Gestern Abend hat der Iran Israel mit Raketen beschossen. Und durch Social Media waren wir alle mehr oder weniger live dabei.
Dadurch fliegt aber auch ganz viel Unfug im Internet herum. Und mir wurden beispielsweise, während ich versucht habe Meldungen quasi „live“ auf der Facebook Fanpage (Öffnet in neuem Fenster) und auf X (Öffnet in neuem Fenster) zu erklären, immer mehr Fragen gestellt.
Auch Fragen, auf die ich niemals gekommen wäre.
Wir machen das hier jetzt also etwas anders. Ich werde nochmal die Ausgangslage erklären. Tut mir leid, aber ich denke, das muss sein.
Dann, was gestern eigentlich grob passiert ist. Wie mir die Schnauze gewachsen ist. Und dann werde ich einzelne Aspekte, Meldungen und Fragen aufgreifen. So zu sagen parallel zu meiner Recherche.
Das mag erstmal konzeptlos und lang wirken, aber ich denke, so geht hier keiner dümmer raus, als er gekommen ist. Und es ist einfacher zu lesen und verstehen, als ein rhetorisch durchgetanzter Artikel.
Und ich verspreche am Ende ein Bonmot, dass den ganzen Angriff in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt.
Steigen wir durch.
Wir haben hier eine Situation
Bei dem Angriff haben viel mehr Parteien mitgemischt, als durch die Schlagzeilen abgebildet wurde.
Wichtig zu verstehen ist, dass der Gazastreifen kleiner als Köln ist, in Israel weniger Menschen leben als in Nordrhein-Westfalen und der Iran 1000 Kilometer weit weg ist. Nur, um da Relationen zu haben.
Die beiden großen Player der Region sind Saudi-Arabien und der Iran.
Alle Konflikte der Region sind im Grunde Stellvertreterkriege oder zumindest politische Konflikte zwischen diesen beiden Polen.
Der Iran ist schiitisch, alle anderen Länder sind sunnitisch. Das ist aber gar nicht so wichtig.
Viel wichtiger ist, dass der Iran eine islamische Republik ist. Dort bestimmt die Religion die Verfassung, der Glaubensführer (Ali Chamenei) steht über dem Präsidenten (Massud Peseschkian). Auch der Vatikan hat einen Präsidenten - den keine Sau kennt - aber das Staatsoberhaupt ist der Papst.
Die Gegenspieler sind alles Diktaturen, Monarchien oder wollen zumindest nicht religiös beherrscht werden. Saudi-Arabien wird beispielsweise regiert vom Clan der Saud, Jordanien von den Haschimiten, usw.
Vorspiel ist wichtig
Seit der islamischen Expansion im siebten Jahrhundert war der Raum ein geschlossenes Konstrukt. Ein „Kalifat“ unter verschiedenen Dynastien. Man kann sich das ganz genau wie Europa vorstellen, das sich seit dem Mittelalter als geschlossenen, römisch-katholischen Kulturraum betrachtet hat. Und sich mit wunderbarer Regelmäßigkeit gegenseitig totgeschlagen hat. Bis es durch die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg eine Säkularisation gab, eine Trennung von Staat und Kirche. Und im 18./19. Jahrhundert die „Aufklärung“. Das alles hat im islamischen Kulturraum nie stattgefunden.
Der arabische/muslimische Raum versteht sich als eine gemeinsame Entität. Wäre ich da aufgewachsen, würde ich das auch nicht anders sehen.
Und da wurde dann Israel reingesetzt.
Der Iran ist also im Nachteil, nur etwa 11% aller Muslime sind Schiiten. Zumal die beiden wichtigsten islamischen Heiligtümer in der Keimzelle Saudi-Arabien liegen. Das dritte Heiligtum ist, Sie werden es erraten, die al-Aksa in Jerusalem. „Al-Aksa“ bedeutet einfach „der weit entfernte Ort“. Jerusalem wird im Koran kein einziges Mal erwähnt.
