von Thomas Heck...
Wer gestern die Berichterstattung zur Europawahl über sich ergehen lassen musste, der sah überwiegend grün auf allen Kanälen. Wie übrigens bereits in den Wochen vor der Wahl. Der mit der linksgrünen Politik sympathisierende Regierungsfunk erklärte die Grünen zum großen Wahlgewinner. Doch ist dem wirklich so?
Die Zahlen schein eindeutig. Die Grünen sind hinter der SPD als zweistärkste Kraft aufgerückt und dass ist das eigentlich Erfreuliche: Die SPD hat kräftig verloren und ist am Ende. Es bleibt abzuwarten, wie die Verantwortlichen reagieren werden. Die Union bleibt die stärkste Kraft trotz herber Verluste bei der CDU, während die CSU leichte Gewinne verbuchen konnte. Die AfD konnte zulegen. Die Grünen haben so aufgezeigt, dass man mit Angst (Feinstaub, Klima, Rechte) und mit Populismus (FridaysForFuture) sehr wohl Stimmen beim gemeinen Wahlvolk holen kann.
Doch auch wenn die Grünen in Teilen der Republik auch aufgrund der rund um die Uhr und auf allen Kanälen laufenden Klimahysterie punkten konnten, bleib der flächendeckenden Erfolg aus. Das gescheiterte Berlin ist grüner geworden und bei der Jugend wird eher grün gewählt. Kein Wunder, dass die grünen Päderasten scharf auf Minderjährige sind. Greta Thunberg wirkt. Aber auch nicht bei allen. In Thürigen, Brandenburg und Sachsen ist die AfD stärkste Kraft geworden. In Bremen ist die CDU Wahlsieger, Jamaika wäre eine Option, aber auch rot-rot-grün.
Und europaweit sieht die Welt wieder ganz anders aus. In Griechenland haben die Sozialisten verloren, in Frankreich ist Le Pen stärker als Macron, in Italien ist Salvini Wahlsieger. Der konservative und der sozialistische Block hat seine Mehrheit im Europaparlament verloren.
Und Großbritannien hat mit der Wahl von Farages Brexit-Partei den Austritt aus der EU eindeutig bestätigt und beendet damit sämtliche europäischen feuchte Träume und Spekulationen des Verbleibs Großbritanniens in der EU. Später am Abend kam noch Anne Will:
Wie zwei Prügelknaben saßen Armin Laschet und Sigmar Gabriel als Vertreter der großen Koalition bei „Anne Will“ in ihren Sesseln. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl mussten sie sich von den anderen Gästen einiges anhören.
Sowohl die Union als auch die Sozialdemokraten haben massiv Stimmen bei der Europawahl verloren. Die SPD ist erstmals bei einer bundesweiten Wahl sogar nur auf dem dritten Platz gelandet. Wie verheerend das Ergebnis für die nur noch dem Namen nach große Koalition ist, zeigt sich in den Gesichtern von CDU-Vize Armin Laschet und vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel: Wie zwei Prügelknaben sitzen die beiden in ihren Sesseln bei Anne Will.
Dass ihnen gegenüber die Wahlsiegerin sitzt, muss sie noch viel mehr schmerzen. Dass Grünen-Chefin Annalena Baerbock sich die ersten Minuten der Sendung vornehm zurückhält, mag da nur wenig helfen. Jeweils mehr als eine Million ehemaliger Wähler von Union und SPD haben ihr Kreuz bei den Grünen gemacht.
Hauptthema des Wahlkampfes war das Klima. „Die Antwort auf den Klimaschutz ist nicht gelungen. Vor zehn Wochen waren andere Themen auch noch da“, klingen Laschets Worte schon fast klagend. Problem der CDU: Nur 14 Prozent der befragten Wähler trauen am ehesten der CDU zu, eine gelungene Klima- und Umweltpolitik zu machen.
Das gleiche Problem bei den Sozialdemokraten: „Die SPD hat deshalb verloren, weil sie kein eigenes Thema gefunden hat. Die Grünen hatten ein Europa-Thema mit dem Umweltschutz, das originär mit den Grünen verbunden ist“, glaubt Gabriel den Grund für den Absturz seiner Partei zu kennen. „Die Antwort muss sein: Wir müssen jetzt ein klares Profil entwickeln und nicht kopieren.“ Dann zählt er eine Reihe möglicher SPD-Themen auf, nur um dann zu bemerken: „Wir haben auf diese Fragen keine Antwort gegeben.“
Trotz aller Kritik ist sich Gabriel sicher: Die SPD „bleibt bis zum Ende meiner Tage“. Sein Tipp an die Genossen: „Fürchtet euch nicht.“
„Spiegel“-Journalistin Melanie Amann sieht in dieser Orientierungslosigkeit den Grund für das Wahldebakel der großen Koalition: „Union und SPD haben die Quittung bekommen für einen Kurs, der sie in die Verzwergung und Vergreisung führt. Das hat sich angekündigt bei der Debatte um die EU-Urheberrechtsreform und wurde weitergeführt bei den ,Fridays for Future‘-Demonstrationen.“
Sie wirft den beiden Parteien vor, die Themen der Wähler schlicht ignoriert zu haben. Konkret nimmt Amann Bezug auf den Wahlkampfabschluss der Union: „Das war wie in einem Paralleluniversum. Das war eine Veranstaltung, die hätte auch vor drei Monaten stattfinden können. Die Reden waren, als hätte es das alles nicht gegeben. Man hat das Ding stumpf durchgezogen.“
„Die Betrachtung, dass alles mit dem Klimaschutz zu tun gehabt habe, teile ich so nicht“, macht „Cicero“-Chefredakteur Christoph Schwennicke deutlich. „Auch bei der Hessen-Wahl ist die große Koalition abgewählt worden. Damals gab es keine Klima-Greta.“ Vielmehr seien nun zum dritten Mal Union und SPD abgewählt worden. Das erste Mal bei der Bundestagswahl, wo die SPD sich vor einer Neuauflage drücken wollte, das zweite Mal bei der Hessen-Wahl, wonach Angela Merkel den CDU-Vorsitz aufgab, und nun auch bei der Europawahl.
