige und zwei 12-Jährige sollen in Mülheim eine junge Frau vergewaltigt haben. Nun versuchte das Jugendamt, den Familien zu helfen – bislang erfolglos. Denn die Eltern sind nicht zur Kooperation verpflichtet. 

Im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigung einer Frau in Mülheim haben die Familien der beiden zwölfjährigen Tatverdächtigen Hilfsangebote nicht angenommen. Dies teilte ein Stadtsprecher am Dienstag mit. Der Kontakt mit den Familien sei am Montag über die jeweilige Gegensprechanlage an den Haustüren erfolgt. Mitarbeiter des Jugendamts hätten den Familien dabei Hilfestellungen angeboten. Diese hätten sie jedoch abgelehnt.

„Es obliegt der Verantwortung der Eltern, das anzunehmen“, sagte der Sprecher. Über die Besuche der Mitarbeiter bei den Familien der Tatverdächtigen hatte zuvor die „Bild“-Zeitung berichtet.

Drei 14-Jährige und zwei Zwölfjährige stehen im Verdacht, am Freitagabend in Mülheim eine junge Frau in einem Waldstück vergewaltigt zu haben. Die beiden Zwölfjährigen sind strafunmündig. Einer der 14-Jährigen sitzt wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft. Er soll in der Vergangenheit in noch strafunmündigem Alter wegen zwei sexuellen Belästigungen aufgefallen sein, hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Alle fünf Tatverdächtigen sind Türkisch sprechende Bulgaren. Die Bezirksregierung Düsseldorf erklärte, dass die Verdächtigen bis zu den Sommerferien ihre Schulen in Mülheim nicht mehr besuchen werden.

Keine Gefährdung des Kindeswohls

Eine Gefährdung des Kindeswohls liege in den beiden Familien offensichtlich nicht vor, sagte der Sprecher weiter. Dies habe die Polizei geprüft, als sie die beiden Zwölfjährigen nach der Tat zu ihren Familien gebracht habe. Eine sogenannte Inobhutnahme der Kinder ist nach früheren Angaben der Stadt nur möglich, wenn die Eltern mit der Situation überfordert sind.

Zu den Familien der drei 14 Jahre alten Tatverdächtigen sei kein Kontakt aufgenommen worden. Dort seien zunächst die Strafermittlungsbehörden am Zuge, sagte der Stadtsprecher weiter. „Dort kommt es darauf an, wie die Staatsanwaltschaft diesen Fall weiter beurteilt.“ Das Jugendamt sei aber immer offen für Beratungsgespräche.

Die Polizei will noch weitere Zeugen vernehmen und DNA-Spuren auswerten. Eine eigene Ermittlungskommission soll nicht gebildet werden. Der Fall wird von einem Kommissariat bearbeitet, das sich nur mit Sexualstraftaten befasst.

Angesichts des jungen Alters der Tatverdächtigen hatte unter anderem der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gefordert, das Alter für die Strafmündigkeit in Deutschland auf zwölf Jahre herabzusetzen.

Der Deutsche Richterbund wies das Ansinnen zurück. „Die Gleichung mehr Strafrecht gleich weniger Kriminalität geht bei den Jugendlichen nicht auf“, teilte der Vorsitzende Jens Gnisa mit. Das Jugendstrafrecht habe sich im Grundsatz bewährt. „Es hat durch den darin niedergelegten Erziehungsauftrag zu einem deutlichen Rückgang der Jugendkriminalität geführt“, so Gnisa. Man sehe daher auch keine Notwendigkeit, das Alter für Strafmündigkeit auf zwölf Jahre herabzusetzen.



Samstag, 6. Juli 2019

Gruppenvergewaltigung durch Deutsche... aber was für Deutsche?

von Thomas Heck...

Weil sie eine 18-Jährige vergewaltigt beziehungsweise Beihilfe geleistet und die Tat verschleiert haben sollen, wurden vier Deutsche Urlauber auf Mallorca festgenommen. Nun werden sie einem Haftrichter vorgeführt, schreibt die WELT und verschweigt dabei lauthals die Herkunft der Täter.

Vier Urlauber aus Deutschland werden auf Mallorca der Gruppenvergewaltigung beziehungsweise der Verschleierung und Beihilfe beschuldigt. Die Männer wurden am Donnerstagmorgen auf dem Flughafen von Palma de Mallorca festgenommen, bevor sie für den Rückflug nach Deutschland einchecken konnten. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigte die Polizeieinheit Guardia Civil entsprechende Medienberichte. Die Festgenommenen seien von einer 18 Jahre alten Deutschen angezeigt worden, hieß es.