Naheliegend für den Iran, sich darauf zu konzentrieren und zu versuchen, viele Muslime politisch hinter sich zu vereinen. Es muss eine größere, gemeinsame Bedrohung her. Und die Juden eignen sich dafür ganz wunderbar. Die Palästinenser sind nur Mittel zum Zweck.
Deshalb unterstützt der Iran seine Proxys. Die Hamas in Palästina, wodurch es alle Palästinenser, auch in Jordanien, auf seiner Seite hat. Die Hisbollah im Libanon (Öffnet in neuem Fenster). Die Huthi im Jemen. Das Regime in Syrien. Den Dschihad im Irak. Und so weiter.
Nur den IS nicht. Der ist so fanatisch sunnitisch, dass er nicht nur was gegen alle arabischen Diktaturen und Monarchien hat. Sondern auch gegen den Iran. Der kommt in dieser Geschichte nicht vor. Dessen neuer Feind ist jetzt gerade eher Russland (Öffnet in neuem Fenster). Und Besucher des Stadtfestes in Solingen (Öffnet in neuem Fenster).
Nachdem Israel also nicht nur die Führungsriege der Hisbollah rasiert hat (Öffnet in neuem Fenster), sondern jetzt auch noch mit Bodentruppen in den Libanon geht, sah der Iran sich gezwungen, etwas zu unternehmen.
Mittelöstliche Mentalität
Wir unterschätzen gerne, dass im nahen bis mittleren Osten eine völlig andere Mentalität vorherrscht.
Und bevor einer aufschreit: Das ist kein Rassismus, sondern das ergibt sich aus dem sozio-kulturellen Kontext, der Gesellschaft. Ich kenne hier geborene Türken, die sind so deutsch, dass Karl-Heinz aus Sachsen erschrocken schwarze Haare bekommt. Nicht Gene, sondern Sozialisierung ist entscheidend.
Zum ersten Mal bewusst erlebt habe ich das noch bevor ich zum Militär ging.
Als der Irak 1989 Kuweit besetzte, sagten die Amis: „Ihr geht jetzt“. Der Irak meinte, das wäre eine Einladung zu feilschen. Und machte auf so dicke Hose, dass jemand mit europäischer Mentalität leicht von Größenwahn ausging. Sicher auch ein Grund, warum viele bis heute Putin für irre halten und nicht verstehen, dass der aus russischer Sicht völlig logisch und rational agiert.
Die USA sagten: „Ihr habt ein Ultimatum, dann seid ihr raus.“
Der Irak dachte immer noch, das sei eine Art Verhandlungsgrundlage.
Am 17. Januar um 03:00 Uhr nachts fielen die ersten Bomben, drei Stunden nach Ablauf des Ultimatums. So massiv und radikal, dass die irakische Luftwaffe am Boden stehend zerstört war, bevor die Sonne aufging.
Die Iraker haben überhaupt nicht verstanden - und das meine ich wirklich so - was da passiert. Als die ersten Jets über Bagdad waren, hatten die noch das Licht an. (…heißt: Nicht verdunkelt, was Piloten den Anflug erleichtert.) Es war bemitleidenswert.
In dem Kulturkreis gibt es völlig andere Konfliktlösungsstrategien, völlig andere Kommunikationsformen, um Streitigkeiten beizulegen. Das beginnt bei der Politik und endet bei dem Syrer, der nicht in die Disco kommt.
Unsere Kultur definiert Status und Macht beispielsweise aufgrund von Geld oder Expertise. In China ist das wieder anders. Denken wir an japanische Manager der 90er, die so oft aus den Fenstern der Hochhäuser sprangen, dass überall Netze angebracht wurden. Die Kultur in Nah- und Mittelost verteilt Status eher nach Ansehen, Ehre oder Clan.
Und der Rheinländer denkt sich schulterzuckend: Jede Jeck is anners.
Foto: Der irakische Journalist Muntazer al-Zaidi wirft bei einer Pressekonferenz in Bagdad 2008 einen Schuh nach George W. Bush. Jeder in der Region hat das als Ausdruck höchster Respektlosigkeit verstanden, im Westen eher so: „Häh?“
Und genau so muss man sich erklären, was die iranischen Mullahs gestern gemacht haben.
