Freitag, 5. Dezember 2025

Sophie von der Tann: Selbstversicherung einer Branche



Preisträgerin Sophie von der Tann (links) mit der Intendantin des WDR Dr. Katrin Vernau, bei der Preisverleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises in Köln.



Gestern Abend ist die Korrespondentin der ARD Sophie von der Tann in Köln mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet worden. Eine Debatte ist entbrannt, die jedoch wenig Konkretes beinhaltet.

Am 7. Oktober 2023 überschritten Gaza-Palästinenser die Grenze zu Israel, ermordeten etwa 1200 Menschen und entführten etwa 250 Menschen, Lebende wie Tote, in den Gazastreifen. Es war genozidal, es war der größte Terroranschlag der jemals auf Israel verübt wurde und es war das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust.

Seitdem befasse ich mich mit der Berichterstattung zu dem Gazakrieg und Versuche, Leserinnen und Leser über die Hintergründe von Medienmeldungen aus militärischer Perspektive aufzuklären. Und über die pro-palästinensische Propaganda, die seitdem weltweit auf Social Media die Deutungshoheit verteidigt.

Daher wollte ich mich nicht zu der Preisverleihung an Sophie von der Tann äußern. Denn aus meiner Sicht ist sie nur ein Rädchen im Getriebe. Eine Journalistin, die alimentiert aus der Sicherheit von Tel Aviv berichtet. Und die sehr offensichtlich eine eigene Perspektive eingenommen hat, wie viele andere Journalisten und Redakteure auch.

Doch dann äußerten sich auch viele jüdische und israelische Stimmen. Was wiederum dazu führte, dass viele deutsche Medien das als „Kampagne“ erkannten und nun eine Gegenkampagne gestartet haben. Und die Preisverleihung verteidigen.

Das Ganze bleibt irgendwie schwammig. Substanzlos für diejenigen, die sich nicht ständig mit dem Medienzirkus beschäftigen. Die nicht verstehen, was die eigentliche Kritik ist. Die mit den wohlfeilen Worten von Politikern oder anderen Journalisten wenig anfangen können.
Es ist nur noch ein Austausch von Gefühlen und Meinungen, die auf das beruhen, was man vorher bereits gefühlt und gemeint hat.

Meinungen sind nur ein Fürwahrhalten. Meinungen sind wie Arschlöcher: Sowas hat jeder.

Also äußere ich mich nun doch. Aus dem Bedürfnis heraus, es für andere verständlich zu machen und etwas Ordnung in die Sache zu bringen. Denn es betriff die zwei großen Themen, wegen denen das Projekt U.M. überhaupt angefangen hat: Kommunikation und Militär.

Die Psychologie der Kommunikation

Man kommuniziert immer. Kommunikation ist mehr als der Austausch von Informationen durch Sprache.
Der große Paul Watzlawick hat maßgeblich Axiome, also theoretische Grundregeln, für die Kommunikation beschrieben. Und eines dieser Axiome lautet, man kann nicht nicht kommunizieren.

Sitzen zwei Menschen im Wartezimmer eines Arztes, kommunizieren sie. Sie brauchen kein Wort sprechen, sie brauchen sich nicht einmal anschauen. Denn sie senden Signale. Die in unserem Kulturraum üblicherweise sagen: „Lass mich in Ruhe. Mir ist das hier unangenehm.“
Wer den Gegenbeweis haben will, kann sich einmal in ein Wartezimmer setzen, lächeln, anderen zuzwinkern oder laut telefonieren.

Laufen wir durch eine volle Innenstadt oder einen Bahnhof, stoßen wir wundersamerweise selten mit anderen zusammen. Weil vorher eine kaum merkliche Kommunikation stattfindet, wer wo lang geht. Kinder müssen das erst lernen, weshalb die Rotzischs dauernd irgendwo vor brettern.

Das Problem an der Berichterstattung zum Gazakrieg läuft auf dieser Ebene der Kommunikation ab. Über die die Meisten selten nachdenken.

Es ist die Ausnahme, dass ein Journalist etwas wirklich Falsches meldet. Es ist der Kontext, der Rahmen, die Formulierung, um die es hier geht. Denn die ist ganz entscheidend dafür, wie wir eine Information aufnehmen.

Ein übliches Beispiel aus dem Studium der Psychologie: Ein Mann fährt auf eine Ampel zu, die auf Gelb springt. Die Frau auf dem Beifahrersitz sagt „Es wird rot.“ Was Sie damit sagen will, ist sicher so etwas wie „Pass auf! Sei vorsichtig! Bremse! Ich habe Angst.“ Drehen wir die Situation, setzen den Mann auf den Beifahrersitz und lassen ihn das Gleiche sagen, meint er vielleicht etwas völlig anderes. „Beeil dich! Gib Gas, dann schaffen wir es noch.“

Es gibt drei Beispiele, die ich in Bezug auf die Berichterstattung zum Gazakrieg ansprechen möchte.

Framing

„Framing“ bedeutet, dass einer Information ein Deutungsrahmen gegeben wird.

Wenn Israel Menschen informiert, dass man in einem bestimmten Gebiet im Gazastreifen einen Angriff startet, und dass die Menschen dort besser abhauen sollten, ist das höchstens eine Evakuierung. „Höchstens“, weil die IDF (Israel Defense Forces) es ja weder kontrollieren noch durchsetzen kann. Sie können nicht durch Gaza-Stadt oder Chan Yunis gehen, Haustüren eintreten und die Menschen mit vorgehaltener Waffe zwingen, ihre Sachen zu packen. Sie kontrollieren das Gebiet ja nicht, sonst wäre ein Angriff ja überflüssig.

Der Begriff der Warnung oder Evakuierung ist aber vielen wohl zu schwach. Weshalb sie das Wort „Vertreibung“ wählen. Der Begriff ist weder sprachlich noch juristisch genau definiert. In jedem Fall muss eine Vertreibung aber mit Gewalt passieren und von einer gewissen Dauer sein.

Man kann die gleiche Handlung der IDF also sprachlich auf zwei Arten transportieren. Man kann einmal sagen, dass sie die Menschen warnt, damit sie nicht zwischen die Kämpfe geraten. Was ich persönlich für die korrekte Sichtweise halte. Kein anderes Militär hat jemals organisiert und mit Flugblättern und Telefonanrufen so etwas in dem Ausmaß versucht, wie die IDF.

Oder man kann es als „Vertreibung“ bezeichnen, die Zivilisten aus einem Gebiet fortjagt.

Das bedeutet „Framing“. Einer Information wird ein Rahmen gegeben. Und indem man etwas wieder und wieder beispielsweise „Vertreibung“ nennt, wandert das ins implizite Gedächtnis ein. Selbst wenn man danach von einer „Evakuierung“ oder einer „Warnung“ spricht, bleibt das Bild der „Vertreibung“ bestehen.

Priming

Die Definition für Völkermord wurde 1948 im Schatten des Holocaust geschrieben. Sie gibt fünf Merkmale an, die einen Völkermord ausweisen können.

Das Problem dabei ist, dass zwei der fünf Merkmale in jedem normalen Krieg vorkommen, sogar integraler Bestandteil von Krieg sind. Zwei weitere können auch als juristisch zulässige Kriegsmaßnahmen vorkommen. Es muss also eine Abgrenzung zwischen einem Krieg und einem Völkermord geben.

Diese Abgrenzung findet sich im Motiv. In dem Satz, der die Definition einleitet. Die Absicht, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Der Jurist spricht vom Dolus specialis.

Das ist im Fall von Israel aber nicht nachgewiesen.

Südafrika hat den Internationalen Gerichtshof angerufen. Und selber gar nicht weiter dazu recherchiert. Es hat in einem so wichtigen Verfahren tatsächlich Social Media Postings von israelischen Politikern als Beweise eingebracht. Noch dazu vor allem von den rechtsradikalen Politikern, die gar keinen Einfluss auf die Handlungen der israelischen Streitkräfte haben.

Keine Wannseekonferenz, keine Gleise zum Abtransport, keine Erschießungskommandos oder Massengräber: Postings auf X.

Das Gericht hat keinen Völkermord festgestellt. Und seitdem ist auch kein Urteil ergangen, nirgendwo weltweit. Der Vorwurf des Völkermordes wird jedoch so hartnäckig am Leben gehalten, dass immer häufiger auch Medien von einem Völkermord sprechen. Ohne, dass sich irgendetwas geändert hätte. Außer, dass immer weniger Menschen getötet werden.

Das ist ein Priming.

Es bedeutet, dass hier eine Kopplung stattfindet. Denn die meisten Europäer werden bei dem Wort „Völkermord“ an den Holocaust denken. Das ist der implizite Gedächtnisinhalt.
Es wird ein Hinweisreiz gesetzt, das Wort „Völkermord“. Sobald nun die Meldung zu getöteten Palästinensern kommt, fällt es viel leichter, das mit der bewussten Auslöschung einer Gruppe zu verknüpfen.

Verantwortungsdiffusion

Das letzte Beispiel, und es gäbe noch einige mehr, ist die Verantwortungsdiffusion.

„Die IDF haben bei einem Luftangriff dutzende palästinensische Zivilisten getötet. Der Krieg wurde ausgelöst, als am 7. Oktober fast 1200 Israelis getötet wurden.“

In diesen Sätzen steckt alles, was Verantwortungsdiffusion ausmacht. Was viele aber sicher nicht bemerken werden.

Im ersten Satz wird sehr deutlich benannt, dass die IDF Palästinenser getötet haben. Er ist aktiv. Die IDF hat das getan. Zudem wird hier der Hinweis verwendet, es seien Zivilisten getötet worden. Was bei den meisten Lesern eine moralische, also emotionale Hürde reißt. Warum die IDF das getan haben, dass sie dort vielleicht – in Übereinstimmung mit den Regelnd jedes Krieges – Kombattanten angegriffen hat, wird nicht erklärt.

Der zweite Satz ist passiv. Die Israelis wurden getötet. Von wem, ist nicht klar.

Versuchen wir es nochmal, genau die gleiche Information:

„Dutzende Palästinenser wurden getötet. Die Palästinenser haben den Krieg ausgelöst, als sie am 7. Oktober fast 1200, überwiegend israelische Zivilisten getötet haben.“

Verantwortungsdiffusion ist ein psychologischer Effekt. Eigentlich dient er zum Selbstschutz. Um seine eigene Verantwortung zu minimieren. Das ist jedoch übertragbar.

Gerade erst hat die Washington Post eine große Story losgetreten, dass der Kriegsminister Hegseth bezüglich der venezolanischen Drogenschmuggler befohlen habe „Tötet sie alle“. Beim ersten solchen Angriff hat der Kommandierende eine zweite Rakete in das Boot jagen lassen.

