von Mirjam Lübke...
Holla die Waldfee! Wenn das so weitergeht, ist die Liste der deutschen Dissidenten bald bunter als Christopher Street Day und ein Stadtteilfest in Kreuzberg zusammen. Was für eine geballte Kraft könnte hier zusammengeschmiedet werden, wenn sich alle Diffamierten Deutschlands zu einem Rebellen-Kongress treffen und über ihre Gemeinsamkeiten reden würden. Anstatt über Trennendes, das bisher viele davon abhält, mit den anderen eine Allianz einzugehen. "Es lebe die Meinungsvielfalt!" wäre so ein gemeinsamer Nenner - dazu muss man schließlich nicht jede Meinung innerhalb des Clubs der Geächteten teilen. Im Gegenteil: Wir wollen schließlich eine Rückkehr zur offenen Debatte.
Im Moment hat der Mainstream Ulrike Guérot als Hauptfeind ausgemacht. Ein ZDF-Redakteur attackiert sogar die Süddeutsche Zeitung - die gewiss kein "neurechtes" Blatt ist - weil sie eine Lesung mit Guérot aus deren letzten Buch "Wer schweigt, stimmt zu" organisiert. Es ist die bekannte Leier, die sich nun abspielt, wir kennen sie schon von der Frankfurter Buchmesse, wenn dort ein "rechter" Verlag etwas Neues vorstellt: Anstatt die Diskussion zu suchen und mit den Autoren über Strittiges beherzt zu debattieren, soll die Buchvorstellung schon im Vorfeld unterbunden werden.
Geht es nach Thüringens Innenminister Georg Maier, ist Frau Guérot jetzt ohnehin im Kreis der Rechtsextremen aufgenommen, da sie sich bereits kritisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert hat. Das nennt sich im Sprachgebrauch des Ministers "Corona-Leugner", auch wenn man Corona gar nicht leugnet, sondern lediglich die Berechtigung, aus dem Virus allerlei Freiheitsbeschränkungen abzuleiten. Die Rechten von heute benehmen sich schon arg seltsam: Galten sie früher als Vertreter von "Law & Order", so dürsten sie heute nach Freiheit, was angeblich der Demokratie entgegensteht. Da muss ein schlichtes Gemüt wie ich erst dreimal um die Ecke denken, um Demokratie und Freiheitsentzug auf eine Linie zu bringen - aber jemand wie Georg Maier schafft das im Handumdrehen. La démocratie, c'est moi!
Nur: Wie bringen wir die derart in eine Schublade Gepackten dazu, zumindest in Sachen Meinungsfreiheit öffentlich an einem Strang zu ziehen? Einen Waffenstillstand zu schließen, um der Sache Willen? In unserer Schublade herrscht allerdings eine Variante des Krabbenkorb-Prinzips: Zwar hält man sich nicht gegenseitig am Boden wie die missgünstige Damenmannschaft eines Büros, aber der Versuch, aus der Schublade zu klettern ist durchaus da. Doch da gibt es die Faesers, Maiers und Haldenwangs, welche ihre Fangnetze in alle Richtungen auswerfen, während die Bewohner der Schublade hoffen, noch rechtzeitig zu entkommen, bevor sie in ihr Visier geraten.
Nun gut, schaut man sich die starken Persönlichkeiten an, die "Wokest Boy" in seiner Collage zusammengetragen hat, muss das nicht nur damit zu tun haben, dass man sich politisch nicht grün ist oder Angst hat, mit den anderen in Zusammenhang gebracht zu werden. Der kluge, wortgewaltige Henryk M. Broder kann auch schon einmal bissig werden, und eine der Damen fährt gern ihre krallenartigen Fingernägel aus. Aber der Rest scheint mir eigentlich recht umgänglich zu sein und ich könnte mir interessante Gesprächsrunden vorstellen.
Also keine Berührungsängste bitte! Und immer daran denken: Brav sein bringt die Meinungsfreiheit nicht zurück - sie werden euch nur das nächste Stöckchen hinhalten, über das ihr springen sollt. Man muss sich nicht lieben - aber ein wenig Zusammenhalt der Dissidenten könnte wirklich nicht schaden - sonst haben wir bald nichts mehr zu melden.
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