Israel hat die Proxys massiv geschädigt. Die Mullahs mussten Gesicht wahren. Weniger innenpolitisch. Das ist eh eine Diktatur, die auf ihr Volk scheißt. Vor der Revolution war der Iran frei und für viele überraschend westlich. Sondern außenpolitisch.
Um den Huthi, den Hisbollah, der Hamas und allen anderen zu zeigen, dass der große Bruder für sie einsteht.
Ich bin der festen Überzeugung, diejenigen, die in den vielen Videos unter dem von Raketen beleuchteten Himmel feierten und tanzten, hatten die für uns völlig unverständliche Überzeugung, der große Befreier ballert den Feind jetzt ins Nirvana, ihnen zur Hilfe eilend. Und genau deshalb funktioniert die Propaganda bei den schlecht Gebildeten auch so gut.
Der Iran hat einen Angriff gegen Israel gefahren und hat (erneut) sofort im Anschluss erklärt: „Das war es jetzt von unserer Seite. …wenn Israel jetzt nicht noch was macht.“
Das ist nicht nur als Deeskalation zu verstehen. Ehre wieder hergestellt, Gesicht gewahrt, und im arabischen Raum wird jetzt propagiert, wie furchtbar der Angriff für Israel war. (siehe unten)
Da Israel das aber beim letzten Mal schon so hat durchgehen lassen - vermutlich auf Anraten der USA und EU - rechne ich dieses Mal mit einem massiven Vergeltungsschlag.
Wir haben im Jemen gesehen, was Israel kann. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die meiner Kenntnis nach größten Bomben, die Israel bisher eingesetzt hat, waren die berühmt-berüchtigten 2000-Pfünder. Israel hat aber Bomben, die doppelt so groß sind. Vom Atomarsenal ganz abgesehen.
Um es mal so zu formulieren: Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht.
Zur Demonstration mal eine kurze Liste, die mir in der vergangenen Nacht zugeflogen ist… Die Stellungen und genauen Koordinaten von iranischen Stellungen. Und wenn ich an sowas komme, kann sich jeder vorstellen, was Mossad, Aman, CIA und NSA haben.
Wenn wir schon in den 90ern die privaten Adressen von Kommandeuren russischer Schiffe hatten, ist die ganze Nummer 2024 ein iranischer Klopf-Klopf-Witz.
(Die Liste hat mich übrigens leicht in den Wahnsinn getrieben, weil Längen- und Breitengrad verdreht sind. Gibt man die so ein, landet man ausgerechnet in der Ukraine.)
Raffen die das nicht?
Auf der Facebook Fanpage wurde ich irgendwo gefragt – ich finde den Kommentar gerade nicht wieder – ob die nicht kapieren, mit wem die sich anlegen.
Und genau das ist der Punkt. Einfach, stumpf, wie man mit seinem Kumpel am Tresen darüber spricht: Die verstehen das nicht. Die sind so mit ihrem Hass beschäftigt, dass sie Rationalität nicht verstehen.
Zum einen haben wir diese Mentalität, bei der es viel um Posen, Ehre und Beeindrucken geht. Zum anderen haben wir es mit einer sehr mangelhaften Bildung zu tun.
Nicht Schulbildung, die ist überall unterschiedlich. Nicht nur Sprachgrenzen. Aber wenn der Iran stolz mit seinen Mittelstreckenraketen in der Parade fährt, wird gejubelt. Es wird in der Breite gar nicht verstanden, dass selbst deren neustes Zeug im Westen eher Kernschrott der 80er ist. Und so übertrieben ist das jetzt gar nicht.
Foto: Die Falaq-1, die im Juli Fußballspielende Kinder getötet hat. Für sie ein moderner Raketenwerfer, für uns nur ein merkwürdiges Auto.
Die Kernkompetenz aller Proxys ist es, Raketen mit überholter Technik (oder gleich aus Wasserrohren selbstgebaut) auf Israel zu schießen. Und Guerilla-Kampf.
