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Montag, 3. November 2025

Friedrich Merz wiederholt das Gastarbeiter-Märchen in der Türkei

von Stefan Müller

Ein paar Geschichtslügen vom Lügenkanzler als Gastgeschenk: Merz zu Besuch bei Erdogan in Ankara (mit Ehefrauen)



Nachdem kürzlich Bundesaußenminister Johann Wadepuhl den türkischen Gastarbeiter für den angeblichen Wiederaufbau Deutschlands dankte, wiederholte nun auch Bundeskanzler Friedrich Merz, der diese Woche dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara seine Aufwartung machte, das Märchen, dass die Türken einen Beitrag zum Wirtschaftswunder geleistet hätten. Prompt verbreitete die deutsche Botschafterin in der Türkei auf Ihrem X-Account auf Türkisch diese kontrafaktische Erzählung (nachfolgend die deutsche Übersetzung): “Heute, am 64. Jahrestag des Arbeitsabkommens, erinnerte Kanzler Merz an die erfolgreichen Beiträge türkisch-deutscher Familien. Ohne sie wäre das deutsche Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen.”

Solche völlig faktenfreien Märchen werden mittlerweile sogar in Mainstream-Medien wie der “Welt” widerlegt; in seinem lesenswerten Beitrag “Mit türkischen Gastarbeitern hat das deutsche Wirtschaftswunder nichts zu tun” vom vergangenen Mittwoch verweist dort Sven-Felix Kellerhof unter Berufung auf amtliche Dokumente darauf, dass die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in Westdeutschland von 0,4 Prozent im Jahr 1954 auf 3,1 Prozent zum 30. Juni 1962 zugenommen hatte – womit in dieser Hochphase des Wirtschaftswunders (mit jährlichen BIP-Zuwachsraten zwischen fünf und elf Prozent!) also 99,6 bis 96,9 Prozent der Beschäftigten aus Deutschland stammten. Von den übrigen waren zum Stichtag 30. Juni 1962 genau 265.978 aus Italien gekommen – dem Land, mit dem Deutschland 1955 das erste „Anwerbeabkommen“ geschlossen hatte –, weitere 87.327 aus Spanien, 69.146 aus Griechenland, 47.427 aus Österreich… aber gerade einmal 15.318 aus der Türkei. Der Wiederaufbau war damals längst abgeschlossen. Doch es sollten noch bald viel mehr Türken werden, die sich nach Deutschland aufmachten.

Das große Tabu

Ein Jahrzehnt später titelte der “Spiegel” in seiner Ausgabe 31/1973 “Ghettos in Deutschland – eine Millionen Türken”, und verwies in dem Artikel “Die Türken kommen – rette sich wer kann” (heute wäre diese Schlagzeile “gesichert rechtsextrem” und “rassistisch”!) darauf, wie groß damals der Andrang von Türken auf einen Arbeitsplatz in Deutschland war. Auf einen Platz als Gastarbeiter bewarben sich damals viermal so viele Türken, wie dann schließlich kommen durften. Ein deutscher Arbeitsvertrag war so wertvoll wie ein Lottogewinn. Wörtlich hieß es in dem “Spiegel“-Artikel: “Fast eine Million Türken leben in der Bundesrepublik, 1,2 Millionen warten zu Hause auf die Einreise. Der Andrang vom Bosporus verschärft eine Krise, die in den von Ausländern überlaufenen Ballungszentren schon Lange schwelt. … Gleichwohl erhellt der Türken-Andrang die Misere in bisher nie dagewesener Schärfe. Kein anderes Herkunftsland hat so viele Analphabeten (Uno-Schätzung: 54 Prozent). Für keine ethnische Gruppe ist die Kluft zwischen urtümlichen Lebensbedingungen zu Hause und entwickelter Industrie-Gesellschaft so tief wie für die Frauen und Männer Kleinasiens.”

Das ganz große Tabu beim Thema türkische Gastarbeiter ist allerdings die Vorgeschichte des entsprechenden “Anwerbeabkommens”: Dies wurde gegen den Willen Deutschlands (!) aufgrund von politischem Drucks der Türkei und dem NATO-Bündnispartner USA abgeschlossen. Vor allem ging es der türkischen Regierung darum, arbeits- und perspektivlose Personen aus strukturschwachen und unterentwickelten Regionen des Landes “loszuwerden“ und ins Ausland umzusiedeln, um die Türkei so innenpolitisch zu stabilisieren und so der NATO als zuverlässiger Bündnispartner erhalten zu bleiben. Folgerichtig wurde das entsprechende Abkommen auch nicht vom Bundesarbeits-, sondern vom Bundesaußenministerium (!) abgeschlossen.