Was glaubt denn nun die Wahlsiegerin, was ihr Erfolgsmodell ist? „Mein herzlicher Dank an alle Wählerinnen und Wähler“, beginnt Baerbock ihre Ausführungen, als Moderatorin Will ihr direkt in die Parade fährt und ächzt: „Oh ne, das wollte ich jetzt eigentlich nicht hören.“ Also ein neuer Versuch: „Wir haben in den letzten Jahren nicht geguckt, was machen die anderen: Was macht die SPD, und wie kann ich davon profitieren? Wir haben auch nicht jeden Tag nachgeschaut, was die Presse über uns schreibt.“ Die Grünen hätten auf die Themen gesetzt, die ihnen schlichtweg wichtig seien.
Das ist das Stichwort für Laschet, noch einmal auszuführen, welche Themen ihm und der Union wichtig erscheinen. Ausschweifend und ohne roten Faden kommt er von einer Relativierung der Klimapolitik zum Verhältnis mit China. Sein Leitspruch dabei: „Es gibt schon ein paar Probleme in der Welt.“ Doch: „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema ein weltweites Thema geworden.“ Die Verzweiflung der Union über die Themenprioritäten ihrer Wähler kann nicht besser auf den Punkt gebracht werden, findet auch Amann. „Wir erleben hier gerade live, warum ihr Wahlkampf nicht funktioniert hat.“
Gabriel will hier einen Grund für das schlechte Abschneiden von Union und SPD gefunden haben: „Wir sind Konsensparteien, wir versuchen alle möglichen Antworten mitzudenken. Die Grünen und auch die Rechten haben eines geschafft: Sie haben eindeutige Antworten.“ Das Problem von CDU und SPD sei, „dass wir sehr technisch und technokratisch werden. Den Wunsch nach Eindeutigkeit und Klarheit geben wir nicht.“
Auch bei der Frage, wie es weitergeht, hat Gabriel diese Klarheit vermisst: „Was mir heute gefehlt hat, ist, dass einer sagt, wir übernehmen Verantwortung dafür.“ Und damit will er sich nicht als Königinnenmörder verstanden wissen: „Der Wahlkampf ist von Menschen verantwortet worden. Ich finde es falsch zu sagen, Frau Nahles ist die Schuldige. Da gibt es eine ganze Reihe an Leuten.“ Was den ehemaligen Parteichef dabei so richtig aufregt: „Dass man sagt, wir machen weiter so, das wird von vielen Leuten nicht als angemessen empfunden.“ Er erwarte, „dass man einfach mal sagt, dass es richtig schlecht gelaufen ist“. Angesichts zweistelliger Stimmenverluste ist „schlecht gelaufen“ bei der SPD aber sicherlich noch ein vorsichtiger Ausdruck.
Bei so viel Kritik von Gabriel an der eigenen Partei platzt Amann der Kragen: „Es ist ein bisschen so, als würde Lothar Matthäus die Nationalmannschaft kommentieren, bei dem was Sigmar Gabriel hier macht.“ Das letzte – bessere – Europawahlergebnis der SPD sei nicht auf den damaligen Vorsitzenden Gabriel zurückzuführen. Auch ihm sei es nicht gelungen, bei der SPD soziale Themen zu spielen.
Gabriel zickt zurück: Er habe neun Landtagswahlen in Folge gewonnen und „in der Nähe von 15 Prozent waren wir nie“.
„Andrea Nahles steht enorm unter Druck“, ist sich Schwennicke sicher. „Sie muss mindestens einen Posten aufgeben.“ Für sie sei es einfacher den Fraktionsvorsitz aufzugeben, da sie über den Parteivorsitz deutlich mehr Einfluss behalte. „Ich fürchte, dass sie am Ende in einer ähnlichen Situation wie Theresa May bei den Tories sein könnte.“ Diese habe am Ende sagen müssen: „Ich höre auf.“ Damit es bei Nahles nicht dazu kommt, müsse sie aus einem ihrer Ämter den Druck ablassen.
Dass infolge dieser Kritik an Nahles gerade Grünen-Chefin Baerbock und eben nicht Parteifreund Gabriel ihr beispringt und fordert, dass man doch nicht immer sofort nach dem Rücktritt rufen solle, ist schon bezeichnend: „Junge Menschen wissen im Zweifel überhaupt nicht, wer Andrea Nahles ist“, glaubt Baerbock zu wissen. Damit es nicht ganz so fies klingt, schiebt sie noch „oder Annalena Baerbock“ nach.
Gabriel lauscht den Ausführungen zu Nahles interessiert und klärt am Ende des Europawahltages dann noch seine eigene Personalfrage. Anne Will fragt Gabriel, ob er bei der nächsten Wahl wirklich nicht noch einmal für den Bundestag antreten wird: „Verlassen die ehemaligen Vorsitzenden das sinkende Schiff?“ Gabriel übergeht diese Spitze und stellt trocken fest: „Ich werde 2021 gewiss nicht noch einmal antreten.“ Eine der klarsten Aussagen an diesem Wahltag.
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