Freitag, 20. Januar 2023

Deutschland ohne Exzellenz

Liebe Leserin, lieber Leser!

„Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden.“ (Helmut Schmidt, SPD)

Ein roter Faden zieht sich durch nunmehr zwei oder drei Dekaden: Deutschland hat ein Problem mit Exzellenz, mit Spitzenleistung, mit hervorragender, vorbildhafter Stellung, mit Talent, Qualität und Expertise. Ich meine das so: Exzellenz fehlt, weil sie nicht geduldet wird im Klub der machtgierigen Unbegabten. Vor allem und fast ausschließlich zeigt sich dieser Mangel an Brillanz zunehmend an der Auswahl des Personals, das sich für gehobene Aufgaben, Ämter und Spitzenpositionen in der Politik in Stellung bringt. Dort ist Negativauswahl nicht mehr wegzudenken. Es ist das Prinzip einer Qualifikation über das Gegenteil des Anforderungsprofils, nämlich über Proporz und plumpe Zugehörigkeit zu einer Seilschaft.

Die Unterdurchschnittlichkeit dieser Leute scheint proportional zu ihrem Erfolg. Man könnte denken – und es hat den Anschein – als gäbe es im „Apparat“ ein stilles Übereinkommen, die wirklich guten Leute nicht mehr nach vorn kommen zu lassen. Man würde den Unterschied sogleich bemerken. Deshalb halten sich die Unqualifizierten wie eine Kaninchenplage im Stadtpark. Der Machtapparat ist wie geschaffen für weitverzweigte Bauten, in denen die putzigen Gesellen ihr Eigenleben führen und unter sich bleiben. Da wäre der schlaue Fuchs im Bau eine Katastrophe.

Es geht immer weniger um Eignung im Sinne der zu erfüllenden Aufgabe, sondern vielmehr um das stupide Ausfüllen einer Machtposition im Sinne einer Karriere auf vorgegebener Parteilinie. Echte Eignung als hervorragende, souveräne Persönlichkeit, profunde Kenntnisse der Materie und ein unbestechlicher Blick auf die realpolitischen Dringlichkeiten sind demnach eher Ausschlusskriterien. Die Bevorzugung der treuen Parteisoldaten bei der Postenvergabe benachteiligt die exzellenten Ausreißer, sofern solche in den Kaderschmieden der Parteien überhaupt noch vorhanden sind.

Kaderbedingte, intellektuelle Flurbereinigung

Deutschland ist mit einer geistigen Verelendung der „Eliten“ konfrontiert, die systemisch ist. Für die eigentliche, notwendige Erfüllung ihrer Aufgaben ist es offensichtlich auch nicht von Belang, dass die Mandatsträger jeweils Schaden vom deutschen Volk eidesstattlich abzuwenden versprachen. Solches Gebaren erinnert zunehmend an die korrupten Verhältnisse einer Bananenrepublik, wo sich jeder bedient, der Zugriff hat.

Das Paradox der deutschen Parteienlandschaft ist ihre kaderbedingte, intellektuelle Flurbereinigung, geistige Mutlosigkeit und Exzellenz-Abwehr, ihr morbider Hang, Versagen im Amt anscheinend zum Prinzip der Machtzubilligung erkoren zu haben. Ohne Folgen für die Person, aber katastrophal für das Land. Die Regierungen in Deutschland sind zweckfremd zu Marionetten der Parteiapparate verkommen, wo sie doch eigentlich dem Volk und der Bevölkerung zu dienen hätten.

Das ganze Dilemma um das Fehlen von Verantwortlichkeit und Begabung ist kaum aufgefallen, solange die politische Schönwetterlage die Früchte der Vorgängerregierungen zur Ernte brachte, der See still ruhte und man es sich in der Hängematte bundesrepublikanischer Selbstgefälligkeit gemütlich machen konnte. Seit die Krisen jedoch perlenschnurartig auftreten, das geopolitische Wetter ungemütlich ist und die Wogen hochschlagen – seit Deutschland innen- und außenpolitisch unerwartet neue, historische Verantwortlichkeiten zugewiesen bekommt – zeigt sich die Unfähigkeit der Regierung mit aller Deutlichkeit. Deren müde Bewältigungskonzepte erschöpfen sich oft genug im Zaudern und Lavieren des Kanzlers.

Die Leugnung offensichtlicher Zukunftsgefahren, die nicht ins ideologische Weltbild passen, gehört heute zum Habitus von Herrschaften, die mit pragmatischen, ideologiefreien Analysen und Lösungen pauschal ihre Probleme haben – entweder aus purer Dummheit oder aus Halsstarrigkeit. Das Personal, das ich hier meine, ist renitent, unbelehrbar, uneinsichtig im Scheitern und klebt an seinen Stühlen wie Kaugummi. Wenn die Zentrifugalkräfte der Aufgabenstellungen solche Kandidaten doch mal aus dem Amt schleudern – zurück in die real existierenden Zustände bürgerlicher Existenz – behaupten die hauptsächlich an sich selbst Gescheiterten gern, die Aufgaben seien zu komplex gewesen oder die Medien hätten die Eigenleistung schlechtgeschrieben.

