von Andrew White
Die laufenden Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen machen deutlich, dass abstandsaktive Schutzsysteme (englisch: Active Protection System, kurz APS) an Bord von gepanzerten Kampffahrzeugen erforderlich sind.
In der Ukraine wurden APS nur in begrenzter Anzahl eingesetzt – seltsam, wenn man bedenkt, dass die Notwendigkeit, teure und strategisch wichtige Kampf- und Schützenpanzer zu schützen, angesichts der Anzahl der auf dem Gefechtsfeld zerstörten oder außer Gefecht gesetzten Plattformen klar ersichtlich ist. Laut der Publikation „Military Balance 2024“ des International Institute for Strategic Studies (IISS) werden die Verluste an russischen gepanzerten Kampffahrzeugen (Armored Fighting Vehicles, AFV) seit Beginn des Krieges im Februar 2022 auf mehr als 8.800 geschätzt.
In der Ukraine werden gepanzerte Fahrzeuge routinemäßig mit einer Vielzahl von gelenkten und ungelenkten Panzerabwehrraketen, Einweg-Angriffsdrohnen des Typs FPV (First Person View), bewaffneten besatzungslosen Luftfahrzeugen (UAVs) und Loitering Munition (LM) angegriffen, von denen viele in der Lage sind, die Türme, Fahrerkabinen oder Sensornutzlasten von gepanzerten Fahrzeugen von oben anzugreifen. Diese „Top-Attack-Fähigkeit“ stellt selbst für die modernsten abstandsaktiven Schutzsysteme eine große Herausforderung dar, wie Quellen aus dem Verteidigungsbereich gegenüber S&T erklärten.
Einsatz in Gaza auf kürzeste Distanzen
Auch die laufenden Operationen der Israel Defense Forces (IDF) im Gazastreifen gegen die Hamas liefern den Streitkräften weltweit weiterhin wichtige Erkenntnisse über die Rolle von APS in der heutigen Einsatzumgebung. Laut dem Royal United Services Institute (RUSI)-Dokument „Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023“, das am 11. Juni 2024 veröffentlicht wurde, stellt die „sporadische Bedrohung durch Panzerabwehrlenkwaffen und Panzerfäusten – die oft aus einer Entfernung von 30-50 m von IDF-Fahrzeugen kommen – eine Herausforderung für APS dar“.
Einsatz des Trophy APS von Rafael
„Wo das APS entweder ausgeschaltet war, keine ausreichende Sichtlinie zwischen dem Sensor und der Bedrohung hatte oder bereits verbraucht war, wurden Treffer auf IDF-Fahrzeuge erzielt. Obwohl die Hamas glaubte, dass APS im Nahkampf besiegt werden könnte, wurde dieses Problem durch Software-Updates gelöst“, heißt es in dem RUSI-Dokument. „In den meisten Fällen erwies sich APS als wirksam, obwohl der Abstand zwischen Panzern und Infanterie, der für einen sicheren Einsatz von APS erforderlich ist, den Hamas-Kämpfern die Möglichkeit bot, extrem nahe an einige Fahrzeuge heranzukommen. Nichtsdestotrotz wurde festgestellt, dass der enge Einsatz von Fahrzeugpaaren deren Überlebensfähigkeit erhöhte, da sich die APS häufig überlappen und so die Wirkungstiefe zum Schutz der Fahrzeuge erhöhen konnten“, heißt es abschließend.
Auf der International Armoured Vehicles Conference in London im Januar 2024 teilte Rafael in begrenztem Umfang Einzelheiten über den Einsatz seines Trophy-APS bei der IDF mit, wobei Vertreter des Unternehmens das Abfangen von Panzerfäusten, die von Hamas-Kämpfern abgefeuert wurden, aus sehr kurzer Entfernung beschrieben. Heute ist Trophy in eine Vielzahl von Kampffahrzeugen integriert, darunter die Kampfpanzer Abrams, K2 und Merkava, die gepanzerten Mannschaftstransportwagen (APC) Ascod und Namer sowie die Schützenpanzer Stryker und Bradley.
Im September 2024 haben die British Army und Rheinmetall BAE Systems Land (RBSL) zum ersten Mal eines der neuesten mit dem Trophy APS ausgerüsteten Kampffahrzeuge der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Challenger 3, eine verbesserte Variante des aktuellen Kampfpanzers Challenger 2, verfügt über ein „modulares Panzerungssystem der nächsten Generation, das vom Defence Science and Technology Laboratory (dstl) entworfen und gemeinsam mit DE&S und RBSL entwickelt wurde, um die Überlebensfähigkeit des Kampfpanzers entscheidend zu verbessern“, heißt es in einer Erklärung von RBSL.