Unsere „westlichen“ Werte, unsere Taktik, unsere Doktrin, unsere Waffen, sind dort noch weniger angekommen und verstanden worden, als in Russland. Masse statt Klasse gegen Hochtechnologie und Rafinesse.
Die Palästinenser und Araber haben vor dem 10/7 über ein halbes Dutzend Kriege mit Israel geführt. Und die meisten davon angefangen. Und sie haben alle verloren.
Und keiner, der sich auf die Hilfe Allahs beruft, kommt mal auf die Idee darüber nachzudenken, warum der seit 80 Jahren vorbeigeschaut hat.
Und genau das war auch beim Angriff auf Israel zu sehen. Beispielsweise hatte der Iran nicht einmal seinen Luftraum gesperrt. Es ist eigentlich ein Wunder, dass kein ziviles Flugzeug von aufsteigenden Raketen getroffen wurde.
Kommen wir zu den Details.
Das Wichtigste: Dritte Weltkrieg?
Ich hätte nicht gedacht, dass das wieder aufkommt. Aber viele Menschen haben diffuse Ängste und andere nutzen das aus, weshalb das nachts sogar auf X trendete…
Es wird keinen dritten Weltkrieg geben!
Punkt.
Konflikte? Vielleicht. Spannungen? Sicherlich. Aber niemand außerhalb der Region wird den Iran irgendwie unterstützen. Auch nicht Russland.
Unterstützung und Anzahl
Die USA haben mit den vor dem Iran stationierten Schiffen mehrere Raketen abgefangen.
Jordanien hat aktiv durch Jets Raketen abgefangen.
Ein Schiff der Briten im Mittelmeer hat Raketen abgefangen.
Alles im Laufe der Nacht bestätigt.
Die Militärführung des Iran hat im Fernsehen live übertragen den Beginn des Angriffs per Telefon befohlen. Die Vier standen da befremdlich wie die Orgelpfeifen. Dabei hieß es, es werden 200 ballistische Raketen abgefeuert.
Das deckt sich mit den ersten Angaben Israels, dass 181 Raketen abgefangen wurden. Wenn da mal eine über dem persischen Golf runterfällt, bekommt das vermutlich keiner mit.
Die Abwehr
Zu Beginn des Angriffs wurden viele Videos gepostet, die vermeintliche Einschläge in Israel zeigen.
Schnell kamen dann die ersten Sprüche über den Iron Dome. Nach dem Motto: der kann nix. Auch von „Westlern“.
Um das deutlich vorweg zu sagen: Die Wirkung eines Angriffs kann man aufgrund solcher Bilder nicht beurteilen. Auch ich nicht. Keiner auf der Welt.
Das liegt an mehreren Faktoren.
Zum ersten sieht man Raketen nicht immer. Je nach Bauart kann der „Strahl“ so gering oder verdeckt sein, dass man ihn aus einem bestimmten Winkel auch am Nachthimmel nicht erkennt.
Zum zweiten ist sehr schwer zu erkennen, was aktive Raketen sind und was Trümmer. Denn wie in mindestens einem Fall in Dschenin können größere Trümmerteile zu Boden „fallen“. Viele der Raketen haben einen „Festtreibstoff“, der noch weiter brennt. Und da die erstmal wenig Geschwindigkeit verlieren, sieht das am Nachthimmel so aus, als würde da eine Rakete gezielt auf ein Ziel zufliegen, was eigentlich nur brennender Schrott ist.
Schlagen die dann auf, gibt es natürlich nochmal eine Art Feuerball.
In den vielen vielen Videos der vergangenen Nacht habe ich selber tatsächlich nur eine Handvoll – wörtlich – Denotationen gesehen, bei denen ich sicher wusste, dass sie von Einschlägen „aktiver“ Raketen stammten.
Zum dritten wurden vor allem ballistische Raketen abgefeuert. Die sieht man eigentlich eher nicht.
Ein großer Teil, wenn nicht der größte, findet bei einer solchen „Schlacht“ über den Wolken statt. Und wie wir inzwischen wissen auch hunderte Kilometer entfernt.