Am Freitag bestätigte eine Polizeisprecherin der spanischen Ferieninsel der dpa, die Verdächtigen werden einem Haftrichter vorgeführt. Der Termin für die Anhörung stehe aber noch nicht fest.

Das mutmaßliche Opfer, eine junge Frau habe ausgesagt, sie sei am Mittwochabend auf einem Zimmer im Hotel der Gruppe im Badeort Cala Rajada im Nordosten der spanischen Urlaubsinsel von zweien der Männer im Beisein der zwei anderen vergewaltigt worden, wurden Polizeisprecher von den Regionalzeitungen „Diario de Mallorca“ und „Ultima Hora“ zitiert.

Die Deutsche habe ihren Angaben zufolge die Männer beim Feiern in Cala Rajada kennengelernt und sei freiwillig mit ihnen auf das Hotelzimmer gegangen.

Nach der mutmaßlichen Tat habe die junge Frau sofort die Wache der Guardia Civil in Cala Rajada aufgesucht und Anzeige erstattet. Die Deutsche sei in einem Krankenhaus untersucht worden. Die Experten hätten Indizien dafür gefunden, dass sie Opfer sexueller Gewalt geworden sei, hieß es.

Die Festgenommenen wurden in Gewahrsam genommen. Zum Alter und zur Identität der Verdächtigen wurde noch nichts mitgeteilt. Woher sie aus Deutschland stammen, blieb ebenso unbekannt.

Tja, liebe WELT, da war die BILD-Zeitung schon etwas besser informiert. Aber auch ohne des spanischen mächtig zu sein, hätte man in spanischen Zeitungen den Terminus turco durchaus als Türke identifizieren können. Und auch der SPIEGEL wäre nicht der SPIEGEL, würde auch er nicht die Herkunft verschleiern. Und so liest sich übrigens der gleiche Sachverhalt in der BILD-Zeitung, ohne krampfhaft die Herkunft der Täter leugnen zu wollen.


Am Donnerstag wurde eine Gruppe deutscher Touristen am Flughafen von Mallorca festgenommen. Der Vorwurf: Vergewaltigung! Die Tatverdächtigen wurden am Samstagmorgen gegen 9.30 Uhr dem Haftrichter vorgeführt.

Neben den drei ursprünglich Verhafteten wurde eine vierte Person aus dem Wagen der Polizei gebracht. Es soll sich um einen neuen Verdächtigen handeln, er soll der Bruder eines der ursprünglich Verhafteten sein. Am Freitag wurden außerdem zehn Zeugen bei Gericht vernommen.

Der schreckliche Fall: Die Tat geschah in der Nacht zu Donnerstag, in einem Hotelzimmer des „Club Cala Ratjada“. Die Männergruppe soll eine deutsche Touristin (18) dorthin gelockt und missbraucht haben. Zwei der Männer gelten als Hauptverdächtige, der dritte wird den amtlichen Angaben zufolge der Verschleierung beschuldigt.

Nur wenige Stunden nach dem Überfall reisten die Verdächtigen Serhat K.(23), Azad K. (22), Yakub (21) und Baran D. (19) ab – wurden jedoch kurz vorm Abflug am Flughafen Palma von Zivilfahndern der Guardia Civil festgenommen.

„Sie haben sich auf dem Flughafen getrennt, um uns zu verwirren. Das haben sie allerdings nicht geschafft“, erklärte ein Polizeisprecher am Freitag. Drei sitzen in U-Haft, einer von ihnen wurde wieder freigelassen – er soll zur Tatzeit mit einem anderen Mädchen in einem anderen Hotelzimmer gewesen sein.

Nach Berichten von Regionalmedien, die sich auf Behördenquellen berufen, haben die Verdächtigen in einem ersten Polizeiverhör die Tat bestritten. Sie hätten eingeräumt, es habe Geschlechtsverkehr gegeben, der sei aber „einvernehmlich“ gewesen. Den Verdächtigen droht bei Verurteilung eine harte Strafe: bis zu 15 Jahre Gefängnis!

Unklar ist allerdings noch, welches Gericht für den Fall zuständig ist: 

▶︎ Das Gericht in Manacor hat den Fall dem Gericht in Palma überstellt. In der Hauptstadt der Insel waren die Männer festgenommen worden. 