Dreiste Geschichtsklitterung

Hieran erinnert auch Malte Fischer in der “Neuen Zürcher Zeitung”, der schreibt: “Dass Deutschland damit begann, Gastarbeiter aus der Türkei anzuwerben, war nicht zuletzt auf den Druck aus den USA zurückzuführen. Amerika betrachtete die Türkei, die damals schon Mitglied der Nato war, aufgrund ihrer geografischen Lage als strategisch wichtiges Bollwerk gegen die Expansionsbestrebungen der Sowjetunion. Anfang der 1960er Jahre befand sich die Türkei nach einem Militärputsch in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Massenarbeitslosigkeit und die Unzufriedenheit der Bevölkerung bedrohten die politische Stabilität des Landes. Daher übten die USA und die türkische Regierung Druck auf die deutsche Regierung aus, damit sie Arbeitskräfte aus der Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland holt. Die Idee dahinter: Deutschland sollte den Arbeitsmarkt in der Türkei entlasten und den türkischen Gastarbeitern eine Qualifikation vermitteln, die sie in die Lage versetzte, nach einer späteren Rückkehr in die Türkei ihr Heimatland wirtschaftlich voranzubringen.”

In diesem Ansage!-Beitrag des Autors finden sich weitere Verweise auf Mainstream-Berichte, welche ebenfalls den politischen Druck der Türkei und USA belegen. Die Äußerungen des Bundeskanzlers sind eine dreiste Geschichtsklitterung und historische Lüge, die die Vorgeschichte dieser ersten großen Massenmigration in der Geschichte der Bundesrepublik (die in ihrer Tragweite natürlich weder quantitativ noch von den fatalen Auswirkungen her auch nur ansatzweise an die von Angela Merkel zu verantwortende Masseneinwanderung heranreicht) unseriös verklären und einen falschen Mythos verfestigen.


Freitag, 26. September 2025

Was wurde eigentlich aus den MUFl, den Modularen Unterkünften für Flüchtlinge?

Berlin am Limit: Flüchtlingsunterkünfte voll, Wohnungslosigkeit auf Rekordkurs

Einst galten sie als flexible Antwort auf die Flüchtlingskrise – heute stehen die Modularen Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) im Zentrum neuer Streitigkeiten.

Neue Generation von Flüchtlingsunterkünften: die Anlage am Murtzaner Ring in Marzahn.
Neue Generation von Flüchtlingsunterkünften: die Anlage am Murtzaner Ring in Marzahn.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Als 2015 die Flüchtlingszahlen stiegen, versprach der Berliner Senat schnelle Lösungen: Modulare Unterkünfte, kurz MUF, sollten nicht nur Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf bieten, sondern später auch dem regulären Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Die Idee war bestechend: schnelle Bauweise, flexible Nutzung, langfristiger Mehrwert.

Zehn Jahre später wirkt die Bilanz ernüchternd. Laut einer Anfrage des Berliner BSW-Abgeordneten Alexander King wurden von 53 ursprünglich geplanten Standorten zwar 36 realisiert. Doch sieben Projekte sind ganz gestrichen, zehn dümpeln weiter in der Planungsphase. Und während die Aktenordner dicker werden, platzen die vorhandenen Unterkünfte längst aus allen Nähten.

Die nüchternen Zahlen der Sozialsenatsverwaltung, die der Berliner Zeitung vorliegen, lesen sich wie ein Bericht aus einem Paralleluniversum: In Charlottenburg-Wilmersdorf, Quedlinburger Straße, leben 560 Menschen – bei null freien Plätzen. In Marzahn-Hellersdorf, Wittenberger Straße, sind alle 416 Betten belegt. Ähnlich sieht es in Neukölln, „An den Buckower Feldern“, aus: Vollbelegung. Nur an wenigen Standorten gibt es Restplätze, und deren Anzahl bewegt sich im einstelligen Bereich.

Gleichzeitig stecken die Neubauprojekte fest. In Friedrichshain-Kreuzberg etwa wird die MUF an der Alten Jakobstraße nach aktuellem Stand nicht vor Ende 2028 fertig, in Lichtenberg an der Köpenicker Allee sieht man gar das Jahr 2030 als Zielmarke. An anderen Orten ist die Prognose noch vager: „Derzeit nicht einschätzbar“, heißt es über eine mögliche Fertigstellung.