Zum vierten werden überall die Handys gezückt. Winkel und Verzerrung machen es unmöglich zu beurteilen, ob das nun dutzende Einschläge sind, oder nur einer, der dutzende Male gepostet wird.
Müsste ich so etwas auswerten, müsste ich mit drei Monitoren die Filme Frame für Frame abgleichen und vielleicht sogar ausmessen.
Zum fünften und letzten kann man auf solchen Videos nicht sehen, wo eine solche Rakete einschlägt.
Was banal klingt, wird richtig spannend, wenn man sich mal kurz die israelische Abwehr klar macht.
Die eiserne Kuppel
Der Iron Dome ist eigentlich nur ein Flugabwehrsystem. Und noch dazu das „kleinste“, das vor allem im Nahbereich abwehrt.
Der Begriff wird inzwischen aber für das gesamte Flugabwehr-Konzept Israels verwendet. Und dazu gehören noch zwei (eigentlich drei) weitere Systeme.
Das erste ist Davids Sling (Davids Steinschleuder, Bibel, Goliath, Ihr wisst schon). Das deckt alles ab, was Iron Dome nicht erreicht.
Darüber kommt dann die Patriot. Die Israel aber ausmustern will, weil sie vermutlich überflüssig geworden ist. Oder weil Israel sich unabhängig von den USA machen will. Denn entgegen der Propaganda bauen die fast alles selber, die kämen recht gut ohne US-Waffenlieferungen über die Runde.
Credits: Soham, Prajna & Wasif Khan | ThePrint
Und darüber kommt dann das Arrow System. Das deckt alles ab, was darüber hinaus geht. Und so gut ist, dass Deutschland es unlängst von Israel gekauft hat. Weil man damit auch gegen Atomraketen eine Chance hat. (Deutschland wird damit ein wichtiger Player in der Sicherung Europas. Ich weiß, hat auch wieder keiner mitbekommen.)
Dieses Arrow kann Ziele in einer Reichweite von weit über 2400 Kilometern und einer Höhe von 100 Kilometern bekämpfen. Das bedeutet nicht nur, dass man gar nicht sehen konnte, wie ein großer Teil der iranischen Raketen vom Himmel geholt wurde. Sondern dass das auch weit entfernt, vermutlich schon über dem Irak passiert ist.
Diese Systeme können Ziele, also anfliegende Raketen, priorisieren.
Das bedeutet, Feuerleit analysiert die anfliegenden Raketen. Und kann dann berechnen, wo die einschlagen werden. Und dann kann das System – egal ob mit KI oder menschlich – entscheiden, welche Raketen wichtiger sind, um sie abzufangen. Das System kann sagen „Näää Brudi, das Teil geht in die Dünen, lass mal um andere kümmern.“
Also sind viele der in den Videos zu sehenden Einschläge dann nicht im israelischen Hauptquartier gewesen, sondern irgendwo in der Wüste. Das sieht man auf Videos aber eben nicht.
Und das alles zusammen bedeutet, dass das, was man auf Videos sieht, keine Auskunft darüber gibt, wie effektiv der ganze Angriff ist oder welche Schäden verursacht werden.
Beide Extreme sind möglich: es kann absolut verheerend laufen, und man sieht nix. Oder es kann aussehen wie Sydney zu Silvester, und nichts wird getroffen.
Ich persönlich war nach den ersten Videos lediglich erschrocken, weil ich aufgrund der Menge, die da runterkam, sofort wusste, dass dieser Angriff weit größer und weit ernster ist, als beim letzten mal. Damit hatte ich so auch nicht gerechnet.
Ballistische Raketen
Eine Kanonenkugel fliegt parallel zur Erdoberfläche. Halbwegs.
Ein Artilleriegeschoss soll weiter fliegen und wird deshalb auch steiler nach oben geschossen. Es beschreibt eine Parabel.
