von Henryk M. Broder...
Bangemachen gilt nicht, tönen Politiker nach Anschlägen – als würden Ärzte bei einer Pandemie den Menschen raten, guten Willen zu gesunder Lebensweise zu entwickeln. Durchhalteparolen reichen aber nicht.
Nach dem Anschlag von Nizza, bei dem 86 Menschen zu Tode kamen und Hunderte verletzt wurden, versicherte die deutsche Kanzlerin dem französischen Volk: „Deutschland steht im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite Frankreichs.“ Der französische Premierminister gab seinerseits zu Protokoll: „Die Zeiten haben sich geändert, und wir sollten lernen, mit dem Terrorismus zu leben.“
Der deutsche Bundespräsident verurteilte den Anschlag mit den Worten: „Der 14. Juli, der Tag, an dem Frankreich seinen Nationalfeiertag begeht, steht für die Werte der Französischen Revolution, die auch unsere Werte sind. Ein Angriff auf Frankreich ist deshalb ein Angriff auf die gesamte freie Welt.“
Bereits kurz nach dem Anschlag erhitzte sich die politische Debatte über die Tat und Schlussfolgerungen. CSU-Chef Seehofer sorgte mit Kritik an der Flüchtlingspolitik für Wirbel, obwohl völlig unklar ist, ob der Täter ein Flüchtling ist.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte den Franzosen, was in Nizza passiert war: „Ein Tag, der der Freude und dem Stolz auf die französische Nation gewidmet war, ist tragisch zu Ende gegangen und hat viele Menschen sinnlos in den Tod gerissen. Friedlich feiernde Menschen mussten sterben oder ringen ums Überleben. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und dem ganzen französischen Volk.“
Eine opulente Antwort von Claudia Roth
Am opulentesten fiel die Stellungnahme der grünen Abgeordneten und Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth, aus: „Dieser Terror trifft uns alle. Dieser Terror macht keinen Unterschied, er richtet sich gegen jede Nationalität, jede Religion, jede Hautfarbe, gegen jedes Alter. Dieser Terror will Europa spalten, er will unsere Gesellschaften spalten. Die richtige Antwort auf diese Gewalt kann deswegen nur unser unbedingter Wille zu einem friedlichen Zusammenleben, zu inklusiven und solidarischen Gesellschaften, zur Freiheit, zur Toleranz, zum Respekt und zur Vielfalt sein. Liebe ist stärker als Hass, Hoffnung stärker als Angst.“
Künftige Generationen von Soziologen, Philologen, Psychologen und Kommunikations- und Verhaltensforschern werden alle Hände voll zu tun haben, die Reaktionen auf Terroranschläge zu analysieren.
Anschauungsmaterial gibt es jetzt schon mehr als genug. In Sätzen wie „Dieser Terror will unsere Gesellschaften spalten“ oder „Ein Tag ... ist tragisch zu Ende gegangen und hat viele Menschen sinnlos in den Tod gerissen“ kommt mehr als nur eine tiefe Ratlosigkeit zum Ausdruck, die um die passenden Worte ringt.
Richtige Antworten auf „diese Gewalt“
Es ist auch ein Versuch, der Wirklichkeit zu entkommen, in eine Welt zu flüchten, in der „unser unbedingter Wille zu einem friedlichen Zusammenleben, zu inklusiven und solidarischen Gesellschaften“ die „richtige Antwort“ auf „diese Gewalt“ darstellt.
Es ist, als würden Ärzte angesichts einer Pandemie den Menschen raten, mehr guten Willen zu einer gesunden Lebensweise zu entwickeln.
In der Nacht von Montag zu Dienstag, als langsam das Ausmaß des Verbrechens vom Berliner Breitscheidplatz klar wurde, hofften und beteten alle Experten und Moderatoren, die sich gegenseitig befragten, es möge doch ein Unfall gewesen sein, verursacht durch Alkohol, Herzinfarkt oder defekte Bremsen.
Das wäre, angesichts von zwölf Toten und 50 Verletzten, schlimm, aber erträglicher gewesen als die Einsicht, dass es ein wohlüberlegter Akt des Terrors war. Wie die Anschläge auf die Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und das Bataclan-Theater in Paris, das Bombenattentat auf den Flughafen in Brüssel und das Promenadenmassaker von Nizza im Juli dieses Jahres.
Politiker haben offenbar keine Angst
Offenbar haben nicht nur die Terroristen einen Masterplan, den sie von Fall zu Fall der jeweiligen Topografie anpassen, auch die Reflexe auf die Terrorakte folgen dem immer gleichen Muster. Bange machen gilt nicht! Nicht mit uns!
Außenminister Steinmeier sagt, er habe „vielfältige Zeichen der Solidarität“ aus aller Welt bekommen, Deutschland könne sich darauf verlassen, „nicht allein dazustehen“, man werde sich das „Leben in Freiheit nicht zerstören lassen ..., durch wen auch immer“, da sei er sich mit dem italienischen Außenminister einig.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, versichert, man habe alles unter Kontrolle und müsse „keine Angst haben“. Es wäre „fatal, wenn man sich zu Hause einschließt und nicht mehr rausgeht“. Zudem seien Maßnahmen getroffen worden, um den Täter schnell zu finden. Man könne sich „weiterhin gut bewegen in Berlin“.