King fragt: Was geschieht nach Ablauf der MUF-Verträge?

Besonders heikel ist für Alexander King jetzt vor allem die Frage, was nach Ablauf der Mietverträge mit den MUFs geschehen soll. Ursprünglich klang es für den Berliner Chef der Sahra-Wagenknecht-Partei so, als würden die Gebäude später unter anderem auch Menschen zugutekommen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind.

Doch davon sei inzwischen keine Rede mehr, beklagt King. Der Senat antwortet auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten lediglich, es gebe „keine Festlegung“, die eine bevorzugte Vergabe an Wohnungslose vorsieht.

Vorwurf: Abkehr von einem politischen Versprechen

Für Alexander King ist das mehr als eine verwaltungstechnische Fußnote – es ist eine stille Abkehr von einem politischen Versprechen. „Die Zahl der Wohnungslosen und der von Wohnungslosigkeit Bedrohten steigt in Berlin dramatisch an. Konkrete Abhilfe tut Not“, mahnt er. Die Nachnutzung der MUFs sei „mal angedacht“ gewesen, doch offenbar habe sich der Senat davon verabschiedet, so der Berliner Politiker.

Der Befund des BSW-Mannes ist doppelt ernüchternd: Erstens könne ohnehin von „Nachnutzung“ keine Rede sein, weil die meisten Unterkünfte voll seien und weitere gerade erst in Bau gingen. Zweitens habe die Verwaltung klargestellt, dass vor allem die bisherigen Bewohner Vorrang haben sollen. „Was ja an sich verständlich ist“, räumt King ein, „aber andere soziale Interessen wie die Behausung von Wohnungslosen spielen damit faktisch keine Rolle.“

Senat verweist auf landeseigene Wohnungsbaugesellschaften

Offiziell verweist die Senatsverwaltung auf die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Sie sollen nach Ende der Mietverträge entscheiden, wie die Häuser weiter genutzt werden. Einige MUFs müssen baulich angepasst oder rechtlich umgewidmet werden, bevor sie regulär vermietet werden dürfen.

Doch selbst dort, wo dies möglich wäre, soll in erster Linie der bestehende Bewohnerkreis – Flüchtlinge – den Zuschlag bekommen. In der Antwort aus der Senatssozialverwaltung heißt es: „Gleichwohl liegt es im Interesse des Senats, dass die in den MUF-Standorten wohnenden Menschen mit Fluchtgeschichte im Falle der Beendigung des Mietvertrags mit dem LAF übernommen werden“. Und weiter: Die Entscheidung, an welchen Personenkreis ein MUF-Standort vermietet würde, treffe letztendlich das Landeseigene Wohnungsunternehmen (LWU), „das den Standort errichtet hat“.

King nennt es „schade“, dass damit die wachsende Zahl der Wohnungslosen so aus dem Blick gerät. Tatsächlich sprechen die Statistiken eine deutliche Sprache: Die Zahl der Menschen ohne feste Bleibe ist in Berlin in den vergangenen Jahren stark gestiegen, Hilfsorganisationen warnen vor einer dramatischen Zuspitzung im kommenden Winter. Allein im Januar dieses Jahres stieg die Zahl der wohnungslosen Menschen auf über 53.000 Menschen, was einen dramatischen Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren darstellt. Zum Winter hin sieht es nicht besser aus.

Obdachlosigkeit wird nicht bis 2030 überwunden sein

Und auch das erklärte Ziel des Senats, Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden, scheint nicht erreicht zu werden. Die tatsächliche Entwicklung weist in die entgegengesetzte Richtung: Nach einer Prognose der Senatsverwaltung für Soziales wird die Zahl der in Berlin staatlich untergebrachten Wohnungslosen von derzeit rund 54.000 (Anfang dieses Jahres) bis Ende 2029 auf nahezu 86.000 ansteigen.

Hinzu kommen voraussichtlich weitere rund 30.000 Flüchtlinge. Auch sie müssen in der Stadt untergebracht werden – zumal das Ankunftszentrum Tegel ab 2026 nicht mehr als Massenunterkunft zur Verfügung steht. Neu ankommende Menschen sollen dann direkt auf die Bezirke verteilt werden.

Erschienen in der Berliner Zeitung