Freitag, 11. Juni 2021

Grüne Dominanz in Sachen Annalena auf Wikipedia...

von Thomas Heck...

Die Kanzlerschaft der Grünen Annalena Baerbock ist vielleicht noch nicht abgesagt, ist aber zumindest für dieses Wahljahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschoben. Es war vielleicht eine "Präzisierung" zu viel, wie die Korrektur von Fehlern so eloquent tituliert werden, die dem Wähler unangenehm aufstieß. 




Nun müsste die Demontage der Kanzlerkandidatin Baerbock nun ja auch auf Wikipedia ihren Niederschlag finden, doch das Gegenteil ist der Fall. Weil willfährige grüne Helferlein eine Dominanz im «edit war» erzeugen, was eine ganze Menge über Annalena Baerbocks Eintrag über Wikipedia aussagt und die Deutungshoheit über die Geschehnisse der letzten Woche für sich beanspruchen soll. 

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist wegen skurriler Aussagen zur Energiespeicherung und frisierten Angaben in ihrem Lebenslauf in die Kritik geraten. Warum konnte man darüber lange nichts bei Wikipedia lesen?

Lange war das Bild makellos, jetzt ist die grüne Kanzlerkandidatin in die Kritik geraten: Annalena Baerbock bei einem Fotoshooting, 20. Mai 2021.



Wer sich auf Wikipedia über die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock informieren will, begegnet einer kompetenten, engagierten und sympathischen Person. Bereits als Kind, so erfährt man etwa, hat sie «an Menschenketten gegen das Wettrüsten und an Anti-Atomkraft-Demos teilgenommen». Nebenbei hatte sie Zeit, in der Leistungssportart «Doppel-Mini-Tramp» dreimal Bronze zu holen. Dazu gibt es zahlreiche Informationen zu Baerbocks politischem Werdegang und ihren politischen Forderungen, etwa nach einer «sozial-ökologischen Marktwirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen».

Baerbock glänzt, Laschet «sorgt für Empörung» 

Nur eine Passage passt nicht ganz ins positive Gesamtbild: Sie stammt vom 22. Mai und erwähnt, dass Baerbock der Bundestagsverwaltung Nebeneinkünfte von rund 25 000 Euro zu spät meldete. Doch dieses «blöde Versäumnis» (Baerbock) ändert nichts daran, dass die millionenfach besuchte Online-Enzyklopädie ein fast makelloses Bild der grünen Politikerin zeichnet. Dies ist umso auffälliger, als bei anderen Politikern oft jede umstrittene Aussage und jedes potenziell fragwürdige Gebaren thematisiert wird. 

CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet zum Beispiel muss sich auf Wikipedia vorhalten lassen, er habe ein Honorar für ein Sachbuch zu spät versteuert und als Lehrbeauftragter Prüfungen abenteuerlich benotet. Dazu erfährt man, dass er mit seiner Behauptung, Rumänen und Bulgaren seien für einen Corona-Ausbruch bei Tönnies verantwortlich, «für Empörung» sorgte. Schliesslich gibt es auch inhaltliche Kritik: «Aktivistin» Luisa Neubauer, so weiss Wikipedia, findet Laschets Klimapläne 
«unzureichend».

Annalena Baerbocks Wikipedia-Profilbild (9. Juni 2021)



Im Gegensatz zu Laschet und vielen anderen Spitzenpolitikern gibt es bei Baerbock nicht einmal die sonst üblichen Wikipedia-Rubriken «Kritik» oder «Positionen, Kontroversen und Rezeption». So erfuhr man bis zum 9. Juni nicht, dass sie wegen falscher und irreführender Aussagen zu ihrem Lebenslauf seit Wochen für Diskussionen sorgt. Oder dass sie in einer ARD-Sendung mehrmals sagte, in Batterien stecke «Kobold». Oder dass sie behauptete, «das Netz» fungiere für erneuerbare Energien «als Speicher». 

Eine Oligarchie entscheidet, was richtig ist

Diese Unterschiede zwischen Baerbock und Laschet sind keineswegs zufällig. Denn Wikipedia-Artikel zu umstrittenen Themen und Personen sind das Ergebnis langwieriger Debatten, Streitereien, Änderungen und Löschaktionen, von denen die meisten Wikipedia-Nutzer weder wissen noch etwas mitbekommen. Fachleute sprechen von «edit wars» (Redigierkriegen), die sich Wikipedia-Autoren und Administratoren im Hintergrund liefern. Dokumentiert sind diese «Kriege» auf Diskussionsseiten, wo auch unterschiedliche Versionen und gelöschte Beiträge zu finden sind.