▶︎ Das Gericht in Palma hält sich aber ebenfalls für nicht zuständig, da das Hotel der Verhafteten in der Gemeinde Capdepera liegt, die Manacor untersteht.

Sogar die Hürriyet berichtete über Vorfall wahrheitsgemäßer als deutsche Gazetten. Und mit einem klaren Statement. Lesen Sie hier.



Dienstag, 25. Juni 2019

Nach dem Kirchentag zum Vaginal-Joghurt?

von Thomas Heck...

Die Vagina ist aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Sogar auf dem Kirchentag spielte sie eine gewichtige Rolle. Bei Workshop "Vulven malen" konnte auch Frau sich so mal richtig mit dem Pinsel austoben. Wir hatten berichtet. Und mit dem Bannen des weiblichen Sexualorgans auf die Leinwand ist es noch lange nicht getan. Jetzt ist der menschlichen Gaumen dran. Ein Bericht von Cecilia und ihre Erfahrungen aus der Experimentierküche, wo nicht mit Joghurt die Scheidenflora aufgepeppt wird, sondern umgekehrt. Und dabei geht es um links- und rechtsdrehende Kulturen...



Die Idee kam uns, als meine Freundin Cecilia und ich die probiotischen Eigenschaften der Vagina diskutierten. „Wieso gibt es ganze Kochbücher voller Rezepte, die auf Sperma basieren und nicht einen einzigen Google-Eintrag über die Kultivierung von Scheidenschleim?", schrieb Cecilia gleich kollektiv an einige unserer Freunde. 

Unter den missbilligenden Ermahnungen Sarah Wieners in ihrem Kopf, schnappte sie sich kurzerhand einen Löffel, ein Thermometer und eine Pfanne und machte sich an die Joghurtproduktion mit Hilfe ihrer Vagina—lokalere Zutaten kannst du wohl kaum bekommen.

Cecilia Westbrook macht gerade ihren Doktor der Medizin an der University of Wisconsin-Madison. Wir haben schon früher mal über Joghurtprodukte aus Vaginalsekret gewitzelt—sehr vorhersehbare Kalauer über die ernährungswissenschaftlichen Vorzüge des Muschileckens und wie wir das Produkt nennen wollten—aber dann suchten wir danach auf Google und fanden tatsächlich NICHTS. Nicht einmal in der medizinischen Literatur. Unsere Neugier war geweckt. Cecilia begann, ernsthaft zu recherchieren. Was blieb ihr schon außer dem Selbstversuch?

Jede Vagina ist das Zuhause hunderter verschiedener Bakterienarten, die in ihrer Gesamtheit Scheidenflora genannt werden. Diese Organismen produzieren Milchsäure, Wasserstoffperoxid und andere Substanzen, die die Scheide gesund halten. Das dominante Bakterium heißt Lactobactillus, und ist nunmal zufällig genau das, was Menschen gern benutzen, wenn sie Käse, Milchprodukte und Joghurt kultivieren. 

Aber Cecilia hat ihren Joghurt nicht nur zum Zwecke großartiger Kalauer hergestellt. Und ganz sicher nicht, weil sie hungrig war. Sie hatte beruhigenderweise genügend Chemiekenntnisse, um zu wissen, wie gut der Verzehr einer Portion ihrer eigenen Säfte ihrem Körper tun würde.

Es erinnerte sie an indischen Joghurt, sie aß ihn mit Heidelbeeren. 

Ihr Motiv war die Erforschung der Probiotik—freundliche Bakterien, von denen man glaubt, dass sie bei Verzehr unseren Darm gesund halten sollen. Werbung für probiotischen Joghurt habt ihr bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen. Aber es gibt eben auch vagina-spezifische Probiotik im Handel, die angeblich dafür sorgt, dass sich dort mehr von den guten Bakterien ansiedeln als von den schädlichen. 

„Man kann die Probiotika oral einehmen —die Bakterien landen letztlich aber tatsächlich in der Scheide," sagt Larry Forney, ein Mikrobiologe an der University Idaho. „Was könnte also gesünder sein, als gesunde Bakterien aus der Vagina zu kultivieren, um später noch mehr davon in den Körper aufzunehmen?", dachte sich Cecilia. 