„Die bisherigen Versuche waren erfolgreich und liegen vor dem Zeitplan, weitere Versuche sollen 2025 stattfinden“, hieß es weiter in der Erklärung des Unternehmens, bevor bestätigt wurde, dass die Armee insgesamt 148 Challenger 3 Kampfpanzer erhalten wird. Bislang wurden zwei Technologie-Demonstratoren des Challenger 3 produziert, weitere sechs Plattformen sollen bis Ende des Jahres 2024 an die Armee ausgeliefert werden, bestätigten Offizielle.
Das Elbit Iron-Fist-System auf der Eurosatory 2024.
Zweite Generation des Iron-Fist-Systems
Auch Elbit Systems profitiert mit seinem Iron-Fist-System der zweiten Generation, das derzeit in eine Vielzahl von Kampffahrzeugen auf der ganzen Welt integriert wird, weiterhin von dem weltweit großen Interesse an APS. Iron Fist wiegt bis zu 500 Kilogramm und verfügt über vier Radare und EO-Nutzlasten sowie zwei Abschussgeräte für Gegenmaßnahmen. Das System kann auch mit einem Laserstörsender von Ariel Photonics aufgerüstet werden, der die Lasersuchgeräte anfliegender Bedrohungen stören soll.
Im August erhielt Elbit von BAE Systems Hägglunds einen Auftrag im Wert von 130 Millionen US-Dollar für die Installation von Iron Fist auf dem Schützenpanzer CV90 im Auftrag eines nicht genannten europäischen Landes. Industriequellen zufolge handelt es sich bei dem Kunden um die Tschechische Republik. Laut einer Erklärung von Elbit wird der Vertrag über einen Zeitraum von fünfeinhalb Jahren ausgeführt.
„Das Iron Fist APS ist ein fortschrittliches Hardkill-System, das die Selbstverteidigungsfähigkeiten gepanzerter Plattformen gegen moderne Bedrohungen auf dem Gefechtsfeld verbessern soll“, heißt es in der Erklärung. „Es ist das APS der zweiten Generation der israelischen Verteidigungsstreitkräfte und zeichnet sich durch hohe Leistung bei geringem Volumen, Gewicht und Energiebedarf aus. Das System bietet gepanzerten Plattformen einen 360-Grad-Schutz vor einer Vielzahl von Bedrohungen durch Panzerabwehrraketen (Anti-Tank Rockets, ATR), Anti-Tank Guided Missiles (ATGM), UAS- und Loitering-Bedrohungen, sowohl in offenem Gelände als auch in komplexen urbanen Umgebungen.“
In einem Gespräch mit S&T erklärte ein Elbit-Vertreter, Iron Fist sei „sowohl für die symmetrische als auch für die asymmetrische Kriegsführung geeignet“ und könne an Bord von leichten bis schweren gepanzerten Gefechtsfahrzeugen, einschließlich Kampfpanzern, integriert werden. Am 5. Mai 2024 erhielt Elbit von General Dynamics Ordnance and Tactical Systems einen Auftrag in Höhe von 37 Millionen US-Dollar zur Aufrüstung einer ungenannten Anzahl von Bradley M2A4E1-Schützenpanzern der U.S. Army über einen Zeitraum von zwei Jahren. Aus Industriekreisen erfuhr S&T, dass die U.S. Army daran interessiert sein könnte, bis zu neun Brigaden von Bradley-Schützenpanzern mit Iron Fist aufzurüsten, insbesondere diejenigen, die in Europa eingesetzt werden.
Rheinmetall Active Defense System StrikeShield in einem Leopard 2 integriert.
In der Zwischenzeit bereitet Elbit auch die Integration von Iron Fist in 129 Redback-Schützenpanzer vor, die vom südkoreanischen Unternehmen Hanwha entwickelt wurden und für die australischen Streitkräfte bestimmt sind. Die Lieferungen werden voraussichtlich von 2027 bis 2028 erfolgen. Der Elbit-Vertreter erklärte gegenüber S&T abschließend: „Ohne APS werden keine neuen gepanzerten Fahrzeuge mehr hergestellt“.
Es wird erwartet, dass sowohl Rafael als auch Elbit bei der U.S. Army um den Zuschlag für die Lieferung von APS für das neue gepanzerte Infanteriekampffahrzeug XM-30 konkurrieren werden. General Dynamics Land Systems und American Rheinmetall Vehicles wurden von der US-Armee ausgewählt, um Technologiedemonstratoren für das Programm zu entwickeln, in dessen Rahmen die gewählte Plattform schließlich die Bradley-Schützenpanzer ersetzen soll. Die Entscheidung über den Gewinner soll 2027 bekannt gegeben werden, die ersten Einheiten sollen 2029 ausgerüstet werden.