An der Berichterstattung vieler US-amerikanischer Medien kann man nun die Verantwortungsdiffusion ablesen und einen politischen oder zumindest publizistischen Hintergrund erahnen. Denn auch der Kommandierende hätte diesen Befehl gar nicht ausführen dürfen. Und ob Hegseth den Befehl gegeben hat oder nicht - derjenige, der die Rakete abgefeuert hat, hätte den Befehl des Kommandierenden nicht ausführen dürfen.

Verantwortungsdiffusion.

Und genau dazu gehört auch das häufig erzählte Bild, dass die Hamas nur eine Terrororganisation, ein Regime ist. Die Palästinenser als Gruppe und Schicksalsgemeinschaft werden aus der Verantwortung entlassen.

Dass die Hamas nur eine von mehreren Gruppen ist, dass sie die politische Vertretung des Gazastreifens ist, wird ungerne erwähnt. Ebenso wie einige Ärzte erzählen, dass sie in Krankenhäusern im Gazastreifen tätig waren. Aber nie erwähnen, dass diese Krankenhäuser von der Hamas betrieben werden. Und dass viele Ärzte, sogar der Pförtner, dort nur tätig sein können, wenn sie sich mit der Hamas arrangieren. Dass die Hamas die Gehälter zahlt.

Beeinflussung messbar machen

Jeder kann die Berichterstattung der Medien darauf prüfen, wie sie Nachrichten erzählt. Ob diese und andere Kommunikationsstrukturen auffallen.

Ob beispielsweise der Auslöser des Krieges klar benannt wird. Ob Leidensgeschichten von Palästinensern persönlich und nah erzählt werden, und – falls die israelischen überhaupt eine Rolle spielen – diese eher distanziert wiedergegeben werden.

Jeder kann die Häufigkeit beurteilen, wann und wie oft über die beiden Seiten berichtet wird. Denn auch die reine Menge kann eine Kommunikationsbeeinflussung sein. Jeder kann sich fragen, ob im gleichen Maße über den weit größeren und für Europa wichtigeren Krieg in der Ukraine berichtet wird.

Um das ganze wissenschaftlich und empirisch messbar zu machen, müsste man es entsprechend zählen. Dazu muss man die Kapazitäten haben. Andrew Fox hat das bereits 2024 getan und unter dem Titel „Questionable Counting“ veröffentlicht. Er schreibt derzeit an einer Doktorarbeit zu dem Thema. Darin wurden englischsprachige Berichte größer Medien systematisch untersucht:

Nur 15% der Berichte enthielten den Hinweis, dass palästinensischen Zahlen (wenn genannt) Zivilisten und Kombattanten nicht unterscheiden.

Nur 1% der Berichte hinterfragte die Zahlen der Hamas kritisch.

20% der Berichte nannten die Zahlen der Hamas ohne Quellenangabe.

4% der Berichte nannten Zahlen Israels (wenn genannt), 100% dieser Berichte gaben die Zahlen der Hamas wieder.

Und das ist es, was auch Sophie von der Tann immer wieder tut.

Angaben der IDF werden sehr häufig, wenn nicht immer, mit dem Nebensatz versehen „Unabhängig Prüfen können wir das nicht.“ Bei palästinensischen Angaben fehlt dieser Hinweis in aller Regel.

„Unsere Mitarbeiter“

Mehr noch. Sophie von der Tann verwendet den üblichen Duktus aller Journalisten.
Sie bezeichnet im Gazastreifen arbeitende Journalisten häufig als „unser Team“ oder „das ARD Team“.
Das Problem daran ist, dass die allermeisten Menschen darunter sicher verstehen, dass diese Journalisten fest und ausschließlich für die ARD arbeiten, vielleicht sogar Europäer oder zumindest keine Palästinenser sind. Das entspricht aber nicht der heutigen Realität. Die meisten sind freie Journalisten, vor allem Fotografen und Kameramänner, die auch für andere arbeiten. Oder gleich ihre Fotos, Videos oder Informationen auf dem freien Markt anbieten.

Erst im Oktober berichteten viele Medien, dass ein Journalist des ZDF bei einem Luftschlag getötet worden sei. Warum es diesen Angriff überhaupt gegeben hatte, wurde nicht berichtet.
Kurz darauf musste das ZDF öffentlich einräumen, dass der Mann sogar ein Kommandeur der Hamas war.

„Er war kein ZDF-Mitarbeiter und in journalistische Fragen nicht eingebunden.“ …das ZDF wusste nicht einmal, dass der Mann bei der Hamas war. Und nun will es den Eindruck vermitteln, er habe keinen Einfluss nehmen können?


Am vergangenen Sonntag, den 19.10.25, hat Israel mehrere Luftschläge gegen den Gazastreifen geflogen. Die anschließende Berichterstattung der Medien dazu hatte ich in… hier weiterlesen



Würde ein kleines Unternehmen den Service-Mann, der den Toner im Kopierer nachfüllt, als „Mitarbeiter“ bezeichnen? Oder die Putzkraft des „Facility Managements“, die abends feucht durchwischt?

Aber es geht noch kurioser.

Am 30. Juni 2025 haben die IDF einen Luftschlag gegen das Al Baqa Café am Strand von Gaza-Stadt geflogen. Das Café wurde in den Medien als Treffpunkt für Journalisten bezeichnet, da diese dort auch ein funktionierendes Internet hätten. Mir ist kein Medium bekannt, dass mal gefragt hat, warum sich Journalisten bei Kaffee und Gebäck in einem Stand- Café treffen, während es angeblich nichts zu essen gibt. Geschweige denn, woher Mehl und Kaffee kommen.

Dabei wurde auch Bayan Abu Sultan verletzt, die als Journalistin erzählt wurde. Eine Recherche zeigte, dass Frau Sultan Mitarbeiterin eines Telekommunikationsanbieters war, lediglich auf einer Amateur-Seite veröffentlicht hatte und ihr X-Account gespickt war mit Lob für die Hamas und Begeisterung zum 10/7.
Den Angriff habe ich recht genau ausgewertet.


Stellen wir uns einen Krimi vor, wie Agatha Christie ihn geschrieben hätte. Ein mutmaßliches Verbrechen, ein Ermittler, ein eingeschränkter Personenkreis, ein paar Tote,… hier weiterlesen



Tatsache ist, dass die Medien sich freier Mitarbeiter im Gazastreifen bedienen. Und diese, gemäß der Branchen-Sprachregelung, als ihre Mitarbeiter bezeichnen. Und dadurch ein völlig falsches Bild in der Öffentlichkeit provozieren.

Frau von der Tann, die in Tel Aviv sitzt und den Gazastreifen während des Krieges meines Wissens lediglich einmal in Begleitung der IDF betreten hat, wird von anderen immer wieder gelobt. Von Christoph Reuter - der in der Preisjury saß - im Spiegel als „unerschrocken“ und von Ulrich Schneider, dem ehemaligen Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, gar als „herausragend“ und „mutig“.

Angesichts von tausenden junger, wehrpflichtiger Israelis, die in den Gazastreifen müssen, frage ich mich doch, welchen Mut von der Tann aufbringen muss. Mir ist nichts bekannt, was sie selber tatsächlich recherchiert hätte. Sie gibt Meldungen anderer wieder.

Um das hier nochmals sehr deutlich zu sagen: Ich kritisiere nicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er hat einen Grund und eine Daseinsberechtigung. Auch nicht die Medien per se. Ich kritisiere Nachrichten und Agenturmedien. Nur dass der ÖRR nochmal eine ganz andere Verantwortung hat.

Stellen wir uns vor

Man kann lange über jedes gesagte und geschriebene Wort debattieren. Doch das verzerrt in meinen Augen, worum es tatsächlich geht.

Doch muss man es verstehen, um die Debatte verstehen zu können.

Der IS kontrollierte in seiner Hochphase ein Gebiet etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Stellen wir uns für einen Augenblick vor, Journalisten hätten aus diesem Kalifat berichtet, ohne es zu betreten. Sie hätten Hörensagen berichtet. Und sie hätten von Quellen berichtet, die sie selber nicht überprüfen können. Die sie als „Mitarbeiter“ erzählt hätten.

Stellen wir uns vor, sie hätten berichtet, dass die USA dort einen Völkermord begehen. Weil Teile der IS-Regierung das so berichtet hätten. Und angebliche Experten das genauso sehen, obwohl sie gar nicht die dafür nötigen Informationen und meist auch keine Ahnung von Militär haben. Sie hätten berichtet, dass Deutschland teil an dem Völkermord hat, weil die Bundeswehr kurdische Peschmerga ausbildet.

Stellen wir uns vor, die Journalisten würden die Aussagen des IS lediglich mit „wie Syrer berichten“ versehen, aber bei Meldungen der USA grundsätzlich angehängt „Wir können die Angaben nicht unabhängig prüfen“. (Was zunächst bei jedem Militär der Welt zutrifft.)

Stellen wir uns vor, eine Journalistin hätte einem russischen Diplomaten gesagt, dass der Anschlag auf die Crocus City Hall ja eine Vorgeschichte gehabt hätte.

Würden solche Journalisten als „mutig“ bezeichnet werden und einen Preis erhalten?

Auszeichnung einer Branche für sich selbst

Das ist genau das, was die Medien im Gazakrieg tun. Sie nehmen Informationen aus einem von einer radikalislamistischen Terrororganisation beherrschten Gebiet und geben sie weiter. Sie können weder diese Informationen, noch ihre Quellen prüfen. Das verschleiern sie – bewusst oder unbewusst, gemäß des Branchen-Duktus.

Ich würde erwarten, dass sie mit weit größerer Vorsicht die Informationen aus dem Gazastreifen überhaupt übernehmen. Und wenn, dann nur, wenn sie sie wenigstens halbwegs verifizieren konnten.

Ich würde erwarten, die Medien hätten aus ihrem kolossalen Versagen beim angeblichen Luftschlag gegen das Al-Ahli-Krankenhaus im Oktober 2023 gelernt. Bei dem angeblich 500 Menschen getötet wurden. Was sich später als abgeschmierte Rakete des Islamischen Dschihad auf dem Angestelltenparkplatz herausstellte und das Krankenhaus noch weitgehend intakt war.

Nur um es auszusprechen: Ich erwarte, dass die Medien dieser Sorgfaltspflicht auch nachkommen, wenn das bedeuten würde, dass sie nichts aus dem Gazastreifen berichten könnten.

Das entspräche meiner Definition von journalistischer Redlichkeit.

