von Thomas Heck...
Wer die Nachrichten der letzten Tage bezüglich Diesel-Fahrverbote, Grenzwert-Diskussionen, etc. verfolgen musste, konnte nicht umhin festzustellen, dass Stellungnahmen aus dem Umweltbundesamt so klingen, als wäre bereits eine grüne Regierung an der Macht. Und die sie sind offensichtlich noch lange nicht fertig. Fahrverbote für Dieselfahrzeuge bis hin zur Euro-6-Norm werden nicht nur durch die Gerichte nach Klagen vom Abmahnverein Deutsche Umwelthilfe verhängt, sie scheinen mittlerweile auch Ziele der Politik zu sein. Jetzt geht es dem Autofahrer an sich an den Hals.
Tempo 30 innerorts, Abschaffung der autofreundlichen Straßenverkehrsordnung, Rad- und Gehwege statt Autoparkplätzen – kurz den „Rückbau der autogerechten Stadt“ zum Wohle der Fußgänger. Das fordert das Umweltbundesamt (UBA), die zentrale Umweltbehörde der Bundesrepublik unter dem Dach des Bundesumweltministeriums. Als erste Bundesbehörde regt das UBA konkrete Maßnahmen in Städten für die lange vernachlässigten Fußgänger an. Es legt dafür ein Grundzügepapier vor, auf dessen Basis die Bundesregierung eine bundesweite Fußverkehrsstrategie entwickeln soll. Dieses Papier wurde im Auftrag des UBA vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin mit Verkehrsexperten erarbeitet.
Die Studie wird am Donnerstag auf dem vom UBA veranstalteten 2. Deutschen Fußverkehrskongress vorgestellt. Das Land Berlin ist Gastgeber, Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) hält die Begrüßungsrede in der Kalkscheune – gerade einmal drei Tage nachdem ein Fußgänger in Rudow von einem Lastwagen überrollt wurde.
Den Vorstoß der Bundesbehörde findet Roland Stimpel vom Fußgängerlobbyverein Fuss e. V. „fast schon revolutionär“. Die Studie liefere nicht nur eine detaillierte Ist-Analyse der Probleme, sondern erstmals auch „konkrete Vorschläge, was man dagegen tun kann“. Einige decken sich mit den Eckpunkten, die kürzlich für das Berliner Mobilitätsgesetze erarbeitet wurden. Etwa die Schaffung von mehr Mittelinseln auf Straßen, fußgängerfreundlichere Ampelschaltungen oder die stärkere Trennung von Fuß- und Radverkehr.
Das UBA-Papier dringt allerdings viel detaillierter auf die Umlenkung von Flächen und Ressourcen vom Auto- in den Fußverkehr. Unter anderem durch „ein konsequentes Parkraummanagement“. Die Parkgebühren und Bußgelder in Deutschland seien zu niedrig, besonders „die Behinderung oder gar Gefährdung von Gehenden und Radfahrenden“ solle mittels eines neuen Bußgeldkatalogs künftig „deutlich schärfer“ geahndet werden.
Und die Pkw-Parkplätze sollen nicht nur teurer, sondern auch drastisch weniger werden. Bis 2030 sollen Berlin und andere Großstädte demnach an Straßenrändern und auf Wohngrundstücken nur noch drei Quadratmeter, langfristig sogar nur 1,5 Quadratmeter Autostellfläche pro Einwohner anbieten. So soll die „Zielgröße“ von 150 Autos pro 1000 Einwohnern erreicht werden. Das würde in Berlin eine Halbierung auf 550.000 Autos bedeuten, derzeit sind hier rund 1,2 Millionen Pkw angemeldet (308 Autos pro 1000 Einwohner). Die eingesparten Flächen sollen für breite Fußwege, Fahrradwege, Busspuren, Grün- und Freizeitflächen verwendet werden.
Fußgängerfreundlichkeit soll im Städtebau verankert werden
Die Studie fordert auch eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung, die derzeit das Auto bevorzuge – etwa indem sie Fußgänger zum „zügigen Überqueren“ der Straße auf dem kürzesten Weg verpflichte. Das Kriterium der „Flüssigkeit des Verkehrs“ aus Zeiten der autogerechten Stadt sei nicht mehr zeitgemäß. Die StVO solle durch ein modernes bundesweites Mobilitätsgesetz ersetzt werden – mit einer festgeschriebenen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts zur Sicherheit der Fußgänger: „Tempo 30 nur an Unfallschwerpunkten und vor Schulen, Kindergärten und Altenheimen reicht nicht aus.“
Auch im Städtebau soll die Förderung des Fußverkehrs verankert werden. „Fußläufige Erreichbarkeit“ solle etwa im Baugesetzbuch (BauGB) und kommunalen Richtlinien als Planungskriterium aufgenommen werden, so die Studie. Städten soll es durch eine „Experimentierklausel“ im Verkehrsrecht darüber hinaus künftig erlaubt werden, vom Bundesrecht abweichende fußgängerfreundliche Regeln erstellen zu dürfen. Dabei wird das Beispiel der belgischen Stadt Gent aufgeführt, wo Wohnviertelstraßen durch Sperrungen zu Spielplätzen umgewandelt wurden. Die Einrichtung einer temporären Spielstraße in Prenzlauer Berg in der Gudvanger Straße scheiterte bisher an rechtlichen Bedenken und Ressourcenfragen im Bezirksamt.
Studie: Für Fußgänger gibt es keine wirtschaftliche Lobby
Die Studienverfasser fordern deswegen endlich „klare Zuständigkeiten und Sicherung personeller Ressourcen“ für den Fußverkehr bei Bund, Ländern und Kommunen. Selbst im Bundesverkehrsministerium gebe es kein eigenes Referat für den Fußverkehr, stattdessen sei dafür das Radverkehrs-Referat mitzuständig. Als eine von wenigen Städten hat Berlin immerhin eigene Planer für den Fußverkehr, allerdings gerade einmal vier. Die Studie regt zur Verbesserung in einem ersten Schritt städtische „Fußverkehrsbeauftragte“ an. Als „optimale Lösung“ schlägt sie „Nahmobilitätsteams“ oder ämterübergreifende Arbeitsgruppen in den Verwaltungen vor, um das Thema mit ausreichend personellen Ressourcen auszustatten.
Eine Ursache für die bisher fehlende Aufmerksamkeit sieht die Studie darin, „dass sich mit dem Fußverkehr keine direkten wirtschaftlichen Interessen vergleichbar der Automobilindustrie oder teilweise auch der Fahrradindustrie verknüpfen“. Während der Radverkehr als Alternative anerkannt sei, gelte der Fußverkehr „als unwichtig, unattraktiv und wenig zeitgemäß“. Das soll sich nun ändern.
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