Entwicklungen und Kooperationen in Europa und Asien
In Europa setzen Rheinmetall und Diehl die Entwicklung eigener APS-Lösungen fort, auch als Reaktion auf die sich abzeichnende Nachfrage der deutschen Streitkräfte. In Ungarn wird die StrikeShield-Generation 3 nach erfolgreicher Qualifizierung bei den ungarischen Streitkräften bereits für Rheinmetall Lynx-Schützenpanzer in Serie gefertigt. StrikeShield-Tests an Bord von Stryker-Schützenpanzern wurden im Laufe des Jahres 2023 auch in den USA durchgeführt, und Rheinmetall hat seit 2020 einen Vertrag mit dem deutschen Heer zur Weiterentwicklung der StrikeShield-Modularität einschließlich der Integration neuer Sensoren und Gegenmaßnahmen.
Im Gespräch mit S&T beschrieb Martin Debo, Leiter des StrikeShield-Programms bei Rheinmetall, wie sich die Entwicklungen derzeit auf die Abwehr von Geschossen mit kinetischer Energie und die Bedrohung durch Top-Attack-Eingriffe konzentrieren. „Wir prüfen, ob wir StrikeShield-Gegenmaßnahmen auf dem Fahrzeugdach anbringen können, obwohl bisher noch nichts integriert oder demonstriert wurde“, sagte er, bevor er andeutete, dass ein Schutz gegen Angriffe von oben mit einer Art Flugabwehr-/Drohnenabwehrsystem integriert werden könnte.
Das Rheinmetall Active Defense System StrikeShield vernichtet eine anfliegende Bedrohung vor dem Auftreffen.
Debo betonte, dass sich die laufenden Arbeiten derzeit in einem konzeptionellen Stadium befinden, obwohl das Unternehmen auf der Eurosatory im Juni 2024 den Panther-Kampfpanzer von Rheinmetall mit dem neuen „Concept Uncrewed Turret“ (CUT) gezeigt hat, der mit Iron Fist ausgestattet ist. Er fügte hinzu, dass der CUT auf Kundenwunsch auch mit der Trophy ausgestattet werden kann. Außerdem hat Diehl einen Vertrag mit Rheinmetall abgeschlossen, der von der Bundeswehr finanziert wird, um die Forschung und Entwicklung seiner Active Vehicle Protection System (AVePS)-Lösung fortzusetzen, die nach Ansicht des Unternehmens eine Ergänzung zu StrikeShield darstellt.
Nach Angaben eines Unternehmensvertreters strebt das deutsche Heer einen „mehrschichtigen Ansatz“ für den Schutz gepanzerter Fahrzeuge an, bei dem die Kommandanten je nach Einsatzanforderungen zwischen verschiedenen APS wählen können. Der Firmenvertreter schlug vor, dass StrikeShield in urbanen Umgebungen eingesetzt werden könnte, während AVePS eher für ländliche Gebiete geeignet wäre. Die Möglichkeit, das für eine bestimmte Situation am besten geeignete APS auszuwählen, wird im Rahmen des Modularen Integrierten Schutzsystems (MIPS) des britischen Verteidigungsministeriums und des Modularen APS (MAPS) des amerikanischen Verteidigungsministeriums unter der Leitung von Leonardo UK bzw. Lockheed Martin untersucht.
Südkorea schließlich setzt die frühe Entwicklung seines eigenen, im eigenen Land hergestellten APS fort. Auf der ersten KADEX-Messe in Gyeroyongdae haben sowohl Hyundai Rotem als auch Hanwha ihre eigenen APS-Entwicklungen vorgestellt. Hyundai Rotem hat ein strategisches Abkommen mit Rafael geschlossen und stellte auf der KADEX sein koreanisches APS (K-APS) vor, das in den Kampfpanzer K2 integriert ist und eine verblüffende Ähnlichkeit mit Trophy aufweist. Auch das noch unbenannte APS-Konzept von Hanwha scheint dem Iron Fist von Elbit zu ähneln, doch betonten Vertreter des Unternehmens, dass es in diesem Stadium keine Zusammenarbeit mit dem israelischen Unternehmen gebe. Die Entwicklung soll bis Anfang 2028 andauern, teilte Hanwha S&T mit.
Andrew White ist ein einsatzerfahrener Soldat der British Army und ein international renommierter Fachautor für Themengebiete rund um Spezialkräfte, Infanteriebewaffnung und persönliche Ausrüstung.
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