Sophie von der Tann wurde nicht von irgendwem ausgezeichnet. Sie wurde ausgezeichnet von eben jenen Menschen, die ebenso berichten, wie von der Tann. Und es ist sicher auch kein Zufall, dass während Trump die USA umbaut und sich von NATO und Europa verabschiedet, ausgerechnet eine Journalistin gewürdigt wird, die über den Gazakrieg berichtet.

Ebenso wenig ist es sicher Zufall, dass genau diese Dinge selten durch andere Journalisten hinterfragt werden.

Die Formel, von der Tann habe die journalistischen Standards beachtet, ist ein Freispruch. Von jenen, die lieber nicht darüber sprechen, dass man mit genau diesen journalistischen Standards auch Desinformation betreiben kann.

Es ist eine Selbstversicherung.
Es ist eine Auszeichnung einer Branche für sich selbst.



Mittwoch, 3. Dezember 2025

Paranoide Justiz, paranoide Angeklagte: Der Schauprozess gegen die „Reichsrentner“ wird immer mehr zur Farce

von Olli Garch

Provisorisches Gerichtsgebäude (Teilansicht) extra für diesen Mammutprozess in Frankfurt: Rechtsstaatliche Hysterie im Endstadium



Ein knappes Jahr, nachdem Gisela Friedrichsen, die bekannteste Gerichtsreporterin Deutschlands, ihre Fassungslosigkeit über den Mammutprozess vor dem Frankfurter Oberlandesgericht gegen Prinz Heinrich XIII. Reuß und seine acht angeblichen “Reichsbürger”-Mitstreiter ausgedrückt hatte, legte sie nun mit einem weiteren erschütternden Bericht nach. Daraus geht erneut hervor, was für eine Justizfarce hier veranstaltet wird, die für die Betroffenen jedoch eine Tragödie ist. Denn sie müssen nun das vierte Weihnachtsfest in Folge in Untersuchungshaft verbringen – eine ganz und gar unverhältnismäßige Maßnahme, deren gesundheitliche Folgen für die oft über 70-jährigen Angeklagten nichts anderes als Folter sind. Zwei dieser von Sympathisantenkreisen nicht ganz als “Faeser-Opfer” bezeichneten Delinquenten sind bereits verstorben.

Der Vorwurf lautet, Reuß und Co. hätten die staatliche Ordnung der Bundesrepublik “gewaltsam stürzen” und “das Deutsche Reich von 1871 wiedererrichten” wollen. Wie Friedrichsen aufzeigt, gibt es dafür jedoch nach wie vor nicht den allergeringsten Anhaltspunkt. „Tatsächlich sind sie nirgendwo bewaffnet eingedrungen, schon gar nicht in den Bundestag. Sie haben niemanden verletzt, keine Geiseln genommen oder gar getötet“, stellt sie klar. Man verhandele nicht über Konkretes, sondern darüber, was theoretisch hätte sein können und deswegen bereits strafbar sei. Es sei hier jedoch sogar fraglich, ob hier auch nur abstrakt etwas hätte passieren können – und ob die „verwirrten älteren Herrschaften“ tatsächlich etwas Gefährliches beabsichtigt hätten, auch. Der Prozess gibt lediglich Einblick in die völlig verquere Gedankenwelt der Angeklagten, in der es offenbar von Echsenmenschen und unterirdischen Anlagen in der Schweiz wimmelt, in denen angeblich Kinder von pädophilen Politikern missbraucht und getötet werden. Ja, all das zeugt von wirrer und irrer Paranoia, ist für sich betrachtet aber erstens nicht strafbar und wird zweitens von einem nicht wesentlichen Teil tatsächlicher Verschwörungstheoretiker geteilt. Und vor allem sind diese Spinnereien definitiv nicht weniger spinnert als die Psychose eines Moralstaats, der sich im Abwehrkampf gegen eine dunkle rechtsextreme Bedrohung wähnt, die jenseits von rauenden Interpretationen legitimer Äußerungen in Verfassungsschutz-Gutachten und maßloser Aufbauschung von mutmaßlichen Verdachtsmomenten schlicht nicht existiert.

Gefangene Kinder aus imaginären unterirdischen Anlagen befreien

Doch einmal in diesem Wahngebäude gefangen, sehen selbst gestandene Juristen das Böse nur noch immer und überall: Der 66-jährige Oberst a.D. Max Eder, der im Kosovo, in Afghanistan und im NATO-Hauptquartier in Brüssel diente, sieht sich mit dem Vorwurf der Generalbundesanwaltschaft konfrontiert, er habe “den Reichstag erstürmen” wollen. „Das wäre ein Kamikaze-Unternehmen gewesen, ein völlig unmögliches Unterfangen! Wie sollen ein paar ehemalige Soldaten dieses 13.800 Quadratmeter große Gebäude einnehmen? Kein normaler Militär würde so etwas tun!“, erwiderte Eder auf die Vorwürfe. Und hier pariert dann die Paranoia des Angeklagten jene der Ankläger: Vielmehr, so Eder, sei es ihm darum gegangen, die gefangenen Kinder aus den imaginären unterirdischen Anlagen im Drei-Länder-Eck bei Basel befreien und deren pädophile Peiniger auf frischer Tat ertappen wollen.

Friedrichsen schreibt, wie sich Eder bei seiner Aussage in ellenlangen Monologen darüber erging, dass er einen Stab aus Ex-Militärs bilden wollte, um diese Befreiungsaktion ins Werk zu setzen. Eder und andere Angeklagte hatten zuvor sechsstellige Summen für die Befreiung der Kinder gespendet; vermutlich sind sie von Abzockern dabei systematisch betrogen worden. Entscheidender jedoch ist, dass die angeblichen Terror-Vorwürfe auch nach rund 100 Sitzungstagen noch von keinem einzigen Zeugen bestätigt werden konnten, so Friedrichsen – „abgesehen vielleicht von einem notorischen Knast-Denunzianten, dessen Angaben so glaubhaft sind wie Wahlversprechen von Politikern“, so Friedrichsen weiter. Und dann folgt ein Hammersatz dieser Doyenne der Prozessberichterstattung: Es gebe für sie „keine abschließende Antwort auf die Frage, ob das Verfahren nicht eher auf einem Riesenschwindel beruht, denn auf konkreten Terrortaten“. Vielleicht keine abschließende Antwort, aber eine schlüssige Erklärung dazu gibt es sehr wohl: Diese ganze groteske Veranstaltung ist nichts anderes als ein weiterer kafkaesker Schauprozess des Linksstaates, der weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfinden und für dessen groteske Tatvorwürfe sich ohnehin niemand mehr interessiert.

Kampf gegen den Phantomextremismus

Mit riesigem medialem Getöse, tausenden Einsatzkräften und martialischen Razzien im Morgengrauen inszenierte Ex-Innenministerin Nancy Faeser vor drei Jahren die Verhaftung dieser angeblich gemeingefährlichen Putschisten und vermittelte der Öffentlichkeit – mit eifriger Unterstützung der Mainstream-Journaille – den Eindruck, hier sei in letzter Minute ein rechter Staatssturz verhindert worden. Schon bei der ersten medialen Vorführung der fußlahmen und hochbetagten Verhafteten, jener “Reichsrollatorentruppe”, ahnten die meisten das, was sich in einem millionenteuren Verfahren letztlich zu bestätigen scheint: Dass diese Tatverdächtigen alles, aber sicher keine breit vernetzten Möchtegern-Putschisten sind, sondern allenfalls einige ältere Wirrköpfe, die sich in einer bizarren, für Außenstehende nicht nachvollziehbaren Wahnwelt verloren haben – und definitiv weder willens noch fähig waren, einen Umsturz durchzuführen.

Abermillionen Euro an Steuergeld werden für diesen völlig überflüssigen scheinrechtsstaatlichen Klamauk verschwendet, der vor allem daraus besteht, irgendwelche Telefonmitschnitte und Kurznachrichten zu verlesen und daraus terroristische Absichten herauszufiltern, die sich jedoch, allem inquisitorischen Eifer zum Trotz, einfach nicht finden lassen, weil es sie nicht gab. Hier zeigt sich die Parallelität zwischen dem, was in diesem Staat heute Verfassungsschützer und Staatsanwälte gleichermaßen tun: Phantomextremismus dokumentieren, während die Aufklärung und Verfolgung von realem Extremismus auf der Strecke bleibt. Denn während die einzige bürgerliche Realopposition als Nazi-Partei geframt und in die Nähe eines Verbotsverfahrens gerückt wird, und während ressourcenfressende fragwürdige Schauprozesse stattfinden: Da treiben wirkliche Gefährder wie Linksextreme und Antifa auf den Straßen ihr brutales Unwesen, da schreien Islamisten öffentlich das Kalifat herbei und ziehen glühende Judenhasser durch deutsche Städte ziehen und besetzen Universitäten. Gegen reale Bedrohungen tut dieser Staat nichts, weil er ihnen gar nicht mehr gewachsen ist oder mit den entsprechenden “Aktivisten” sympathisiert, wenn er sie nicht sogar finanziert. Lieber arbeitet er sich an einer Rentnertruppe ab und nimmt eiskalt in Kauf, dass diese unschuldigen Menschen in beklagenswertem Geisteszustand im Knast zugrunde gehen, in dem sie zu Unrecht seit vier Jahren schmachten.


Dienstag, 2. Dezember 2025

Warum Sophie von der Tanns Beiträge zu Nahost nicht preiswürdig sind

von Esther Schapira


Die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann erhält den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Dabei steht sie stellvertretend für die verzerrte Berichterstattung über den Nahostkonflikt, die uns ARD und ZDF bieten. Die Sender bilden sich darauf sogar etwas ein.

Zwei Storys pro Woche musste allein BBC Arabic im Schnitt innerhalb der vergangenen zwei Jahre korrigieren wegen Falschmeldungen und eklatanten journalistischen Fehlern. Israelisches Leid wurde vorsätzlich minimiert, um Israel als Aggressor darzustellen. Insgesamt ist die Berichterstattung der BBC beim Thema Nahost geprägt durch Voreingenommenheit, tendenziöse Verzerrung, Aktivismus und wissentliche Verbreitung von Hamas-Propaganda. Zu diesem verheerenden Ergebnis kommt der interne Bericht des leitenden Journalisten Michael Prescott, der zu Rücktritten führte und den Sender in die vielleicht größte Krise seiner Existenz stürzte (F.A.Z. vom 26. November).

