
Angebliche wissenschaftliche Behauptungen checken?
Kann ich.
Angehängt ist der Screenshot einer Grafik, die der Middle East Monitor am 12.09.2025 um 18:02h veröffentlicht hat.

Die Grafik sagt:
„680.000 TOTE
Basierend auf allen gesammelten Daten beträgt die Zahl der Todesopfer in Gaza mindestens 680.000, davon 380.000 Kleinkinder unter fünf Jahren.
Am 3. September 2025 berechneten Prof. Dr. Gideon Polya und Prof. Dr. Richard Hil die Gesamtzahl der Todesopfer in Gaza seit dem 7. Oktober“
Na dann schauen wir Mal
+ Der Middle East Monitor (MEMO) ist eine in Großbritannien ansässige pro-palästinensische Organisation, die als Lobby-Vereinigung angesehen wird. Sie wird von Qatar finanziert.
Beispielsweise ist der Gewerkschafter und damalige Vorsitzende der Labour Party Jeremy Corbyn 2010 nach Israel und ins Westjordanland gereist und hat sich dort auch mit den Hamas-Anführern Ahmad Attoun, Khaled Abu-Arafah und Muhammad Totah getroffen. Der Besuch wurde durch MEMO bezahlt und Corbyn hatte dies nicht, wie vorgeschrieben, angemeldet und veröffentlicht.
+ Die Veröffentlichung des MEMO beruft sich auf den Artikel „Skewering History: The Odious Politics of Counting Gaza’s Dead“ („Aufspießen der Geschichte: Die abscheuliche Politik der Zählung der Toten im Gazastreifen“). MEMO gibt keine weitere Quellenangabe.
Tatsächlich ist der Artikel bereits am 11.07.2025 auf der Plattform „Arena Online“ erschienen. Also bereits zwei Monate vor dem Posting von MEMO.

+ Bei „Arena Online“ handelt es sich um eine australische Plattform, einer Art „offenen Presse“.
Aus der Eigenbeschreibung: „Arena Online bietet kritischen und radikalen Stimmen einen Raum, um auf ansprechende Weise zur öffentlichen Debatte beizutragen.“
+ Dr. Richard Hil ist ein nicht-hauptberuflicher Professor (adjunct) für „Human Services“ und Sozialarbeit an der Griffith University und nicht-hauptberuflicher Professor an der Southern Cross University.
Dr. Gideon Polya war Professor für Biochemie an der La Trobe University und hat lange zur „Signaltransduktion in Pflanzen“ geforscht.
Beides Australien.
+ Weder handelt es sich um eine wissenschaftliche Publikation, noch haben die Autoren irgendetwas auf dem Niveau „berechnet“, noch haben sie „alle Daten“ zu Rate gezogen.
Es handelt sich vor allem um einen Meinungsbeitrag, bei dem selektive Daten (Cherry Picking) aus anderen Publikationen verwendet wurden.
Die Autoren verwenden auch Begriffe wie „Gaza Massaker“ und „Gaza Genozid“.

Die Rechnung
Ich habe Erfahrung darin, wissenschaftliche Studien und andere Veröffentlichungen auf inhaltliche Konsistenz zu prüfen. In diesem Fall musste ich mir Passagen übersetzen lassen, um überhaupt verstehen zu können, was für ein Gedankenkunststück die Autoren hier veranstaltet haben.
Zunächst gehen die Autoren von 55.000 Toten im Gazastreifen aus. Laut den Zahlen des Hamas-Ministeriums. Das gemäß eigener Aussage sehr zuverlässig arbeitet.
Dann verweisen sie auf eine Studie von Dr. Zeina Jamaluddine im Lancet. Die mir auch gerade sehr bekannt vorkommt, wofür ich aber keine weitere Zeit investieren will.
(„Traumatic injury mortality in the Gaza Strip from Oct 7, 2023, to June 30, 2024: a capture–recapture analysis“) Diese Studie kommt aufgrund eines Abgleichs zu dem Ergebnis von 64.260 Toten.
Basierend auf dieser Studie würden 136.000 Menschen sterben. Bis August 2025, also dem letzten Monat.
Dann nehmen die Autoren einen Beitrag der Epidemiologin Professor Devi Sridhar aus dem Guardian. Sie geht von einer Sterblichkeit von einem direkten Getöteten zu vier indirekt Getöteten aus.
Beide Quellen werden nicht eindeutig benannt. Es handelt sich dabei aber wohl um den Artikel „Scientists are closing in on the true, horrifying scale of death and disease in Gaza“ vom 05.09.2024. Sie bezieht sich darin u.a. auch auf die bekannte und längst widerlegte „186.000-Studie“, ebenfalls aus dem Lancet, die allerdings gar keine Studie war.
Sie geht von 149.500 Toten bis Ende des Jahres aus. Des vergangenen Jahres, wohlgemerkt.