Eine ballistische Rakete wird ganz steil nach oben geschossen und fliegt dann bis weit über die Wolken. Die Idee ist, dass die Luft da oben „dünner“ ist, wodurch sich der Widerstand verringert. Und dadurch verbrauchen sie da weniger Treibstoff.
Kommen sie dann wieder runter auf das Ziel zu, hilft die Erdanziehungskraft. Sie werden also von selber immer schneller, weshalb sie auch da weniger Treibstoff brauchen. Deshalb haben sie eine größere Reichweite.
Die Bezeichnung „ballistisch“ hat also nichts mit der Größe oder der Sprengkraft zu tun, sondern sagt nur etwas über die Flugbahn!
(Und ich würde jede Wette eingehen, kaum ein Journalist, der den Begriff verwendet hat, weiß das. Es stand einfach nur in der ersten Kurzmeldung der AP am Nachmittag, und die wurde übernommen.)
Israelische Kampfjets zerstört
Auf Social Media wurde mehrfach danach gefragt, ob wirklich 20 F-35 Kampfjets zerstört wurden. Das hat der Iran nämlich behauptet.
Dafür muss ich gar nicht recherchieren: Nein.
Wird ein Land angegriffen, steigen die Jets sofort hoch. Alles, was einen militärischen Flugplatz ausmacht, ist die Landebahn. Das wars. Diese Garagen für die Flugzeuge, die Shelter, sind keine Bunker, wie viele meinen. Alles was wirklich wichtig ist, Flugabwehr, Versorgung, Radars usw. ist mobil.
Ein stehendes Flugzeug ist, wie ein ungedeckt stehender Kampfpanzer, ein leichtes Ziel. Flugzeuge und Kampfpanzer sind die Fortführung der Kavallerie. Und die Kavallerie muss reiten. In Bewegung bleiben.
Ich würde locker einen Monatslohn darauf setzen, dass als die Raketen des Irans auf Israel regneten, keine einzige F-35 am Boden stand.
Auch das zeigt, wie bräsig der Iran und seine Proxys sind. So etwas zu behaupten kann man so leicht Propaganda abtun. Dass Menschen das tatsächlich glauben zeigt aber, in welchem Ausmaß keine Ahnung gehabt wird.
Langstreckenraketen
Immer wieder wird von allen möglichen Journalisten, Politikern und Social Media Nutzern der Begriff „Langstreckenrakete“ verwendet. Der ist schlicht Unfug.
Alles mit einer Reichweite zwischen 800km und 5500km sind Mittelstreckenraketen.
Langstreckenraketen sind Interkontinentalraketen. Und die sind immer nuklear bestückt. Also Atomraketen.
Schreibt jemand beispielsweise, wir sollten die Ukraine mit „Langstreckenraketen“ ausstatten, sagt er eigentlich, wir sollten ihr Atomraketen geben. Dabei meint er Taurus, die nicht einmal mehr als Raketen bezeichnet werden, sondern als Marschflugkörper. Und ja, jemand wie ich kommt dann immer noch ins Stocken.
Der Anschlag
Jaffa ist eine antike Stadt. Der 1909 gegründete Vorort Tel Aviv ist inzwischen eine Großstadt geworden, die Jaffa überwuchert hat. Deshalb die häufig verwirrenden Schlagzeilen gestern… Es gab einen Terrorangriff in Tel Aviv-Jaffa. Nicht einen in Tel Aviv und einen in Jaffa.
Nach jetzigem Kenntnisstand sind zwei Terroristen aus dem Westjordanland nach Tel Aviv gefahren. Wie sie dahin gekommen sind, wird noch ermittelt.
Es gab zwischenzeitlich Gerüchte, die beiden hätten einen israelischen Soldaten erstochen und den Anschlag dann mit dessen Waffe durchgeführt. Das ist falsch. Die Polizei weiß inzwischen auch, wer denen das vollautomatische Gewehr verkauft hat. Die Ermittlungen laufen.
Allerding ist unter den Verletzten auch ein Soldat. Der war aber wohl gar nicht bewaffnet.
Die haben dann eine Straßenbahn betreten und bereits im Wagon angefangen Zivilisten zu töten.