Die Folgen für jüdisches Leben in Deutschland

Es gibt keine vergleichbare Untersuchung der öffentlich-rechtlichen Medien bei uns. Sie wäre allerdings dringend nötig. Die BBC sollte ein mahnendes Beispiel sein, nun ebenfalls freiwillig die eigene journalistische Arbeit schonungslos zu prüfen. Die Beispiele tendenziöser Verzerrungen, Halbwahrheiten und Fehler der Nahostberichterstattung bei uns sind ebenfalls eklatant, bislang aber völlig folgenlos. Jedenfalls für die Verantwort­lichen. Die Folgen für jüdisches Leben in Deutschland lassen sich unter anderem in der Statistik nachlesen, die einen neuen Rekord an antisemitischen Gewalttaten verzeichnet. Wer sich nur über ARD, ZDF und Deutschlandfunk informiert, wird kein differenziertes Bild dieses komplexen Konflikts bekommen können.

Die Menschen in Gaza leiden, die Bilder der Zerstörung sind erschütternd. Das ist die Seite, die wir täglich gezeigt bekommen. Die andere Seite sehen wir nicht: weder die erbarmungslose Terrorherrschaft der Hamas noch das Leid der traumatisierten israelischen Gesellschaft. Diese Verkürzung führt zu einer Verzerrung. Es wirkt, als ob es in Gaza nur Opfer gäbe, und stempelt alle Israelis zu Tätern. Es gibt etliche Medienschaffende im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die sich mit diesem schlichten Weltbild unwohl fühlen, aber es braucht Mut, gegen den vorherrschenden Meinungskanon zu verstoßen. Im vertraulichen Gespräch berichten Mitarbeitende von einem be­drückenden Klima der Ausgrenzung der­jenigen, die sich nicht einreihen in die „Palästina-Solidarität“. Dabei müsste der Prescott-Bericht der BBC auch hiesigen Programmverantwortlichen die Augen ge­öffnet haben, wie leicht es der Terrorbande gelungen ist, Bildfälschungen und Propagandalügen unterzubringen. Die Ha­mas wusste, dass die unausweichlich fol­genden Bilder der Zerstörung in Gaza, der leidenden Zivilbevölkerung und toter Kinder ihre stärkste politische Waffe sein würden. Wie schnell die Täter-Opfer Umkehr aber gelungen ist und wie tatkräftig sich westliche seriöse Medien daran beteiligt haben, muss selbst die Hamas überrascht haben.

Eine „von der EU als Terrororganisation eingestufte Gruppe“

Als am 17. Oktober 2023 eine Rakete beim Al-Ahli-Krankenhaus einschlug, wurde sofort Israel für den Tod von angeblich bis zu 500 Menschen verantwortlich gemacht. Eine gezielte Falschmeldung, die auf fruchtbaren Boden fiel: Israel wird seit Jahren an Universitäten, im Kulturbetrieb und eben auch in Redaktionen als „kolonialistisches Projekt“ delegitimiert, gegen das jede Form des „Widerstands“ zulässig sei. Das erklärt, warum die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann glaubte, den bayerischen Antisemitismus-Beauftragten Ludwig Spaenle darauf hinweisen zu müssen, dass der 7. Oktober 2023 eine „historische Vor­geschichte“ habe. Das klingt nach „aber“ und meint genau das: die Relativierung des Hamas-Pogroms. Übertrieben? Dann stellen wir uns kurz die berechtigte Empörung vor, wenn eine Journalistin auf die „historische Vorgeschichte“ des Holocaust hinweisen würde.

Die Hamas als Terroristen zu benennen, schien die Korrespondentin jedenfalls vermeiden zu wollen. Nachdem es anfänglich „militante Kämpfer“ waren, wurde die Hamas zögerlich zu einer „von der EU als Terrororganisation eingestuften Gruppe“. Auf CNN rang der Korrespondent Richard Quest sichtlich mit den Worten („we’re running out of adjectives here“), um das Grauen zu beschreiben. Seine ARD-Kollegin aber sorgte sich am 8. Oktober, als nicht nur die jüdische Welt noch schockstarr war angesichts der unvorstellbaren Grausamkeit des Massakers, das in Gaza bejubelt wurde, vor allem um „die Menschen in Gaza“.

Die Echokammer ist entzückt

Ihre sofortige Warnung vor den Fol­gen der israelischen Selbstverteidigung begeisterte die „Pro-Palästinensische“- Echo­­kammer und sorgte rasch für Reichweite auf ihrem privaten Instagram-Account. Vereinfachung komplexer Vorgänge durch einseitige Parteinahme, Emotionalisierung statt Analyse – die Logik der sozialen Medien bestimmt inzwischen auch die Nachrichten: Tiktok und Instagram für junge User, ARD und ZDF für ihre Eltern und Großeltern. Im verzweifelten Kampf um die ersehnte junge Zielgruppe haben unzählige Projektgruppen für eine Verjüngung und mehr Diversität gesorgt. Auch dadurch sind die Grenzen zwischen Aktivismus und Journalismus verschwommen.

Eine Person Frau hält ein Plakat und eine israelische Flagge während der Trauerfeier für Dror Or, eine ermordete israelische Geisel, im Kibbuz Reim nahe der Grenze zum Gazastreifen, am 30. November. Or wurde bei dem Angriff der Hamas am 7. Oktober getötet, seine Leiche wurde nach Gaza gebracht und von der Hamas im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens zurückgegeben.



Gegen Klicks und Follower wirkt Einspruch unter Verweis auf den Programmauftrag hoffnungslos gestrig. Wer im Mainstream der eigenen Blase schwimmt, hat Oberwasser. Diese Form des „Em­bedded Journalism“ wird klaglos akzeptiert. Wenn etwa der ARD-Korrespondent in Kairo, Ramin Sina, am historischen Tag der Geiselfreilassung und der Unterzeichnung des Friedensplans in Scharm el-Scheich live in den „Tagesthemen“ erklärt, dass der israelische Ministerpräsident Ne­thanjahu von vielen Teilnehmern des Gipfels als „Kriegstreiber“ wahrgenommen werde, und hinzufügt: „Ich persönlich kann dieser Lesart folgen“, dann ist dies schlicht unerträglich. Es zeigt schamlose Voreingenommenheit und das Fehlen jeglicher Empathie für Israel. Es zeigt aber auch, wie weit sich die ARD von ihren ei­genen Grundsätzen entfernt hat. Waren früher Meinung und Bericht strikt zu trennen, so wird deren Vermischung heute als mutige Haltung mit Preisen ausgezeichnet.

„Mutmaßliche Hamas-Tunnel“

Dass jeder Krieg auch ein Krieg um die Deutungshoheit ist, dass also jede Seite ein massives Interesse an Einflussnahme hat, ist eine banale Erkenntnis. Das Misstrauen gegenüber Israel ist aber offenkundig deutlich größer als gegenüber den Angaben der Terrororganisation. Im Februar 2024 nehmen die israelischen Streitkräfte, nimmt die IDF ausländische Journalisten mit in einen Tunnel der Hamas. Er verläuft unter einer Schule. Direkt unter dem Hauptquartier des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) liegt die Kommandozentrale der Hamas. Überprüfen könne sie die Angaben nicht, sagt Sophie von der Tann, obwohl sie selbst im Tunnel steht. Passend titelt „tagesschau.de“, das israelische Militär zeige „mutmaßliche Hamas-Tunnel“. Mutmaßlich? Den Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums zu mutmaßlichen Hungertoten traut sie dagegen erkennbar mehr als israelischen Wissenschaftlern.

Ein Hamas-Terrorist steht Wache, während ägyptische Arbeiter in Begleitung von Mitgliedern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) nach den letzten beiden Leichen der Geiseln – einem israelischen Soldaten und einem thailändischen Staatsangehörigen – unter den Trümmern des Flüchtlingslagers Jabalia im Norden des Gazastreifens suchen, 1. Dezember 2025.



Am 28. Juli 2025 wurde in Israel eine wissenschaftliche empirische Studie veröffentlicht, die zum Ergebnis kommt, dass es weder für eine Hungersnot in Gaza Belege gebe noch für systematische Angriffe auf Zivilisten. Darüber informiert uns die Korrespondentin nicht. Sie interviewt stattdessen zwei Experten, die nichts mit der Studie zu tun haben und von „Genozid“ sprechen. „Die Diskussion über die rechtlichen und ethischen Implikationen des Krieges ist zwar wichtig“, aber sie müsse „auf einer soliden Faktengrundlage be­ruhen, um sinnvoll und relevant zu sein“, heißt es in eben dieser Studie. Auch die gerade veröffentlichten und journalistisch sofort verbreiteten Zahlen des Max-Planck-Instituts Rostock von geschätzt mindestens 100.000 Kriegstoten in Gaza bezweifelt der Militärhistoriker und Mitautor der Studie, Professor Danny Orbach von der Hebräischen Universität Jeru­salem, wie er am vergangenen Mittwoch persönlich im Bundestag ausführte. Leider ohne jegliche Resonanz bei ARD und ZDF.

In der ARD heißt es: Jetzt erst recht

Solche Beispiele tendenziöser Berichterstattung führen zu Protesten auch von offizieller israelischer Seite, was verständlich und völlig legitim ist. Innerhalb der ARD aber lösen sie vor allem ein trotziges Jetzt-erst-recht aus, wie die Jurybegründung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Sophie von der Tann zeigt. Die Journalistin habe, heißt es, „Haltung“ bewahrt gegenüber dem „wirkmächtigen“ israelischen Botschafter, der den „Kontext der deutschen Geschichte“ benutze, „um professionelle, fakten-basierte Berichterstattung auszuschalten“. Sophie von der Tann ist das junge ARD-Gesicht der Parole „Free Palestine from German Guilt“.

Vielleicht ist diese Verschiebung der folgenschwerste Sieg der Hamas. Antisemi­tische Narrative, zumal im Gewand der Israelkritik, werden nicht mehr analysiert. Kritik wird als unbilliger politischer Versuch der Einflussnahme abgewehrt. Der Antisemitismusvorwurf, argumentierte jüngst auch das ARD-Politikmagazin „Panorama“, werde benutzt, um Kritiker zu diffamieren, die Israel Genozid vorwerfen. Das mag vereinzelt stimmen, aber politische Motive sagen noch lange nichts aus über den inhaltlichen Gehalt des Vorwurfs. Die Verhältnismäßigkeit der israelischen Kriegsführung muss selbstverständlich diskutiert werden. Statt aber nach den Belegen für den Vorwurf des Völkermords zu fragen, wird nur präsentiert, was zur vorab feststehenden Antwort passt. Abweichende Beurteilungen, wie die von Professor Orbach, werden nicht einmal erwähnt. Stattdessen beklagt „Panorama“, dass Studenten der FU Berlin aus Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf, der „Karrieren vernichten“ könne, „Selbstzensur“ übten.

Eine Drohnenaufnahme aus Gaza-Stadt, aufgenommen Mitte Oktober.