Desaströses Verhältnis zur Verantwortung

Wenn Frauen oder Männer als Verteidigungsminister reüssieren wollen, müssen sie Ahnung von Verteidigungspolitik, von der Bundeswehr und vom Soldatenleben haben, sonst sind sie ungeeignet. Genauso ungeeignet ist auch ein Wirtschaftsminister, der eigentlich Kinderbuchautor sein will und offensichtlich die betriebswirtschaftliche Tragweite des Begriffes „Insolvenz“ nicht zu referieren vermag. Wer um des Postens willen eine Aufgabe übernimmt, der er oder sie nicht gewachsen ist, schadet dem Land, und dessen Ansehen. Das sollte doch wohl anerkannt sein.

Es ist kurios, dass jeder, der am Straßenverkehr teilnehmen will, einen Führerschein machen muss, dass Handwerksberufe Lehrjahre und Gesellenprüfungen erfordern, dass Staatsexamen für Juristen unumgängliche Voraussetzung für den Beruf des Rechtsanwalts sind ... Nur die verantwortungsvollsten Jobs, die es in unserem Land zu vergeben gibt, nämlich die der Minister unseres Landes, dürfen von Laien und Inkompetenten bekleidet werden, die wenig oder gar keine Eignung, noch weniger Abschlüsse im Fach selbst besitzen, außer der Tatsache mit dem richtigen Geschlecht geboren zu sein und das passende Parteibuch vorweisen zu können. Das desaströse Verhältnis unseres Landes zur Verantwortung muss beendet werden, damit sich Exzellenz endlich wieder in Ministerämtern niederschlagen kann und Deutschland zugutekommt.

Das Scheitern der zurückgetretenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist ein Paradebeispiel für die Weltfremdheit, Inkompetenz, Uneinsichtigkeit und Larmoyanz, mit der sich einige Amtsinhaber recht schnell und nahezu zwangsläufig bloßstellen. Selbst ihre Rücktrittsankündigung hatte Lambrecht ungeschickt vergeigt („Rücktritt, vielleicht“). Die Frage, mit welcher Berechtigung sie überhaupt ein solch hohes Amt hatte erlangen dürfen, bleibt nun nach dem Scheitern erst recht an ihr hängen. Das trifft auch auf die im April 2022 zurückgetretene Bundesfamilienministerin Anne Spiegel zu, die als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz offenbar wichtigeres Privates zu tun hatte, als den Opfern vom Ahrtal zu Hilfe zu eilen. Die Bürger erwarten Aufopferung für das Amt. Sich darüber zu beklagen ist weltfremd und naiv, einfach unwürdig.

Ungebremst mit der Abbruchbirne vollzogen

Verharren im Amt, bis es kracht, ist allerdings ein Phänomen der gesamten Merkel-Scholz-Ära. Das hat sich im Lockdown der Geimpften noch verschärft: Fehlbesetzung, Unfähigkeit und Scheitern sind seit längerem kaum noch Grund für Rücktritt oder Abberufung – heute ist es viel eher der Geschlechterproporz, der für Verwerfungen sorgt, wie man neulich bei der Entlassung von Thüringens Justizministers Dirk Adams (Grüne) sehen konnte. Er wurde auf Geheiß seiner eigenen Partei rausgeschmissen, um die Frauenquote im thüringischen Kabinett mit der ersten schwarzen Landesministerin Deutschlands wieder auf pari zu stellen. Es sieht so aus, als sei der symbolpolitische Wert der Rochade wichtiger als die Kompetenz im Amt. Da der Ministerpräsident Bodo Ramelow bei dem Spiel mitmachte, scheint es ihm selbst nicht so wichtig zu sein, wer das Land mit welcher Sachkompetenz am besten vertritt.

Wie soll exzellente Politik auch gelingen, mit Menschen, die in Krisen nur hoffen können, irgendwie durchzukommen, die beim Thema Verantwortung lieber vom „Wir“ reden und kollektive Durchhalteparolen bemühen. Dem Land fehlt die intellektuelle Spitze. Diejenigen, die sich dafür halten, ergehen sich lieber in Visionen einer nachhaltigen Zukunft, eines industriellen Umbaus und einer umfassenden Transformation der ganzen Gesellschaft. Doch niemand hatte erwartet, dass solche Visionen so schnell und ungebremst mit der Abbruchbirne vollzogen werden, wie es aktuell der Fall ist.

Der ehemalige SPD-Kanzler Helmut Schmidt wusste, dass Kompetenz und Souveränität einen Staatsmann ausmachen. Er zog es vor, relativ unbeeinflusst seinem Land zu dienen, mit gegebener Exzellenz und Klarheit: „Wenn Sie so wollen, fühle ich mich im Dienste der moralischen Prinzipien, denen ich mich verpflichtet weiß. [...] Aber nicht im Dienste eines Staates oder irgendeiner Macht oder einer Partei, meiner Partei.“

Er soll auch gesagt haben: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Wenn das alles so weitergeht, träumen die unverbesserlichen „Visionäre“ Deutschland noch in den Ruin.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Ihr
Fabian Nicolay
Herausgeber Achgut.com



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