Mit Hilfe eines hölzernen Löffels sammelte sie also Scheidenflüssigkeit. Cecilia setzte eine positive Kontrollgruppe auf (mit echtem Joghurt als Startkultur) und eine negative Kontrollgruppe (pure Milch ohne irgendwelche Zusätze) und fügte ihre eigene Zutat zu einer dritten Joghurtgruppe hinzu. Über Nacht stehengelassen, zauberte die Magie der Biologie daraus eine Schüssel von beachtlichen Ausmaßen. 

Ihre erste Ladung Joghurt schmeckte sauer, frisch und prickelte ein bisschen auf der Zunge. Er erinnerte sie an indischen Joghurt und sie aß ihn mit Heidelbeeren.

Das, so stellte sich nach einem kurzen Gespräch mit Larry Forney heraus, war überhaupt keine gute Idee: „Wenn du Vaginalsekret isst, isst du ja nicht nur das Lactobacillus. Sondern alles." Und je nach Frau und je nach Zeitraum, in der das Sekret stehengelasen wird, wird diese Mischung möglicherweise nicht mehr von Lactobactilli dominiert, „sondern von anderen Bakterien—von denen manche giftig sind. Und sowas willst du nun wirklich nicht in deinem Joghurt haben", erklärte er.

Schlimmstenfalls kann dieses Ungleichgewicht zu Pilzinfektionen und andren ekligen Sachen führen. Solche Organismen sollten also nicht in deinem Frühstück landen. Selbst eine gesunde Vagina enthält Organismen, die richtig schlecht sein können, würde man sie züchten.

„Generell also keine gute Idee," bilanziert Forney. „Aber ein Element daran gefällt mir trotzdem: Sie benutzt für dieses Experiment Bakterien aus ihrer eigenen Scheide."

Da jede Frau eine andere Balance aus guten und schlechten Bakterien ihr eigen nennt, sind die Vorzüge der vaginalen Probiotik fraglich. Würde dagegen eine Firma oder Uni Probiotika entwickeln können, die speziell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Scheidenflora der Frau abgestimmt wären, „wären die um einiges effektiver als das, was wir jetzt in der Drogerie kaufen könnten," so der Mikrobiologe.

Die Vorteile für die eigene Gesundheit waren nicht ganz so geradlinig, wie sich Cecilia das gewünscht hatte, aber zumindest der Ansatz ergibt Sinn. „Mir gefällt das Prinzip, aber es ist trotzdem riskant. Sie weiß ja nicht, was drin ist und könnte einen schlechten Joghurt erwischen", sagt Forney. 

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA stimmt dem zu. Theresa Eisenman von der zuständigen Pressestelle teilte uns mit: „Vaginalsekret ist kein Lebensmittel und kann menschliche Krankheiten übertragen—ein Produkt, das Scheidensekret oder andere Körperflüssigkeiten enthält, wird als gepanscht eingestuft."

Cecilia hatte unterdessen eine zweite Ladung produziert, als ich schon wusste, dass Joghurt aus Vaginalflüssigkeit keine so tolle Idee war. Trotz Abratens aller Befragten von Forney bis zur FDA fühlt sie sich gut. Aber mehr wird sie dann doch nicht züchten. 

„Eigentlich ist das doch alles total offensichtlich. Natürlich kann man Joghurt aus seiner eigenen Bakterienflora machen. Aber wer würde schon auf die Idee kommen?", sagte sie. „Und natürlich möchte die Feministin in mir irgendwas über die Schönheit in der Verbindung zwischen dem eigenen Körper und der Nahrung sagen, und dass du damit die Macht erforschen kannst, die die eigene Vagina haben kann. Klar, zum Teil ist das alles eine mystisches Hippie-Ding, aber teilweise geht es auch einfach darum, sich selbst mit seinem Körper anzufreunden—besonders in einer Kultur, die so einen verklemmten Umgang mit Frauenkörpern hat."

Wie auch immer, Cecilia berichtete mir schließlich fröhlich, dass ihre zweite Ladung sogar noch saurer schmeckte, wie leicht vergorene Milch—der abschließende Beweis, dass Joghurt aus Vaginalsekreten leider nicht dasselbe ist wie Muschilecken. Und nicht jeder Seemann schifft im Roten Meer...




Montag, 10. Juni 2019

Sexismus geht immer...

von Thomas Heck...