Gibt es Beispiele für vernichtete Karrieren durch unbegründete Antisemitismus-Vorwürfe? Oder handelt es sich um eine gefühlte Wahrheit, um die gefährliche Verbreitung des antisemitischen Gerüchts von der „jüdischen Lobby“? Was es nachweislich gibt, ist „Panorama“ keiner Erwähnung wert: das einschüchternde univer­sitäre Klima, in dem sich manche jüdische Studierende nur gemeinsam in die Mensa wagen, israelische Wissenschaftler bedroht werden und ihre Vorlesung aus Sicherheitsgründen teils nur online halten können.

Die Terrorherrschaft der Hamas ist ein blinder Fleck

Die Instrumentalisierung des Genozidvorwurfs, die islamistische Infiltration in Wissenschaft, Kunst und Kultur, die Verflechtung der Hamas mit der UNRWA – all das wären lohnende Themen für die glorreichen Investigativteams von ARD und ZDF. Auch Hintergrundinformationen zur Terrorherrschaft der Hamas sind blinde Flecken der Berichterstattung, dabei haben diese unmittelbare Auswirkungen auf unseren Blick auf Gaza. Wer in Ungnade fällt, riskiert sein Leben. Wer Propaganda macht, wird belohnt. Eine Presseweste allein macht noch keinen Journalisten. Ein Mikrofon im Bild mit dem Logo der ARD oder des ZDF suggeriert, dass die Korrespondenten selbst vor Ort seien, tatsächlich aber sind es ausschließlich der Hamas genehme Bilder und Aussagen, die so zu uns gelangen. Entsprechend stehen alle Bilder, die uns aus Gaza zugeliefert werden, unter einem Glaubwürdigkeitsvorbehalt.

Die Niederlassung der „Palestine Media Production“, mit der das ZDF zusammenarbeitete, nach dem israelischen Angriff, bei dem ein Hamas-Kommandeur, der für PMP arbeitete, und ein achtjähriger Junge ums Leben kamen.



Daher ist die Überraschung des ZDF, dass sich ein Mitarbeiter einer palästinensischen Medienfirma, mit welcher der Sender eng kooperierte, als Hamas-Kommandeur erwies, entweder naiv oder unglaubwürdig. Über Ahmed Abu Mutair, dessen Tod der ZDF-Korrespondent Thomas Reichart sofort eingeordnet hatte in „das Muster“ israelischer Angriffe auf Journalisten, heißt es jetzt beruhigend, dass er nur ein unbedeutender technischer Mitarbeiter der Firma gewesen sei, der nie Einfluss auf die Berichterstattung des ZDF gehabt habe. Wer sich so rausredet, verschleiert die tatsächlichen Bedingungen der Berichterstattung in einer Diktatur. Wer traut sich, offen journalistisch zu ar­beiten in Gegenwart eines Hamas-Kommandeurs? Die Naivität hat System. Das war schon vor der Hamas so.

Als der damalige ZDF-Korrespondent Stefan Merseburger vor 25 Jahren mit seinem Team Bilder des Lynchmords an israelischen Reservisten in Ramallah drehte – die Geburtsstunde der blutigen Handflächen, mit denen heute Hamas-Fans im Westen posieren – wurde er massiv bedroht und sein Material vernichtet. Das alles geschah unter der als gemäßigt geltenden PLO. Schon damals setzte die palästinensische Seite auf die Macht der Bilder. Diese Strategie darf nicht länger aufgehen. Der Programmauftrag ist nicht weniger als eine Verpflichtung, das ganze Bild zu zeigen. Es wird Zeit, sich daran zu erinnern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird langfristig nur überleben, wenn er bereit ist zu radikaler Selbstkritik und wenn er sich nicht ideologisch vereinnahmen lässt. Um es mit den Worten Hanns Joachim Friedrichs zu sagen: Guter Journalismus macht sich mit keiner Seite gemein.

Esther Schapira ist Journalistin, Buchautorin und lebt in Frankfurt. Von 1995 an arbeitete sie als Redakteurin beim Hessischen Rundfunk zuletzt leitete sie die Abteilung Fernsehen Politik. Gemeinsam mit Georg M. Hafner erhielt sie die Buber-Rosenzweig-Medaille.


History reloaded: Die Wiederkehr der Staatsbürgerkunde?

von Thomas Hartung

Auch ohne Bundesverfassungsgerichts-Berufung eine „furchtbare Juristin” in diesem Land: Frauke Brosius-Gersdorf bei “Lanz”



Frauke Brosius-Gersdorf wäre eigentlich keine Person von öffentlicher Relevanz mehr, seit sie als Bundesverfassungsrichterin in letzter Minute verhindert wurde. Trotzdem haben öffentlich-rechtliche Gesprächsformate seitdem an ihr einen Narren gefressen. am vergangenen Donnerstag durfte die Potsdamer Professorin einmal mehr bei Markus Lanz im ZDF gastieren. Dort dachte sie gepflegter Talkshow-Ruhe laut darüber nach, wie man den demokratiegefährdenden Bürger unserer Tage zur Raison bringen könnte. Dabei fiel ein verräterischer Satz, der im Grunde alles sagt: Wer sich im Netz „unzulässig“ äußere, so Brosius-Gersdorf, müsse vielleicht eine „Schulung in Rechts- und Wertekunde“ bekommen. Gleichzeitig plädierte sie für ein strengeres Vorgehen gegen Anonymität, für Klarnamenpflicht und für ein härteres Durchgreifen gegen „Hass und Hetze“. Man reibt sich verwundert die Augen: Sind wir schon wieder so weit, dass der Staat – vertreten durch seine Professoren – dem erwachsenen Bürger Nachhilfe in “Wertekunde“ verordnen möchte, wenn dieser falsche Ansichten vertritt oder die falschen Worte benutzt? Und, anders gefragt: Heißt dieses Fach dann wieder „Staatsbürgerkunde“, wie das berüchtigte DDR-Schulfach?

Bemerkenswert ist zunächst die Tonalität, in der solche ungeheuerlichen Überlegungen vorgetragen werden: sachlich, professoral, scheinbar nüchtern. Brosius-Gersdorf bemüht die Chiffrensprache totalitärer Platzhalterbegriffe beklagt eine „Zunahme von Hass und Hetze“, kritisiert „Shitstorms“ und betont die Gefahren der Anonymität. Heute könne „jedermann im Internet massenmedial“ agieren, früher sei das nur „ausgebildeten Journalisten“ mit “Ethos” vorbehalten gewesen. Jetzt aber redeten „alle über alles – anonym“. In diesem knappen Lamento steckt die ganze alte Sehnsucht der Eliten nach dem Zeitalter der analogen Gatekeeper: ein überschaubarer Kreis von Berufskommentatoren, allesamt sozialisiert in ähnlichen Milieus, filterte in der vordigitalen BRD noch die Wirklichkeit und liefert dem Bürger die vorverdaute Meinung gleich mit.

Das Internet hat diese Ordnung zerschlagen – und damit auch das Monopol jener Bildungs- und Medienkaste gebrochen, aus der Staatsrechtsprofessorinnen üblicherweise rekrutiert werden. Dass aus genau diesem Milieu nun der Ruf nach „Wertekunde-Schulungen“ ertönt, ist keine Fußnote, sondern rationale Selbsterhaltungslogik der Lage: Wer die Deutungshoheit verliert, ruft eben nach Regulierungs- und Erziehungsinstrumenten.

„Wertekunde“ – ein alter Bekannter im neuen Gewand

Der Begriff „Wertekunde“ klingt weich, beinahe pädagogisch harmlos. Wer könnte schon etwas gegen „Werte“ haben? Doch jeder, der die Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert halbwegs kennt, wird unruhig, wenn der Staat sich anmaßt, „richtige“ Werte nicht nur zu schützen, sondern aktiv zu lehren – und Abweichler zu schulen. Wie gesagt: In der DDR hieß das einschlägige Fach „Staatsbürgerkunde“, kurz Stabü; es war verpflichtend ab der 7. Klasse – und sollte nichts weniger leisten als die Herausbildung eines „gefestigten Klassenbewusstseins“ und das Bekenntnis zum „Arbeiter- und Bauernstaat“; vermittelt wurden Marxismus-Leninismus, die „führende Rolle der SED“ und das Überlegenheitsdogma des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus.

Wenn heute eine Fast-Bundesverfassungsrichterin – vorgeschlagen von der SPD – darüber nachsinnt, für „unzulässige“ Äußerungen im Netz eine „Schulung in Rechts- und Wertekunde“ anzuordnen, dann ist das strukturell derselbe Gedanke: Es gibt einen politisch definierten Wertekanon, es gibt zulässige und unzulässige Meinungen – und wer daneben liegt, wird nicht nur sanktioniert, sondern auch pädagogisch bearbeitet. Der Name hat sich geändert, die Logik nicht. Aus „Staatsbürgerkunde“ wird „Wertekunde“, aus der „sozialistischen Persönlichkeit“ wird der „demokratiekompetente Bürger“, aus dem Klassenfeind wird der „Hassredner“, der „Verschwörungstheoretiker“ oder der „rechte Hasser“. Es ist dieselbe Sprache der Funktionalisierung: Der Bürger ist Material, an dem gearbeitet werden soll.

Wer bestimmt, was „unzulässig“ ist?

Aufschlussreich ist das kleine Wörtchen „unzulässig“. Brosius-Gersdorf spricht nicht etwa nur von strafbaren Äußerungen – Volksverhetzung, übler Nachrede, nachweislich falschen Tatsachenbehauptungen –, für die es längst ein robustes Strafrecht gibt; nein, sie bewegt sich bewusst in einer Grauzone, in der politische und moralische Missbilligung in „Unzulässigkeit“ übersetzt wird. Und genau dort beginnt das Problem. Strafbare Inhalte sind längst geregelt, Gerichte urteilen darüber. Wenn nun aber zusätzlich ein Bereich „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ politisch markiert wird – als toxisch, demokratieschädlich, als beliebig auslegbare „Hass und Hetze“ –, dann öffnet sich der Raum für informelle, moralische und administrative Sanktionen: Deplattformierung, Kontosperrungen, berufliche Nachteile, gesellschaftliche Ächtung – und neuerdings: „Schulung in Wertekunde“. Die entscheidende Frage lautet: Wer legt fest, was „unzulässig“ ist? Die Professorin? Der gesinnungsgeprüfte „Faktenchecker“? Die Redaktionen öffentlich-rechtlicher Sender? Brüsseler Kommissionen? Aktivistische NGOs?

Wenn die gleiche Staatsrechtslehrerin bei anderer Gelegenheit über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren nachdenkt und erklärt, man müsse nur genug Material des Verfassungsschutzes zusammentragen, dann zeigt sich, woher der Wind weht: Politischer Dissens wird immer öfter als Gefahr für die Verfassung etikettiert, nicht als ihr Ausdruck. Die Grenze zwischen „nicht meiner Meinung“ und „unzulässig“ verwischt – und genau das ist der Traum jeder Gesinnungspädagogik.

