Donnerstag, 2. Dezember 2021

Hurra, wir werden gegängelt...

von Mirjam Lübke...

"Schwurbler" oder "schwurbeln", das ist linker Neusprech für "ich habe keine Ahnung, wovon du redest, aber wenn es von dir kommt, muss es falsch sein" oder "du könntest eventuell recht haben, aber ich würde mir eher den großen Fußzeh mit einer rostigen Axt abhacken, als das zuzugeben". Kurzum: Es wird gebraucht, um Diskussionsunlust auszudrücken und den Gegner als Schaumschläger zu disqualifizieren. Nun gibt es Menschen, die tatsächlich die Taktik des Verwirrens durch imposant klingende Wortgebilde gern anwenden. Allerdings kann man diese keineswegs einer politischen Ecke zuordnen, und mit etwas Selbstbewusstsein lassen sie sich auch leicht entlarven: Man muss sich einfach nur dumm stellen und darum bitten, den Sachverhalt doch noch einmal allgemeinverständlich zu erläutern. Das nenne ich gern die "Inspektor-Columbo-Methode" - wirke harmlos, vertraue auf den Narzissmus deines Gegenübers und locke es in die Falle. 


Unsere Jungautorin Marie gibt sich erzürnt und verwundert darüber, dass Bürger existieren, welche das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gutheißen. Vielleicht ist sie tatsächlich noch zu jung, um zu begreifen, was dieses Urteil bedeutet - einen Freibrief nämlich, künftig bei jeder echten oder konstruierten Notlage die Bürger ihrer Grundrechte zu berauben. Mit der rückwirkenden Zustimmung zum "Osterlockdown" nämlich sagte das Gericht nichts anderes als "es wird schon okay gewesen sein, da fragen wir mal nicht näher nach, wie unser Führungspersonal es begründet hat". 

Oder aber unsere Marie gehört zu jenen jungen Menschen, für die "Freiheit" nur noch ein abstrakter Begriff ist, ja schlimmer noch, das Synonym für die Abwesenheit von Sicherheit. Denn persönliche Freiheit bedeutet auch Verantwortung: Man muss mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen leben und kann sich zudem, wenn eine totalitäre Phase vorbei ist, nicht auf "Befehlsnotstand" berufen. Kein Wunder, dass es in Deutschland derzeit so chaotisch zugeht: Wir haben eine Bundesregierung - die alte und die neue tun sich da nichts - die Verantwortung gern nach unten durchreicht, vor allem, wenn eine effektive Maßnahme mit Kosten verbunden ist. Diese Regierung trifft nun auf Bürger, welche von ihr erwarten, ihnen genau zu sagen, wo es lang geht, weil sie es offenbar nicht fertigbringen, die Schutzmaßnahmen, die sie für nötig erachten, selbständig in die Tat umzusetzen. Aus freiheitsverachtenden Maries, die begierig die Anweisungen aus dem Corona-Hauptquartier erwarten, werden mit fortschreitendem Alter dann später jene Nachbarschaftswächter, die während des Lockdown Kindergeburtstage anzeigten. Auch wenn sie nicht sicher wissen, ob von kuchenessenden Kindern tatsächlich eine Gefahr für Leib und Leben ausgeht: Wenn es eine Vorschrift dazu gibt, dann muss diese auch gnadenlos angewandt werden. 

Es verwundert nicht, dass die Maries dieser Welt den Wunsch nach bürgerlichen Freiheiten mit Egoismus gleichsetzen, denn er kollidiert heftig mit ihrem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Es ist das "wo kämen wir denn hin"-Prinzip, das aus jedem Hinterfragen von Regeln gleich eine Aufforderung zur Anarchie herausliest. Natürlich braucht eine Gesellschaft Normen, um ein reibungsloses Miteinander zu gewährleisten, aber wer sagt, dass diese sich nicht ab und an einer Sinnprüfung unterziehen sollten? 

Mit dem Vorwurf des Egoismus ist es leicht, seine Mitmenschen zu manipulieren. Das kennen wir von "Freunden" die uns vorwerfen, egoistisch zu sein, wenn wir nicht permanent nach ihrer Pfeife tanzen - bis uns dann klar wird, dass dies eine verdammt einseitige Verpflichtung ist. Von solchen Menschen kommt nämlich selten etwas zurück, noch nicht einmal ein ehrlich gemeintes "Danke!". Wenn Regierungen den Begriff "Egoismus" ins Spiel bringen, bedeutet das ebenfalls meist nichts Gutes: Schlimmstenfalls muss man um sein Leben oder das seiner Liebsten fürchten, denn ist es nicht zum Beispiel egoistisch, als behinderter Mensch der Gesellschaft zur Last zu fallen? Genau so begründeten die Nationalsozialisten ihr Euthanasie-Programm. 

Manchmal kommen mir die Maries vor wie die junge Frau in einem alten Blondinenwitz: Sie fällt tot vom Stuhl, als man ihr den Kopfhörer wegnimmt, über den sie beständig die Anweisung "einatmen, ausatmen" bekommt. Viel fehlt bis zu diesem absurden Szenario bei den Maries auch nicht mehr.

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