An einer Haltestelle sind sie ausgestiegen und haben auch dort Menschen erschossen, die auf die Straßenbahn gewartet haben.
Zunächst war von acht getöteten die Rede, das wurde dann auf sechs korrigiert. Inzwischen ist wohl ein Verletzter im Krankenhaus verstorben.
Effektivität
Ich hatte bereits vor dem Angriff gepostet, dass die USA vorm Iran 17 Schiffe zu liegen haben. Und irgendwo das Atom-U-Boot Ohio rumdümpelt. Und dass das 154 Tomahawk Marschflugkörper an Bord hat.
Auf eine verwirrte Frage auf der Facebook Fanpage konnte ich nur antworten: Nene, kein Tippfehler. Nicht alle zusammen. Nur die Ohio.
Die wurde nämlich für Interkontinentalraketen gebaut (SSBN) und dann irgendwann umgebaut (SSGN). Und deshalb passen da jetzt 154 Tomahawk rein.
Die Tomahawk können mit verschiedenen Sprengköpfen ausgerüstet werden und treffen auf bis zu 2500km locker ein 3x3m Quadrat.
Bedeutet, die Ohio kann irgendwo im Atlantik tauchen und eine Tomahawk abfeuern, die genau eine Garage in Berlin trifft. Nicht das Haus, nicht den Supermarkt, die Garage. Ohne aufzutauchen.
Und das war schon zu meiner Dienstzeit so.
In der vergangenen Nacht habe ich Videos von Einschlägen iranischer Raketen gesehen – also wirklich Einschläge, nicht herabfallende Trümmer – bei denen ich dachte… WTF?
Mitten auf einer breiten Straße, vermutlich in Tel Aviv, kein Ziel weit und breit.
Es wäre mühselig, jetzt alle Raketen-Typen zu recherchieren, die eingesetzt wurden. Zumal die meisten davon eh annähernd baugleich sind. Und ich mir selber die Namen etwa so lange merke, wie der geneigte Leser.
Die Trefferquote und die zwei verletzten Israelis, die hingefallen sind, als sie zum Bunker liefen, sagen mehr als tausend Raketen.
Hyperschall und Hyperpropaganda
Angeblich wurde auch die neue Hyperschall-Rakete „Fattah“ eingesetzt.
Die Nummer hatten wir schon mit Russland. Ich habe nicht einmal mehr Lust, da weiter zu recherchieren. Denn ähnlich wie bei den angeblich am Boden zerstörten F-35 ist das eine Luftnummer, wenn man sich auch nur halbwegs auskennt. Logik – so wichtig.
Hyperschall sagt ja nur etwas darüber aus, dass die Dinger sehr schnell sind.
Dazu ist aber ein exponentieller Mehraufwand nötig, damit die Physik beherrschbar bleibt. Damit die Teile sich beispielsweise im Zielanflug nicht schon zerlegen. Deshalb sind die im Vergleich sehr teuer. Und deshalb werden die vor allem als Argument der Abschreckung ins Spiel gebracht. Man könnte sie ja nuklear bestücken.
Der Iran kann sie aber nicht nuklear bestücken. Und damit sind iranische Hyperschall-Raketen sowas wie unfassbar scheiß-teure Silvesterraketen, die auch nicht hübscher oder bunter sind, als andere Feuerwerkskörper. Nur schneller.
Die ganze Propaganda dahinter ist ein Witz.
Die USA experimentieren seit (aus dem Kopf) Mitte der 1960er mit Hyperschall. Und da fragen wir uns doch einfach mal, warum die das mit ihrem riesigen militärisch-industriellen Komplex nicht haben. Auch wenn gerade wieder Tests laufen.
Die Antwort ist einfach: Weil es Unfug ist.
Die Dinger gibt es ja noch nicht einmal interkontinental. Da muss immer noch jemand ins Cockpit steigen und die irgendwo hinbringen. Um dann womöglich auf dem Weg abgeschossen zu werden oder damit das Teil, wie nachgewiesen über Kiew, abgefangen wird. Weil moderne Flugabwehrsysteme nicht hinterherfliegen müssen, sondern auch entgegenkommen.