In der ganzen Klimadebatte ist neben der Rettung des Planeten das zweite existenzielle Problem der Gegenwart fast in den Hintergrund geraten. Der Sexismus. Gut, dass es "Wissenschaftlerinnen" wie Professorin Julia Becker gibt, die das Thema selbstlos aufgreifen und immer wieder auf die Agenda setzen. Uns würden dann Aussagen entgehen wie "Meine Mitarbeiterin Runa Bezold und ich konnten ein paar neue Formen von Sexismus identifizieren. Zum Beispiel gibt es ganz offensichtlich Sexismus, der als Kompliment getarnt ist. Der hängt zwar mit wohlwollendem Sexismus zusammen, ist aber eine weitere, eigenständige Form von Sexismus." Das nenne ich echte Grundlagenforschung.


ZEIT ONLINE: Frau Becker, Sie forschen über Sexismus. Wie definieren Sie diesen? 
Julia Becker: Sexismus ist, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts negativ bewertet wird. Es geht immer darum, den ungleichen Status zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Sexismus kann sowohl eine individuelle Einstellung oder Verhaltensweise als auch eine kulturelle oder institutionelle Praxis sein. 

ZEIT ONLINE: Sie unterscheiden zwischen feindlichem und wohlwollendem Sexismus.

Becker: Feindlicher Sexismus ist eine klar negative Sicht auf Frauen. Er begründet sich in der Überzeugung, dass Männer einen höheren Status verdient haben. Die feindlichen Sexisten gehen davon aus, dass Frauen das Ziel haben, Macht und Kontrolle über Männer zu erlangen. Deshalb richtet sich feindlicher Sexismus oft an spezifische Personengruppen: Karrierefrauen oder Feministinnen. 

ZEIT ONLINE: Und der wohlwollende Sexismus?

Becker: Der erscheint eher im Gewand der Ritterlichkeit oder des Kavaliertums. Wohlwollende Sexisten sind der Überzeugung, dass Männer Frauen beschützen und versorgen sollten. Frauen sind ihrer Meinung nach das sanftere Geschlecht, warmherziger, fürsorglicher in der Kindererziehung und sie haben einen feineren Sinn für Kunst und Kultur. Die Idee zur Unterscheidung dieser beiden Formen wurde von Peter Glick und Susan Fiske entwickelt. 

ZEIT ONLINE: Welche Art kommt häufiger vor? 

Becker: Feindlicher Sexismus ist klarer zu erkennen, er taucht aber in unserer modernen Gesellschaft weniger auf. Der wohlwollende Sexismus hingegen kommt häufig vor, auch bei jungen Männern und er ist schwer zu fassen, weil er ja freundlich verpackt ist. 

ZEIT ONLINE: Zum Beispiel, wenn eine Frau im Meeting mit gleichgestellten männlichen Kollegen protokollieren soll, weil sie angeblich eine schönere Schrift hat?

Becker: Genau. Oft sind es Verhaltensweisen in mehrdeutigen Situationen, die zuerst schwer zuzuordnen sind. Wohlwollender Sexismus führt dazu, dass Frauen sich weniger kompetent verhalten: Die Forschung hat gezeigt, dass Frauen Matheaufgaben schlechter lösen, wenn sie vorher auf Geschlechter-Klischees angesprochen wurden, als wenn sie die Rechenaufgabe unbedarft angehen.

ZEIT ONLINE: Ist die Sexismus-Definition auch auf Männer anwendbar? Wenn männliche Erzieher in Kitas skeptisch beäugt werden, weil ihnen von den Eltern unterstellt wird, im Umgang mit Kindern weniger kompetent zu sein?

Becker: Das ist klar Sexismus und natürlich problematisch. Dennoch zeigt die Forschung, dass Männer viel seltener Nachteile durch sexistische Zuschreibungen haben als Frauen, da die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft zugunsten der Männer ausfallen.

ZEIT ONLINE: Gerade arbeiten Sie an einer Studie zu jenem Sexismus, der der Stern-Autorin Laura Himmelreich nach der Veröffentlichung ihres Artikels über Rainer Brüderle vor einem Jahr entgegenschlug. Was haben Sie herausgefunden? 

Becker: Meine Mitarbeiterin Runa Bezold und ich konnten ein paar neue Formen von Sexismus identifizieren. Zum Beispiel gibt es ganz offensichtlich Sexismus, der als Kompliment getarnt ist. Der hängt zwar mit wohlwollendem Sexismus zusammen, ist aber eine weitere, eigenständige Form von Sexismus.

ZEIT ONLINE: Was haben Sie über diese Form herausgefunden?