Klarnamenpflicht als Einfallstor der Einschüchterung

Dass Brosius-Gersdorf gleichzeitig eine Klarnamenpflicht im Netz befürwortet, fügt sich nahtlos ins Bild. Die Anonymität sei “problematisch”, so ihr Argument; man könne so schwerer gegen unliebsame Äußerungen vorgehen. Auch hier hilft ein Blick in die Geschichte: Anonymität oder Pseudonymität ist nicht zufälliges Beiwerk moderner Debatten, sie war stets ein Schutzraum für Oppositionelle, Dissidenten, Minderheiten und einfache Bürger, die nicht über die institutionelle Macht verfügen, ihre Existenz im Konfliktfall abzusichern. In Regimen, die Staatsbürgerkunde und politische Umerziehung ernst meinten, war der Bürger dagegen total identifizierbar – und entsprechend erpressbar. Hätten die Geschwister Scholl oder Widerstandsbewegungen im Ostblock zu UdSSR-Zeiten ihre Flugschriften mit Klarnamen unterzeichnet, hätten sie gleich Selbstmord begehen können.

Auch wenn es heute nicht um Leben und Tod geht: Eine Klarnamenpflicht in Verbindung mit einem extrem ausgedehnten und arbiträren Begriff von „Hass“, „Hetze“ und „Unzulässigkeit“ bedeutet in der Praxis: Jeder, der im Netz offen widerspricht, läuft Gefahr, mit voller bürgerlicher Identität markiert und sanktioniert zu werden. Für Beamte, Angestellte im öffentlichen Dienst, Lehrer, Studenten, abhängig Beschäftigte ist das mehr als nur ein „Diskussionsrisiko“; es bedroht Erwerb, Karriere, manchmal die Sicherheit der Familie. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um echte Morddrohungen oder harte Straftaten im Netz. Die kann man schon heute verfolgen, auch mit IP-Ermittlung und richterlicher Anordnung. Es geht um Meinungen, um Zuspitzungen, um Polemik – kurz: um das, was man früher als normale Konfliktkultur einer freien Gesellschaft angesehen hätte.

Die selektive Empfindlichkeit

Interessant ist der doppelte Boden in Brosius-Gersdorfs Auftritt bei Lanz: Sie kritisiert, dass Alice Weidel als „Nazischlampe“ bezeichnet wurde, und moniert zu Recht, dass dies einerseits den Nationalsozialismus verharmlost und andererseits frauenverachtend ist. Man möchte applaudieren – endlich verteidigt einmal jemand aus dem Juste Milieu eine AfD-Politikerin gegen enthemmte Beschimpfung –, aber der Applaus bleibt im Halse stecken. Denn bei Brosius-Gersdorf lautet die Konsequenz nicht, dass wir uns stets daran erinnern müssen, dass Meinungsfreiheit auch das Recht einschließt, sich zu irren, zu provozieren und zu übertreiben, und dass der Staat mit Strafrecht zurückhaltend sein muss. Nein, stattdessen lautet ihre Konsequenz: Wir brauchen härtere Regeln, mehr Kontrolle, mehr rechtliche Instrumente – und eben jene „Wertekunde“-Schulungen für all die, die aus der Sicht der akademischen Elite entgleisen. Man könnte zugespitzt sagen: Auch die Behandlung von Beleidigungen gegen AfD-Politiker dient nicht dem Schutz einer echten Pluralität, sondern der Feinjustierung des Moralkorsetts. Die Botschaft lautet: „Seid bitte sachlich – aber innerhalb unseres normativen Rahmens. Widerspruch ja – aber brav, gemäßigt, möglichst folgenlos.“

Hinter alldem steht eine tiefe Nervosität vor der neuen, ungebremsten Öffentlichkeit des Netzes. Brosius-Gersdorf diagnostiziert einen „Wandel der Debattenkultur“, beklagt, dass „laute Stimmen“ und „einseitige Positionen“ durch Algorithmen bevorzugt würden. Sicher, es gibt Schmutz, Übertreibung, Aggression. Aber: Die ungefilterte Öffentlichkeit macht auch sichtbar, wie groß die Entfremdung zwischen politisch-medialen Eliten und großen Teilen der Bevölkerung geworden ist. Wer den Corona-Kurs der Regierung kritisierte, wer Zuwanderungszahlen, Gender-Ideologie, Energiewende, EU-Zentralismus oder Wehrpflichtpolitik infrage stellte, erlebte im Netz oft, dass er nicht allein ist. Die „Shitstorms“ richteten sich selten gegen einfache Bürger von unten, sondern gegen Institutionen, Medienmarken, Minister. Was aus Sicht eines Staatsrechtslehrstuhls wie „Hetze“ wirkt, ist aus Sicht des Bürgers manchmal das letzte verbliebene Ventil. Und eine Demokratie, die ihre Ventile mit „Wertekunde-Schulungen“ verstopfen möchte, sollte sich ehrlich fragen, ob sie noch Vertrauen in ihre eigene Überzeugungskraft hat. Da tut gut, dass Richard David Precht in der selben Sendung zum “Schwachkopf”-Mem erklärte: „Ich glaube, dass der Rentner aus Bayern, der dieses Meme fabriziert hat, weniger Schaden an der Demokratie angerichtet hat als Robert Habeck dadurch, dass er diesen Mann hat verfolgen lassen.“

Von der politischen Bildung zur Gesinnungskorrektur

Es ist wichtig zu unterscheiden: Es gibt eine legitime politische Bildung, die dem Bürger Kenntnisse verschafft: über Verfassung, Institutionen, Rechte und Pflichten, geschichtliche Grundlinien. Solche Bildung ist Voraussetzung dafür, dass man überhaupt sinnvoll von „mündigen Staatsbürgern“ sprechen kann. Und es gibt eine Gesinnungskorrektur, die nicht mehr bilden, sondern formen will: die aus dem Bürger einen normkonformen Träger „richtiger Werte“ machen möchte. In der DDR nannte man das ausdrücklich „Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit“, in der Staatsbürgerkunde wurde die ideologische Sicht der SED als alternativlose Wahrheit präsentiert. Wenn nun eine verhinderte Beinahe-Bundesverfassungsrichterin eine „Schulung in Wertekunde“ für Regelabweichler fordert, dann rutscht der Diskurs von der ersten in die zweite Kategorie.

Und zwar genau dorthin, wo der Bürger seine Freiheit am intensivsten erlebt: in der freien Rede, im Widerspruch, im Streit. Eine freiheitliche Ordnung braucht keine staatlich verordnete „Wertekunde“ für Erwachsene, die sich im Netz danebenbenommen haben. Sie braucht Richter, die das bestehende Strafrecht anwenden, Medien, die sich um Fairness bemühen, und eine politische Klasse, die Kritik aushält, auch wenn sie „laut“ ist.

Werte lassen sich vorleben, diskutieren, tradieren – aber nicht verordnen. Schon gar nicht von jenen, die zugleich für Impfpflicht, weitreichende Eingriffe in körperliche Selbstbestimmung, massive Regulierung der politischen Konkurrenz und eine Entwertung des Lebensschutzes ungeborener Kinder plädieren.

„Wertekunde“ als Warnsignal

Das eigentlich Beunruhigende an Brosius-Gersdorfs Vorstoß liegt darin, wie normal er inzwischen wirkt. Der Gedanke, dass man Bürger „nachschulen“ müsse, wenn sie „falsch“ reden, ist längst in Behörden, NGOs, Schulen und Medien zur täglichen Praxis geworden: Antidiskriminierungs-Workshops, „Demokratie-Trainings“, Pflichtfortbildungen gegen „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ – das alles existiert bereits.

Die vorgeschlagene „Schulung in Wertekunde“ für „unzulässige“ Äußerungen im Netz wäre nur der nächste Schritt: der Übergang von der moralisch-politischen Kampagne zur justiziell flankierten Umerziehungsinstitution. Ein bisschen DDR, ein bisschen EU-Kommission, ein bisschen Kulturkampf – alles hübsch verpackt in die Sprache des „Rechtsstaats“ und der „Resilienz“.

Deshalb ist die Frage, ob das Fach dann wieder „Staatsbürgerkunde“ heißt, mehr als ein polemischer Seitenhieb. Sie ist ein Test: Erkennt diese Gesellschaft die alten Muster, wenn sie in neuen Gewändern auftreten? Wer aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts etwas gelernt hat, müsste an dieser Stelle hellhörig werden – und nicht nach dem Curriculum für „Wertekunde“ fragen, sondern nach den Grenzen staatlicher Erziehungsmacht. Eine freiheitliche, rechtsstaatliche Demokratie zeigt sich nicht daran, wie energisch sie ihre Bürger „schult“, sondern daran, wie viel Dissens, Zumutung, Ungerechtigkeit in der Sprache sie ohne Umerziehung erträgt. Solange Staatsrechtsprofessorinnen in Talkshows ungehindert über die „Schulung“ andersdenkender Bürger nachdenken können, ist die Meinungsfreiheit zwar formell noch intakt – aber das geistige Klima, in dem sie lebt, wird merklich enger. Man sollte sich daran erinnern, bevor die ersten Lehrpläne für „Wertekunde“ geschrieben sind.


Montag, 1. Dezember 2025

Die Schatten-Armee von Gießen...

von Peter Winnemöller

Man muss das Geschehen von Gießen mit militärischen Augen betrachten: Die Demonstranten fielen in einer Stärke von drei Divisionen über den Ort her. Dafür braucht es generalstabsmäßige Planung und Kommandostrukturen. So sieht keine Demonstration, sondern ein organisierter Krieg gegen den Staat und seine Bürger aus.

Die Bilder vom Samstag aus Gießen waren ein Grauen für jeden friedlich und freiheitlich denkenden Menschen. Linke Truppen sind in einer Stärke von ungefähr drei Divisionen über die hessische Stadt hergefallen und haben Angst und Schrecken verbreitet. Eine Division umfasst 10.000 Soldaten. Die Angabe der Teilnehmer in Gestalt einer militärischen Verbandsbezeichnung erfolgt hier sehr bewusst.


Es war nicht der Kampf von ganz links gegen ganz rechts, den Bundeskanzler Friedrich Merz herbeifantasiert hatte, denn es waren keine rechten Truppen auf der Straße und in die Kämpfe verwickelt. Gekämpft haben linke Truppen gegen das Bürgertum einer Stadt, die für einen Tag in Angst und Schrecken lebte. Den Einsatzkräften der Polizei ist zu verdanken, dass es glimpflich ausging. Dafür verdienen die Beamten, die ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzt habe, Dank und Anerkennung. Es war schlimm und es hätte weitaus schlimmer kommen können.