Hyperschall-Raketen ohne Nuklear sind wie Currywurst mit Blattgold: Hauptsache es sieht nach etwas aus, aber… Ernsthaft?
Eingreifen der USA
Im Laufe des Abends hatte ich gemeldet, dass US-Präsident Biden die US-Streitkräfte zum „passiven Eingreifen“ ermächtigt hat.
Ich wurde häufig danach gefragt. Das ist kein militärischer Fachbegriff oder so. Ich dachte naiv, das ergibt sich aus dem Kontext.
Damit meinte ich, dass Biden das Militär ermächtigt hat, Angriffe auf Israel abzuwehren. Also Raketen abzufangen.
Er hat aber nicht dazu berechtigt, den Iran aktiv anzugreifen. Abwehr, nicht Angriff.
Da es inzwischen Beratungen gegeben hat, u.a. zwischen den Verteidigungsministern, ist das wieder hinfällig. Ich kann derzeit nicht beurteilen, on die USA bei einem Gegenschlag Israels aktiv mit einsteigen. Was ich durchaus für möglich halte. Angriffe auf den Iran durch Israel haben die USA inzwischen abgenickt.
Der Spin
Bei Jericho wurde ein Palästinenser von einer herabfallenden Rakete erschlagen.
Der Mann stammte aus Gaza und war quasi Gastarbeiter im Westjordanland.
Beim Abfeiern auf der Straße wurde in Tulkarm im Westjordanland lustig in die Luft geschossen. Man kennt solche Bilder. Dabei wurde ein junger Mann erschossen.
Nach unbestätigten aber sehr glaubwürdigen Meldungen detonierte eine Rakete der Sejjil-Bauart (diese großen, ballistischen Dinger) beim Start im Iran und tötete fünf Soldaten.
Das ist einerseits sehr glaubwürdig, weil wenn so eine Rakete wegen Betriebsfehler explodiert, dann beim Start. Und weil ein solcher Starter etwa sechs Soldaten Personal hat.
Ebenfalls im Iran feierte eine Menschenmenge auf der Straße, vermutlich in Teheran. Sie hatte einen Wagen oder Anhänger voll mit Feuerwerkskörpern am Start, die zur Freude aller in die Luft geschossen wurden. Dummerweise fing der Wagen Feuer und die ganze Nummer ging am Boden los. Davon sind mindestens zwei glaubwürdige Videos online. Anzahl der Toten und/oder Verletzten unklar.
Das bedeutet, dass sowohl auf iranischer als auch auf palästinensischer Seite mehr Menschen getötet wurden, als auf israelischer.
Soll ich nochmal sagen?
Es wurden bei dem Angriff mehr Angreifer und Verbündete getötet, als Angegriffene.
Mein persönliches Highlight war die in der Luft abgeschossene Rakete, die in der Nähe von Dschenin herunterging. In mehreren Videos ist zu sehen, wie Jugendliche sie gemeinsam in die Senkrechte wuchten und für Fotos posieren.
Denen fliegen selber die Raketen um die Ohren, und sie feiern das.
Die israelischste Story – für immer
Der Held der Nacht dürfte Lev Kreitman sein. Er kam in Jaffa nach Hause und schnappte sich angesichts des bevorstehenden Angriffs sein Gewehr.
Lev ging zu einem Schnellimbiss und hörte draußen plötzlich Schüsse. Er sah einen Mann, der wohl zur Polizei gehörte und auch ein Gewehr bei sich hatte und gab dem Bescheid. Zusätzlich sendete er eine Voice Mail an Kameraden.
Beide gingen raus und Kreitman sah einen der Attentäter. Er schoss und traf.
Ein Video zeigt, dass er offenbar nur einen einzigen Schuss abgegeben hat.
Lev Kreitman ist überlebender des Nova-Festivals und hat am 7. Oktober Verwundete versorgt.
Und ich finde, mehr muss man über Israel nicht wissen.
Erschienen auf Steady...