Becker: Wir haben uns die Reaktionen von Politikern, Journalisten und Bürgern auf die Debatte angeschaut. Dabei sind sechs Meinungen immer wieder aufgetaucht. Zum Beispiel etwas, was wir den Vorwurf der Lustfeindlichkeit nennen, außerdem das sexistische Kompliment. Zudem Bagatellisierung und die Ansicht, dass Sexismus etwas Natürliches, Angeborenes ist. Aus diesen Meinungen haben wir sechs Kategorien mit typischen Aussagen gebildet und diese 500 Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Bevölkerungsgruppen vorgelegt. Sie sollten sagen, ob sie den Aussagen zustimmen. Unsere Umfrage ist wegen der relativ kleinen Teilnehmerzahl nicht repräsentativ, es ist Grundlagenforschung, aber sie hat interessante Ergebnisse hervorgebracht.

ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?

Becker: Dass Personen, die den sechs untersuchten Formen von Sexismus zustimmen, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch feindlichem und wohlwollendem Sexismus zustimmen. Dieser Zusammenhang zeigt, dass die Reaktionen auf die Brüderle-Debatte ebenfalls Ausdruck sexistischer Überzeugungen sind. 

Außerdem fanden wir heraus, dass Frauen genauso sexistisch sein können wie Männer. Bei Fragen zur Akzeptanz von Komplimenten oder anzüglichen Sprüchen gab es bei der Beantwortung fast keinen Geschlechtsunterschied. Das hatten wir nicht so erwartet.



ZEIT ONLINE: Was sagt das über unsere Gesellschaft? 

Becker: Wie gesagt, ich bin vorsichtig mit Verallgemeinerungen. Nicht bei allen Items waren die Frauen gleich sexistisch wie die Männer. Aber es ist schon spannend. Man hätte vielleicht eher gedacht, dass Frauen in der Debatte Himmelreich unterstützten und die Männer Brüderle. Aber das war nicht so. Frauen können streng mit ihren Geschlechtsgenossinen sein, wenn die angeblich einen "Flirt nicht verstehen". Allerdings haben wir auch die Geschichte an der Hotelbar abgefragt in unserer Forschung, mit "eine Journalistin" und "ein Politiker" – und da haben die Frauen die Journalistin als wärmer und kompetenter eingestuft, als den Politiker. Das bedeutet, dass eine Person, die sich gegen Sexismus wehrt, nicht notwendigerweise negativ wahrgenommen wird.

ZEIT ONLINE: Sind manche Frauen also unentschieden, was sie jetzt gut heißen und was nicht

Becker: Meine Forschung zeigt, dass die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht eine große Rolle spielt. Wenn sich Frauen stark mit ihrem Geschlecht identifizieren, dann sehen sie Sexismus dramatischer und erkennen ihn schneller. Hinzu kommt, dass subtiler Sexismus einfach schwierig zu fassen ist: Oft wissen Frauen erst mal nicht einzuschätzen, war das jetzt abwertend gemeint? Erst später dämmert es ihnen.

ZEIT ONLINE: Es heißt ja, Frauen sollten sexistische Äußerungen sofort und in der Situation selbst anprangern.

Becker: Auf jeden Fall. Am besten ist es, ganz neutral zu fragen: "Wie war das jetzt gemeint?" , "Was sollte das jetzt?" Natürlich läuft sie Gefahr, zum Beispiel als "hysterische Zicke" abgestempelt zu werden. Doch die Forschung zeigt, dass eine Frau, die sich wehrt, oft als kompetenter wahrgenommen wird. 

ZEIT ONLINE: Was ist Ihre ganz persönliche Einschätzung? Hat die Sexismus-Debatte im vergangenen Jahr uns irgendwie weitergebracht? 

Becker: Ich würde es positiv bewerten, dass es überhaupt zu dieser Debatte gekommen ist. Dort wurde etwas benannt, was viele vorher nicht als Sexismus wahrgenommen haben. Dass ein scheinbares Kompliment auch Sexismus sein kann, eine Frau herabwerten kann. Außerdem hat der Hashtag #aufschrei zu viel Solidarität von Frauen und auch Männern geführt. Ich beobachte natürlich auch, dass sich noch nicht so viel verändert hat, wie es sollte. Aber so ist das bei unseren Gewohnheiten, die lassen sich nur langfristig ändern. Das Verhalten von Frauen und Männern wird ja oft schon in der Kindheit geprägt, so etwas lässt sich nicht in einem Jahr umkehren.