Der Anlass für den Überfall auf Gießen war so banal, dass man es fast gar nicht fassen kann, wie daraus ein solches Chaos entstehen kann. Die derzeit in Umfragen stärkste politische Kraft im Land veranstaltet eine Gründungsversammlung ihrer künftigen Jugendorganisation. Schon Tage und Wochen zuvor setzt das Grauen ein. Der politische Gegner dieser Partei beginnt eine ganze Stadt einzuschüchtern. Schulen schließen. Hotels und Gastronomiebetriebe stellen den Betrieb ein. Der Einzelhandel schließt in einigen Gebieten. Ein Weihnachtsmarkt in einem kleinen nahegelegenen Ort wird abgesagt. Noch einmal: Es ist weder Pandemie noch ist der Dritte Weltkrieg ausgebrochen: Es soll die Jugendorganisation einer Partei gegründet werden. Niemand ist gezwungen, diese Partei zu mögen, und es ist das gute Recht eines jeden, diese Ablehnung frei, unbeschränkt und friedlich auch auf einer Versammlung unter freiem Himmel zu äußern.

In einem freiheitlichen Staat ist der Ausgleich einander widerstrebender Rechte von gleicher Wertigkeit eine der wichtigsten Aufgaben aller Organe des Staates. Der Grund dafür liegt darin, dass der Souverän in einem freiheitlich demokratischen Staat nicht etwa ein Monarch oder ein Diktator wäre, sondern das Volk dieses Staates. Bei uns steht das im Grundgesetz. Da aber ein Volk im Idealfall immer maximal heterogen hinsichtlich seiner politischen Ansichten ist, ist es genau dieser Ausgleich der Interessen, den zu schützen die große Herausforderung und die vornehmste Pflicht der Staatsorgane darstellt. Darum ist es beispielsweise in Deutschland gute Rechtspraxis, zwei entgegengesetzte politische Kundgebungen in Sichtweite stattfinden zu lassen, denn es nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, von der entgegengesetzten Ansicht Kenntnis zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen. In einem freiheitlichen Staat, dessen politische Kultur intakt wäre, hätte die Demonstration gegen die Gründung der AfD-Jugendorganisation direkt vor der Halle stattfinden können.
 
Generalstabsmäßig geplanter Angriff auf die Infrastruktur einer ganzen Region

Wir sahen jedoch das exakte Gegenteil davon. Schon Tage vorher war klar, dass es zu Ausschreitungen, Gewalt, Blockaden und Übergriffen in erheblichem Ausmaß kommen würde. Angekündigt waren 50.000 Demonstranten. Es kamen 30.000. Bei einem solchen Aufmarsch stellen sich Fragen. Die allererste Frage ist, wie es gelingen kann, in einer solchen Größenordnung zu mobilisieren. Die Teilnehmer der linken Aktion – es fällt schwer, diesen Angriff als Demonstration zu bezeichnen – waren teilweise von weither angereist. Es war zuweilen von 200 Bussen die Rede. Das reicht natürlich noch lange nicht. Es müssen mehr gewesen sein. Bahn und PKW gibts ja auch noch.

Man stelle sich die Logistik vor, die es braucht, 30.000 Menschen in eine Region zu bekommen, ohne dass diese sich selbst komplett blockieren. Wer sich am Morgen des Samstags die Karte von Gießen ansah, auf der die blockierten Straßen zu sehen war, konnte es schnell begreifen: Das war nicht einfach eine Demonstration, das war ein generalstabsmäßig geplanter Angriff auf die Infrastruktur einer ganzen Region. Autobahnen und eine Bundesstraße – exakt jene Straßen, die die Teilnehmer am Gründungskongress würden nehmen müssen – waren um 9 Uhr morgens nicht mehr befahrbar. Busse von Teilnehmern saßen fest und mussten mühsam von der Polizei zur Halle eskortiert werden. Die Blockade der Bundesstraße erfolgte mit herbeigeschafften Baumstämmen. Ein Zufallsfund? Vorher bereitgestellt? Vorher ausgekundschaftet? Die Bilder zeigten, wie die Stämme herangetragen wurden. Das war kein improvisierter Dilettantismus.

Bilder der Straßenblockaden, aber auch Videos von Schlachten mit der Polizei zeigten Demonstranten in gleicher Kleidung. Es ist wohl nicht übertrieben, von uniformierten Truppen zu reden. Die Uniform hat neben der identitätsstiftenden Funktion einer Truppe – wir gehören zusammen, wir sehen gleich aus – auch die Funktion der Freund-Feind-Unterscheidung. Das ist sehr professionell. Und das ist der entscheidende Satz in der Beurteilung des linken Überfalls auf Gießen. Wenn man eine Kundgebung mit 1.000 Personen plant, dann braucht man einen Stab von 10 Personen, die die organisatorischen und rechtlichen Fragen planen, regeln, kommunizieren. Dazu kommen 20 Ordner, eine Reihe Sanitäter, ein technischer Stab für die Ausrüstung. Dieser Planungsstab vergrößert sich nicht sonderlich, wenn man 3.000 oder 5.000 Teilnehmer hat. Allenfalls die Zahl der Ordner erhöht sich proportional. Hier geht es um eine Kundgebung, vielleicht mit einem Demonstrationszug an einem Ort und auf einen Weg. In Gießen waren es multiple Orte, verschiedene Wege und unterschiedliche Arten von Einsätzen. Das ging bis dahin, dass sich pseudomilitärische Teilnehmer von einer Brücke abseilten. Busse hielten koordiniert auf der Autobahn und ließen Teilnehmer aussteigen. Wenn man das so machen will, dass die Teilnehmer nicht gefährdet werden, muss das sehr genau geplant und koordiniert werden. Genau geplant und organisiert werden muss auch, wer wann wo anreist. Welche Busse welche Route nehmen, wo angehalten und wo genau die Blockade zu errichten ist.

Woher kommt das Geld?

Wie oben gesagt, fielen die Demonstranten in einer Stärke von drei Divisionen über den Ort her. Mithin ist es nicht damit getan, dass ein Stab das Ereignis zentral plant und durchführt, es braucht eine klare und strenge top-down organisierte Kommandostruktur, es braucht in den Teileinheiten eine Kommandostruktur, und es braucht eine funktionierende Kommunikation, die von oben nach unten Anweisungen gibt und von unten nach oben Meldungen macht. Bei der Planung einer Aktion, bei der mit zunächst 50.000 Teilnehmern gerechnet wird, steigt die Anzahl der Mitarbeiter in den Stäben, die es dann auch auf unteren Ebenen geben muss, exponentiell an. Das machen keine Studenten in ihrer Freizeit, das sind vermutlich bezahlte, professionelle Kräfte, die sich nicht nur um die Organisation, sondern auch um die Motivierung und Aktivierung der Teilnehmer, sowie um deren Ausstattung kümmern. Und wenn es nur 5.000 gelbe Warnwesten sind, die müssen beschafft (und bezahlt) werden. Und auch hier stellen sich Fragen. Woher kommt das Geld? Wir reden viel über den finanziell gut ausgestatteten NGO-Sektor. Wir erleben in jüngster Vergangenheit immer öfter, dass linke Demonstranten gezielt – auch von weiter weg – herangeholt werden, um Demonstrationen zu verstärken. Immer wieder gab es Hinweise darauf, dass die Demonstranten für ihre Teilnahme bezahlt und von den Veranstaltern verpflegt wurden. Auch Literatur zur Planung und Durchführung solcher Aktionen ist inzwischen reichlich vorhanden. „Tipps und Tricks für Antifas und Antiras“, so heißt eines der bekanntesten Bücher, welches unschöne Prominenz erlangte, weil Wolfram Weimer den Antifa-Verlag, der das Buch herausbrachte, dieses Jahr mit 50.000 Euro Steuergeld, nämlich mit dem Hauptpreis des Deutschen Verlagspreises, förderte.

Bereits eine oberflächliche Analyse zeigt, was am Samstag in Gießen passiert ist. Der Staat finanziert mit Steuergeld eine Truppe, die ihn selbst angreift und gegen den er sich durch ein Einsatz massiver Polizeikräfte zur Wehr setzen muss. Friedrich Merz irrt sich in mehr als nur in einer Hinsicht, wenn er einen Kampf von ganz links gegen ganz rechts herbeiredet. Es ist bei ganz genauer Betrachtung nichts anderes als ein Kampf des Staates gegen sich selbst auf Kosten der steuerzahlenden Bürger. Denn die Polizei wird aus Steuermitteln finanziert, was gut und richtig ist, denn das Gewaltmonopol ist dem Staat im Gegenzug zu einem Schutzversprechen für die Bürger anvertraut. Es wird aber auch die Antifa aus Steuermitteln finanziert. Dies konterkariert das Schutzversprechen des Staates an seine Bürger, denn hier werden gewaltbereite Organisationen finanziell aufgerüstet, die eben dieses Gewaltmonopol des Staates nicht anerkennen.

Angesichts der Tatsache, dass linke Kräfte gerne einmal betonen, dass bei „Nazis raus“ CDU und CSU mitgemeint sind, möge man bedenken, dass 50.000 gezielt eingesetzte, strategisch gut koordinierte Demonstranten mit dem in Gießen erprobten Verfahren auch einen CDU-Bundesparteitag erheblich stören oder einmal ganz verhindern könnten. Wissen wir denn, ob bei fortschreitender Entwicklung linken Kräften nicht in drei Jahren gelingt, 100.000 Menschen auf Straße zu bringen? Alles eine Frage des Geldes. Der Versuch der Antifa, fünf Divisionen aufzustellen, die über eine friedliche Stadt herfallen sollten, führte dazu, dass sie drei geschafft hat. Diesmal. Auch die Strategen in den Planungsstäben der Antifa sind lernfähig und werden ihre Strategien überarbeiten. Wenn der Staat allerdings hier nicht in sich geht und seine Strategie hinsichtlich der Gewährleistung des Schutzes der Bürger vor linker Gewalt ganz und gar grundständig überdenkt, dann könnte der 29. November 2025 als die erste Schlacht eines Bürgerkrieges der Antifa gegen den bürgerlichen Staat erinnert werden.