Gemäss einer Wikipedia-Statistik gehörten im vergangenen Monat so unterschiedliche Themen wie «Covid-19-Pandemie», «Israel-Gaza-Konflikt» und «geschlechtergerechte Sprache» zu den umstrittensten Wikipedia-Artikeln im deutschsprachigen Raum. Der Eintrag «Annalena Baerbock» hat es bei den am häufigsten geänderten Artikeln im Mai auf Platz 17 geschafft, noch vor «Bundestagswahl 2021». 

Obwohl bei Wikipedia theoretisch jeder mitschreiben kann, ist dieses System anfällig für ideologisch motivierte Willkür und Doppelstandards, sobald es politisch wird (allerdings kann selbst ein harmloses Thema wie «Sylt» einen «edit war» auslösen).

Der Wikipedia-Co-Gründer Larry Sanger drückte es in einem Interview so aus: «Es gibt heute eine allgemeine Tendenz zur Ideologisierung. Das betrifft die öffentliche Meinung, den Journalismus – und Wikipedia.» Hier versuche eine rechthaberische Oligarchie von sogenannten Experten, den Leuten vorzuschreiben, «was wichtig und richtig» sei.

Unter Baerbockologen

Was Sanger damit meint, lässt sich anhand des Baerbock-Eintrags gut nachvollziehen. Die Diskussionen über das, was auf Wikipedia über die Grüne zu lesen sein soll, umfassen ganze 37 Druckseiten (Stand 9. Juni). Dabei zeigt sich, dass sich einzelne Nutzer durchaus eine ausgewogenere, kritischere Darstellung wünschen. «Was soll das?», so fragte sich jemand bereits Anfang Februar, «bei rechten Politikern steht jeder kleine Fehler drin, und bei Annalena Baerbock darf nicht mal ein Absatz zur Kritik stehen?»

Wie selbstherrlich manche Wikipedia-User zu Werke gehen, zeigt ein Vorfall vom 19. Mai. Damals fügte ein Benutzer um 16.43 Uhr die Information ein, wonach Baerbock ihre Nebeneinkünfte von mehreren zehntausend Euro viel zu spät gemeldet habe. Nur wenige Minuten später, um 16.55 Uhr, entfernte ein anderer Nutzer diese Neuerung wieder. Begründung: «Wikipedia ist kein Newsticker.» Am 22. Mai wurde die Information dann doch wieder eingefügt.

Batterien mit Kobold, Netz als Speicher: «nicht relevant»

Dies im Gegensatz zum «Kobold»-Lapsus, den Wikipedia-Benutzer mit allen möglichen Begründungen von «ihrer» Enzyklopädie fernhalten. «Kurios, aber belanglos und deshalb irrelevant», so lautet ein Verdikt auf der Diskussionsseite. Ein anderer Nutzer mutmasst, Baerbock habe das Wort möglicherweise auf Englisch im Ohr gehabt, weil «das a in cobalt wird wie ein langes offenes o gesprochen (etwa so: kouborlt)».

Mit ähnlichen Argumenten werden auch Baerbocks abenteuerliche Behauptungen wegdiskutiert, wonach erneuerbare Energien «im Netz» gespeichert würden. Das Originalzitat lautete so: «An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.» Diese Formulierung, so schreibt ein Wikipedia-Nutzer, sei zweifellos etwas unglücklich, aber: «Ich verstehe das so, dass nicht der heutige Zustand, sondern ein zukünftig möglicher mit Speicherung im Netz gemeint ist.» 

Gab es einst Kremologen, um sowjetische Propaganda zu interpretieren, scheint es auf Wikipedia Baerbockologen zu geben – die im Zweifelsfall zugunsten ihres Studienobjektes urteilen. Prinzip Filibuster in Wikipedia-Debatten

Derartige Nachsicht kann Annalena Baerbock ausserhalb der Wikipedia-Welt nicht einmal mehr von zugewandten Kreisen erwarten. So schrieb die linke «TAZ» kürzlich, das Hin und Her um Baerbocks Lebenslauf sei «hochgradig unprofessionell». Tatsächlich kamen in den letzten Tagen und Wochen immer mehr Ungenauigkeiten und Falschangaben ans Licht. Unter anderem mussten die Grünen präzisieren, dass ihre Kandidatin ein Politologiestudium in Hamburg nicht abgeschlossen hat und dass sie nicht Mitglied des Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist. 