Bundesjustizminister Heiko Maas erneuert das Versprechen, das er bereits nach der Kölner Silvesternacht gegeben hat: „Wir müssen alles tun, um diesen abscheulichen Anschlag aufzuklären. Der oder die Täter müssen mit der ganzen Härte des Rechtsstaates zur Rechenschaft gezogen werden.“
Und die Intensivtäter, die frei herumlaufen?
Solche Absichtserklärungen würden glaubwürdiger klingen, wenn die Erfahrungen der letzten Monate und Jahre nicht vom Gegenteil zeugen würden. Zu viele polizeibekannte „Intensivtäter“ laufen frei herum und begehen weitere Straftaten, während gegen sie „ermittelt“ wird.
„Die ganze Härte des Rechtsstaates“, mit der Heiko Maas droht, ist kein überzeugendes Argument. Und es ist gerade zwei Jahre her, da der Justizminister in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ behauptete, es gebe kein Grundrecht auf innere Sicherheit, wörtlich: „In unserem Grundgesetz steht ein solches Grundrecht auf innere Sicherheit nicht.“
Was der Justizminister dabei übersah: Zu den Grundrechten, die in Artikel 2 GG garantiert werden, gehört das Recht auf körperliche Unversehrtheit ebenso wie das Recht auf Leben und das Recht auf Freiheit der Person. Und alles zusammen kommt einem Recht auf innere Sicherheit gleich, ohne dass es explizit gesagt werden muss.
In einer gepanzerten Limousine sieht man alles anders
Denn ohne innere Sicherheit gibt es keine körperliche Unversehrtheit, keine Freiheit und kein Leben. Die innere Sicherheit zu garantieren ist die wichtigste Aufgabe des Staates, wichtiger als alle Regeln und Ratschläge, wie die Bürger ihren Müll trennen und welchen Demonstrationen sie fernbleiben sollen.
Ein weiterer Schönheitsfehler bei so markigen Sprüchen wie dem, man müsse „keine Angst“ haben und solle sich nicht „zu Hause einschließen“, liegt darin, dass sie von Leuten verbreitet werden, die mit gepanzerten Limousinen von einem Termin zum nächsten gefahren werden.
Wie der Berliner Regierende Bürgermeister, der vor Kurzem einen neuen Mercedes S 600 Guard im Wert von 325.000 Euro geleast hat. Mit schweren Stahlplatten im Boden und Fenstern aus schusssicherem Glas. Solche Vorkehrungen tragen wesentlich zum Gefühl der Sicherheit bei, weswegen der Regierende Bürgermeister auch gerne behauptet, es gebe keine No-go-Areas in Berlin.
Das Leben hat sich geändert
Spätestens seit dem 11. September 2001 sollte niemand, der ein Schaf von einem Löwen unterscheiden kann, sich der Illusion hingeben, es gebe keinen Grund, Angst zu haben. Auch wenn man dauernd irgendwo lesen kann, die Gefahr, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, sei viel größer als die, bei einem Terroranschlag getötet zu werden.
Jeden Tag müssen Millionen von Menschen peinliche Kontrollen über sich ergehen lassen, nur weil sie mit dem Kauf eines Flugtickets den Generalverdacht genährt haben, eine Flugzeugentführung im Sinn zu führen.
Nichts hat unser Leben so nachhaltig verändert wie die gefühlte Allgegenwart des Terrors nach den Anschlägen von London, Madrid, Paris, Brüssel, Kopenhagen, Ansbach, Toulouse, Würzburg, nur um ein paar Stationen des Schreckens zu nennen.
Da helfen auch keine Durchhalteparolen, die im Bedarfsfall aus dem Satzbaukasten geholt werden. Und die Durchsage, man möge bitte auf herrenlose Gepäckstücke achten und sie der Bahnpolizei melden, ist alles, nur keine vertrauensbildende Maßnahme, die das Reisen schöner macht.
Und wer legt den Terroristen das Handwerk?
Thomas de Maizière sagt immer wieder, es gebe „keine Garantie, in Deutschland vor einem großen Terroranschlag verschont zu werden“; zugleich aber fordert er die Deutschen auf, sich von der „Gefahr von Terroranschlägen ... nicht einschüchtern zu lassen“.
Martin Schulz bläst in das gleiche Horn: „Wir lassen uns (vom Terror) nicht in die Knie zwingen“, und Ursula von der Leyen erklärt, es komme darauf an, „aufzustehen und sich aufrecht dagegen (den Terror) zu wehren“. Es sind verbale Kraftakte ohne jede Verbindlichkeit, wie „Wir schaffen das“ oder „Yes we can“. Und beinah täglich grüßt das Murmeltier. „Wir sollten uns nicht einschüchtern lassen. Gerade hierauf setzt Terror: durch Angst und Schrecken einen Keil in unsere Gesellschaft treiben.“ (Thomas de Maizière).
Wie schön, dass unsere Politiker genau wissen, was die Terroristen wollen. Noch schöner wäre nur, wenn sie wüssten, wie sie ihnen das Handwerk legen können.
Ein Silvester wie im vergangenen Jahr soll es in Köln nicht noch einmal geben. Ein ganzes Paket von Sicherheitsmaßnahmen soll verhindern, dass sich solche Szenen in diesem Jahr wiederholen.
Erschienen in der WELT