Sonntag, 30. November 2025

Gießen ist erst der Anfang

von Theo-Paul Löwengrub

Linksextremer Aufstand



Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Das, was wir heute in Gießen gesehen haben, ist nur ein harmloser Vorgeschmack auf das, was passieren wird, wenn die AfD irgendwann in einem Bundesland, geschweige denn im Bund regieren sollte oder auch nur in Mitverantwortung genommen wird. Es wird ja ständig so getan, als sei eine gewonnene Landtagswahl oder gar eine absolute Mehrheit im Bund bereits die Rettung Deutschlands. Das ist ein Trugschluss. In diesem Fall wären Methoden wie Generalstreik, Sabotage durch bürokratischen Widerstand und zum heldenhaften „Widerstand“ verklärte Insubordination an der Tagesordnung. Schon das Vorabframing eines Regierungswechsels als „Machtergreifung“ bereitet dafür prophylaktisch die Grundstimmung.

Ein geordneter Übergang der Macht und damit die Umsetzung des vom Wähler gewollten Politikwechselns wäre dann kein Problem, wenn demokratische Mehrheiten hierzulande respektiert würden und der Staatsapparat noch überparteilich-neutral wäre. Das ist er nicht mehr; er ist von politischen Aktivisten und Ideologen unterwandert. Deshalb ist es eine Illusion zu glauben, die AfD könne bei einer Mehrheit – egal wo in Deutschland – reibungslos regieren. Wenn die CDU die Kraft fände, sich morgen der Lügen-Junta an ihre Spitze zu entledigen, und wieder zu ihren eigentlichen Vormerkel-Werten und ihrer Kernsubstanz zurückkehrte, würde es ihr nicht anders ergehen – denn dann wäre sie den tiefen Linksstaat exakt dieselbe Bedrohung wie heute die AfD. Gezeigt hat sich dies schon im Januar, als es lediglich um vage Ansätze eine gemeinsamen Politik ging – wie damals beim Zustrombegrenzungsgesetz: Im Nu fand sich die Union in der Faschistenecke wieder.

Zurück zur Vernunft

Es geht den Linken darum, jene „andere Republik„, vor der sie warnen und die sie verteufeln, zu verhindern. Und diese Republik wäre geprägt von einer Rückkehr zu liberal-konservativen Fundamenten, zu Vernunft, zu Freiheit und Eigenverantwortung, zu Ideologieferne, zu einer politischen Orientierung an deutschen Interessen und zu einem gesundem deutschen Patriotismus. Ob AfD, CDU oder beide gemeinsam: Sobald, nach einem Ende der Brandmauer, die Mehrheiten dafür stehen, wird es zum Amoklauf der linksgrünen Klasse kommen. Diese wird in politmedialer Selbstverstärkung alle Hebel in Bewegung setzen, die AfD und alle, die mit ihr kooperieren, zu bekämpfen, einzuschüchtern und anzugreifen – auch mit physischer Gewalt. Das sind dann Weimarer Verhältnisse, wie wir sie derzeit (noch) nur punktuell erleben – so wie heute in Gießen. Die Probleme dürften dann erst richtig losgehen. Dasselbe politische Milieu, das solche Zustände wie in Gießen heran gezüchtet hat, sie duldet und fördert, wird jede Art von (aus seiner Sicht gerechtfertigtem auch übergesetzlichen) Widerstand praktizieren und sogar exzessive Gewalt anwenden – im Namen einer „Demokratierettung“, die soviel mit diesem Begriff zu tun hat wie 1989 die Versuche des SED-Regimes, sich zu retten.

Insofern geht es nicht um die AfD. Es geht um den Politikwechsel, wer immer sich am Ende an ihm beteiligt. Das linksgrüne Kartell in Bildung, Kultur, Medien, Staatsapparat und Regierungen muss entmachtet werden. Entweder wird diese Hydra besiegt, oder wir können Deutschland abschreiben.


Samstag, 29. November 2025

Rossmann und der Haltungsterror

von Michael Münch

Im Land der politischen Zwangsbekenntnisse…



Aktuell ist wieder mal eine große Säuberungsaktion im Gange, diesmal gegen die Vernunftbasierten und Dialogbereiten. Weil man die AfD nicht wegverbieten kann, übt man nun subtilen Terror gegen die aus, die auch nur dafür sind, wenigstens mit ihr zu reden. Es ist die x-te Variante des Spiels mit der Kontaktschuld und beginnt wie ein höflicher Wink aus einer überdrehten Republik: Man müsse sich doch bitte „positionieren„. Möge „Haltung“ zeigen – „jetzt erst recht„, auch und gerade im Wirtschaftsleben. Als wäre Politik ein Bonusprogramm, bei dem Kunden und Unternehmen Bonussternchen sammeln, indem sie die richtige Gesinnung im Alltag beweisen. Als besonderes Gimmick gibt’s noch das Wohlgefühl der Selbstgerechten, sich im „Widerstand“ zu wähnen.

Die deutschen Unternehmen haben lange stillgehalten und sich Anfeindungen ersparen, deshalb respektierten sie die Brandmauer. Sie taten das nicht aus Mutlosigkeit, sondern weil sie Produkte herstellen und keine Parteilosungen verbreiten. Doch nun sind die Probleme so erdrückend, dass sie zur Ermöglichung politischer Veränderung ihre Bereitschaft zum Dialog auch mit der Partei erklärten, die fast ein Drittel der deutschen Wähler repräsentiert. Sie betonen, dass sie politisch gleichwohl neutral sind, aber einfach nur mit allen sprechen wollen. Eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit.

Schweigen oder markiert werden

Doch das löst einen Sturm der Entrüstung aus in der moralischen Hitzezone dieser Republik: Denn diese Neutralität wird nicht akzeptiert; es wird vielmehr das permanente Dauerbekenntnis „gegen rechts” gefordert. Parteipolitische Neutralität gilt da als Ausrede, als Makel, beinahe schon als Verdachtsmoment. Deshalb treten jetzt die staatlich gefütterten NGO-Kommandos auf. Die nennen sich zwar „Zivilgesellschaft”, sind aber quasi ausgelagerte Agitationsstellen und Stimmungsabteilungen der sie finanzierenden Parteien. Ihr Ziel: Alle anzuprangern und bloßzustellen, die von der Fahne gehen und das aufgezwungene Credo der Brandmauer infrage stellen. „Campact“ ist besonders eifrig darin, nicht Argumente zu suchen, sondern Abweichler zu identifizieren.

Weil die Familienunternehmer, die Arbeitgeberverbände, die Bäckerinnungen und auch die Bauernverbände die rituelle Aussperrung der größten deutschen Partei und einzigen Opposition aus der politischen Gestaltung nicht länger mittragen wollen und Gesprächsbereitschaft signalisieren, flippt dieser Apparat aus. Es entsteht eine neue Disziplin: Alles oder nichts. Nach dieser wahnsinnigen Logik gibt nur noch „Nazi-Unterstützer“ – die, die auch mit der AfD konstruktiv sprechen wollen, ebenso wie sie auch mit Grünen und Linkspartei sprechen – und die im „Widerstand„, die sich heldenhaft dagegen auflehnen. Und das wird auch von der Wirtschaft verlangt. Das Unternehmen, das sich bekennt, wird umarmt. Das Unternehmen, das schweigt, wird markiert.

Drohender Absturz

Rossmann hebt dem Arm für das System, die Brandmauer und „unsere Demokratie“ – und wird gefeiert. Der Mitbewerber DM hebt sie nicht – und landet sofort am digitalen Pranger. Die Geste ist bedeutungslos, aber das Ritual ist laut und willensstark, zumal man im Fall von Dirk Rossmann, dem politischsten Drogeristen aller Zeiten, sowieso nichts anderes erwartet hätte – aber hinter diesem Lärm steckt Unsicherheit. Die Unsicherheit eines linksgrünen Machtapparats, der keine Argumente und Lösungen mehr hat und seinen drohenden Absturz in die Bedeutungslosigkeit fürchtet. Die Normalisierung des Umgangs mit der AfD wäre sein Ende, weil er auf der Sachebene schon längst nicht mehr punkten kann.

Ein stabiles politisches Lager braucht keine moralischen Jagdtruppen; ein wankendes Lager dagegen schon. Es braucht Druck und Terror nur dort, wo Überzeugung nicht mehr trägt. Es braucht Kampagnen und öffentliche Scherbengerichte gegen Abweichler nur dort, wo Vertrauen bröckelt und Misstrauen gegen das eigene Volk regiert. Und genau deshalb sollen die Unternehmen sich nun „bekennen„: Nicht zu ihren Produkten oder Leisgungen, nicht zu ihrem Kunden, sondern zu einer politischen Linie. Auch wenn sie mit ihr fremdeln. Das demokratische Prinzip, dass man mit Andersdenkenden im Meinungswettbewerb diskutiert und sich alle Seiten anhört, darf nicht mehr gelten. Die Projektion der AfD als „Nazi-Partei“ trägt nur so lange, wie man sie aussperrt; ansonsten würde jeder das Ausmaß dieser Lüge erkennen.

Produktionszahlen folgen keiner Petition

Die Verfolgungsjagd auf Abweichler, auf jene, die die Brandmauer ablehnen, ergibt ein bemerkenswertes Paradoxon. Während die Wirtschaft ächzt und immer weiter in die Krise rutscht, zwingt man sie nun auch noch in ein Moraltheater, das keinerlei Wertschöpfung produziert. Während der Standort bröckelt, fordert man Haltung statt Wettbewerbsfähigkeit. Während Märkte wegbrechen, verlangt man Loyalität zu Narrativen, die keine einzige Bilanz retten können. Doch am Ende wird all das nichts nützen: Wenn die ökonomische Wand, auf die dieses Land zurast, näherkommt, verlieren gesenkte Daumen, Kampagnen und verlogene moralische Imperative ihre Relevanz. Fatale Bilanzzahlen lassen sich nicht umerziehen. Ruinöse Energiekosten lassen sich nicht wegappellieren. Produktionszahlen folgen keiner Petition.

Und gerade deshalb wirkt diese Kampagne wie eine letzte Anstrengung, ein System zusammenzuhalten, das längst aus den Fugen geraten ist. Man versucht, die Neutralen in Bekennende zu verwandeln. Doch man trifft nur noch Fassaden, hinter denen die Realität bereits arbeitet. Der pseudomoralische Druck der Linken steigt, während die materielle Basis bröckelt. Irgendwann muss auch dem Letzten dämmern, dass man mit erzwungenen Haltungsbekenntnissen keine einzige Krise löst. Am Ende wird sich nicht die Frage stellen, wer sich 2025 politisch korrekt positioniert hat. Sondern wer Verantwortung übernommen und Mut gezeigt hat, für echte Demokratie einzustehen und den Dialog mit allen Seiten zu suchen. Wer dagegen aufbegehrt hat, dass das Land seinen Wohlstandsanker verliert, obwohl der Aufprall seit Jahren angekündigt war. Man wird genau schauen, wer die katastrophale Brandmauer mitverteidigt hat und damit Teil des Problems war – und wer unvoreingenommen für politische Reformen und damit Teil der Lösung war.