Die Kindheit «auf dem Bauernhof» entpuppte sich kürzlich als Kindheit in einem sanierten ehemaligen Bauernhaus. Dazu gab es zahlreiche mediale Diskussionen über die Frage, ob es nicht ein wenig anmassend war, dass sich Baerbock offensiv als «Völkerrechtlerin» und «aus dem Völkerrecht» kommende Politikerin inszeniert hat. Zumal sie zwar ein Studium in London abgeschlossen, aber ein Promotionsvorhaben abgebrochen hat. 

Diese Diskussionen blieben im Wikipedia-Universum natürlich nicht unbemerkt. Allein seit dem 10. Mai, als die Lebenslauf-Diskussion von einem Plagiatsjäger lanciert wurde, vermerkt die Wikipedia-Seite 259 Änderungen, die oft nur kurze Zeit online waren, weil sie andere Nutzer wieder entfernten (bei Laschet waren es im selben Zeitraum nur 38). Obwohl Baerbocks Lebenslauf auch bei Wikipedia in einigen Punkten modifiziert worden ist, las man in ihrem Artikel fast einen Monat lang nichts über die damit verbundenen öffentlichen Kontroversen.

Erst am 9. Juni fügt ein Nutzer folgenden Satz ein: «Im Zuge ihrer Kanzlerkandidatur und diesbezüglicher journalistischer Recherchen sah sich Baerbock zu mehreren Korrekturen bei der Online-Präsentation ihres Lebenslaufs veranlasst.» Dadurch sei sie «bei zahlreichen Medien» in die Kritik geraten. Ob und wie lange dieser Satz stehen bleiben wird, ist offen. Denn jene Nutzer, die Baerbock gerne in Schutz nehmen, haben bis heute die Deutungshoheit. 

Kein «Kritik»-Kapitel bei Wikipedia

Das zeigt die Diskussion über die Frage, ob Annalena Baerbock wie andere Politiker einen separaten «Kritik»-Abschnitt erhalten soll. Obwohl es seit August 2019 entsprechende Vorschläge gibt, haben die Fürsprecher der grünen Politikerin bisher fast alles verhindert. Dies unter anderem mit dem Argument, darüber müsse erst ein «Konsens» gefunden werden. Gleichzeitig versuchen sie, einen solchen Konsens mit langwierigen, sophistischen Debatten zu verhindern.

Dieses Verhaltensmuster erinnert wohl nicht zufällig an das Filibuster-Prinzip – eine aus den USA bekannte Taktik, die darauf abzielt, den politischen Gegner im Parlament mit endlosen Redebeiträgen am Reden zu hindern und zu zermürben. Oder, wie es ein in die Minderheit versetzter Wikipedia-Autor in Zusammenhang mit Baerbocks nicht gemeldeten Parteibeiträgen einmal ausdrückte: «Es geht breit durch die Presse, nur hier wartet man, bis keiner mehr davon redet.» 

Anmerkung der Redaktion

Kurz nachdem dieser Artikel publiziert wurde, entbrannte auf Wikipedia eine Diskussion darüber, ob die Kritik der NZZ gerechtfertigt sei. «Es ist schon langsam peinlich, dass die breit besprochene Kritik an Baerbock sich nicht in einer Rubrik im Artikel wiederfindet», schreibt ein Benutzer. Ein anderer Autor sieht es so: «Ich denke, wir sollten uns nicht von Medien wie der NZZ unter Druck setzen lassen, wenn sie nun darüber berichtet, wie der Artikel bearbeitet wird.» Ein weiterer findet, dass Berichte über die nachgemeldeten Nebeneinkünfte von Baerbock ein «Rascheln im Blätterwald» seien, die in einer Enzyklopädie nichts zu suchen hätten. Um 12:40 Uhr wurde der Wikipedia-Artikel dann für drei Tage vollständig gesperrt. Bis zum 13. Juni können ihn jetzt nur noch Administratoren bearbeiten.





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