Es geht dabei ja immer um Vorhersagen. Also was passieren wird. Und bisher nicht eingetroffen ist.
Und nun nehmen die Autoren diese Zahl von 149.500 und nehmen sie aufgrund der 1-zu-4-Vorherhsage aus dem Guardian Artikel mal vier und kommen auf 544.000.
Da rechnen sie die 136.000 direkten Toten von Jamaluddine aus dem Lancet drauf.
Und so kommen sie auf 680.000.
Luft holen, wirken lassen.
Dann nehmen sie als Quelle den Euro-Mediterranean Human Rights Monitor. Das ist eine palästinensische Lobby-Organisation mit Verbindungen zur Hamas, die in Genf sitzt und von dem Palästinenser Ramy Abdu gegründet wurde und geleitet wird. Sie bemüht sich derzeit um einen Beraterstatus bei der UN.
Dieser „Euro-Med Rights Monitor“ geht von 33% getöteter Kinder aus. 21% getöteter Frauen und 46% getöteter Männer. Eine Auswertung der Zahlen der Hamas selber widerspricht dem übrigens, aber geschenkt.
Und somit rechnen die Autoren einfach 33% der 680.000 Getöteten und kommen auf 479.000 getötete Kinder, wovon dann 380.000 unter fünf Jahren gewesen sein müssen.
Was fast 80% entspricht. Erklärt wird das nicht. Aber Jugendliche scheint es im Gazastreifen kaum zu geben.
Meiner Meinung nach ist diese in verwirrenden Ausflügen und wissenschaftlichen Zahlen versteckte Rechnung derart absurd, dass ich nicht weiß, wofür man in Australien einen Doktor bekommt. Ich habe mehrere Stunden und Übersetzungstool benötigt, um das überhaupt zu entschlüsseln.
Fundamental, mein lieber Watson
Ich versuche nur einmal die fundamentalsten Fehler aufzulisten. Für die jeder Student einer empirischen Wissenschaft mit seiner vollgepissten Klausur ausgepeitscht würde. (Sorry, kann da nich mehr Kontenanze und allet…)
Die Quellen der Berechnung sind Prognosen, die nicht eingetroffen sind. Trotzdem werden diese Zahlen ohne weiteren Nachweis verwendet.
Aus Prognosen wird eine Berechnung gemacht, was bereits passiert ist. Nicht was passieren könnte.
Quellen werden nicht klar benannt.
Cherry Picking
Selbst wenn die Zahlen stimmen würden, sind 33% Kinder von 680.000 Getöteten 224.400 und nicht 479.000.
Die Hamas gibt alle Gestorbenen an. Selbst die eines natürlichen Todes Gestorbenen fließen in ihre Zahlen mit ein. Man errechnet also etwas aus einer Grundmenge, die das Ergebnis aber bereits beinhaltet. Auch indirekt getötete sind bereits in den Zahlen enthalten.
Auch die Zahl von Jamaluddine im Lancet beinhaltet bereits die direkt Getöteten. Man dürfte die also nicht noch drauf rechnen. Die Grundmenge der 55.000 beinhaltet ALLE getöteten.
Und das schönste zum Schluss:
Laut dem Palestinian Central Bureau of Statistics haben 2024 341.790 Kinder unter fünf Jahren im Gazastreifen gelebt.
Es lebten also weniger Kinder im Gazastreifen, als nach Meinung der Professoren Richard Hil und Gideon Polya nun getötet wurden.
Es dürften im gesamten Gazastreifen keine Kinder unter fünf Jahren mehr leben. Und etwa 39.000 hätten in den Gazastreifen gebracht werden müssen, um dort zu sterben.
Mir drängt sich der Eindruck auf, man kann die beiden Professoren häufiger auf Jahrmärkten Australiens antreffen, wo sie aus einer Kutsche heraus Wundertonikum und Schlangen-Öl verkaufen.

Seriöser:
Ich halte den gesamten Artikel für einen propagandistischen Gefälligkeitsbeitrag, um pro-palästinensischer Propaganda wiederum einen wissenschaftlichen Anstrich geben zu können.
Die Verwirrung und das nicht deutliche Benennen von Quellen halte ich für den Trick eines Zauberers auf einem Kindergeburtstag.
Vermutlich wird diese Zahl noch sehr lange grassieren, genauso wie die angebliche 186.000-Studie im Lancet, die keine war.
Muss ich noch ausrechnen, welches Volumen 680.000 Tote einnehmen, um zu errechnen, wie groß die Massengräber sein müssten? Oder geht auch so?
Dieses Palästina-Pack lügt, wenn sie den Mund zum Atmen aufmachen.
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