von Mirjam Lübke...
Zum Glück hätten seine Kinder noch rechtzeitig erkannt, dass er ein "Gedankenverbrecher" ist, sagt Mr. Parsons zu Winston Smith, als sie sich im Liebesministerium wiedertreffen. Die Kinder der Parsons haben ein Gespür für so etwas, als Winston zu Beginn des Romans "1984" ihrer Mutter beim Reparieren eines mit Kohlresten verstopften Abflusses hilft, haben sie auch ihn bereits unter Verdacht. Hast du aufmerksame Kinder im Haus, dann sind die toten Winkel der Überwachungskameras kein Problem mehr - den Rest übernimmt dann die Staatsmacht, bis man glaubt, dass 2 plus 2 gleich fünf ist. Oder Stromsparen den baldigen Sieg über Eurasien einbringen wird. Da muss man dem großen Bruder mit vollem Einsatz dienen. Es war ein makabrer Einfall des Verlages, gerade den mit dem chinesischen System liebäugelnden Robert Habeck das Vorwort zur Neuauflage schreiben zu lassen.
Viele Kinder sind bekanntlich sehr begeisterungsfähig für bestimmte Themen, und das ist grundsätzlich auch gut so. Sie häufen erstaunliches Wissen an, wie man in einigen Fernsehshows erfährt. Alle Länder der Erde allein an ihrem Umriss erkennen? Kein Problem. Es gibt Asterix-Experten, kleine Paläontologen mit ausführlichen Kenntnissen über jeden jemals ausgegrabenen Dinosaurier-Knochen oder junge Musikliebhaber, die den Stil von 300 Violinisten auseinanderhalten können. Nachdem sie zwei Sekunden einer Symphonie gehört haben, nennen sie nicht nur den Namen des Künstlers, sondern auch den der Konzerthalle und verraten einem noch obendrein, wer im Publikum gehustet hat. Es wäre furchtbar, Kindern diese Begeisterung auszutreiben, da sie sich mit viel Liebe und Energie ihrem Hobby widmen und auch zurecht stolz sind, wenn sie dafür Anerkennung bekommen.
Leider wissen das nicht nur jene, die begabte Kinder fördern möchten, damit aus kleinen Experten einmal große werden. Auch Ideologen aller Couleur hatten von jeher ein Interesse daran, die Kleinsten möglichst früh in ihre Welt hineinzusaugen. Da Kinder als der Inbegriff der Unschuld gelten, sind sie ideale Boten für die eigenen Ideen. Selbstverständlich tragen sie keine Verantwortung für das Verbreitete, sie sehen nur die spannende Aufgabe, welche ihnen übertragen wurde. Obwohl auch Kinder nicht gleichförmig vom Band laufen, wie die Existenz einiger kleiner Tyrannen beweist. Die Tragweite dessen, in das sie hereingezogen werden, können sie jedoch noch nicht erfassen, die Welt ist noch schwarz-weiß in ethischer Beziehung. Schon immer kam es vor, dass Unrechtsregime, denen stabile Familien ein Dorn im Auge sind, diese Schwachstelle nutzten, um einen Fuß in das Privatleben der Bürger zu bekommen. Ob Nationalsozialismus, Kommunismus oder Stalinismus nordkoreanischer Prägung, man redet den Kindern ein, es wäre etwas Gutes, ihre Eltern zu überwachen - oder gar anzuzeigen. Eine grausige Vorstellung, wenn man selbst in den eigenen vier Wänden nicht frei ist.
Wenn Kinder in Kitas nun zu kleinen Stromkontrolleuren herangebildet werden - "Abenteuer Blackout" - und ihnen das auch noch als ein lustiges Spiel mit netten Liedern nahegebracht wird, dann ist diese Grenze eindeutig erreicht. Die Ideologen haben dazugelernt: Sie lassen die Kleinen nicht mehr stramm stehen oder kleiden sie in Uniformen, sondern gehen die Sache "pädagogisch wertvoll" an. Wir spielen flächendeckenden Stromausfall, obwohl dieser angeblich nur ein Hirngespinst rechter Populisten ist. Aber in der Kita wird auch das natürlich nett verpackt. Bei Teelichtofen und Lichterkette soll das Bewusstsein der Kleinen für unsere Abhängigkeit von Elektrizität geweckt werden, als sei diese eine Droge, auf welche die Menschheit auch gut und gerne wieder verzichten könne. Und da heißt es, Konservative seien fortschrittsfeindlich.
Selbst wenn man die kleinen Schützlinge nicht dazu auffordern würde, träte wahrscheinlich der gewünschte Effekt ein: Die Kids tragen die gewonnenen Erkenntnisse ins traute Heim. Letztens las ich von einer Helikoptermutter, die ihrem Söhnchen morgens die Klobrille mit dem Fön vorwärmen musste, was der kleine Prinz von nun an mit Entrüstung ablehnen dürfte. Manchmal hat Totalitarismus auch etwas Verlockendes.
Die Kinder sollen nämlich ihre Eltern auf Stromverschwendung aufmerksam machen. Berufstätige Mütter dürften sich freuen, wenn ihre zeitsparenden Haushaltsgeräte dann wieder durch "Flotte Lotte", Kurbelmixer und Handreibe ersetzt werden. Wenn die Kleinen dann mit Messer und Gabel auf dem Tisch herumklopfen, weil sie auf ihre Mahlzeit warten, würde ich ihnen sehr rasch verdeutlichen, dass dies eben die Konsequenz ihrer Kontrolle sei. Schon die Kleinsten müssen Opfer bringen.
Aber ernsthaft: Nicht nur die ideologische Einmischung in das Familienleben ist bedenklich. Das reine Interesse am Thema kann eigentlich nicht schaden, auch das Reden darüber nicht. Wenn ich dann aber lese, dass die Kleinen mit Stethoskopen die Wände nach Stromleitungen absuchen sollen, wird mir mulmig. Was ist, wenn ein Kind aus Neugier auch an den Steckdosen herumforscht? Können das die Erzieherinnen noch mit ihrem Gewissen vereinbaren? Ebenso könnte es übel ausgehen, wenn die Kleinen unbeaufsichtigt mit Kerzen hantieren, weil sie ein Spiel aus der Kita nachstellen wollen.
"Seid ihr noch bei Trost?", möchte man fragen. Aber das geht einem derzeit ständig so. Die Stromerziehungskitas sind wie üblich fest überzeugt, der Menschheit einen Dienst zu erweisen. Aber das haben die Kinder von Mr. Parsons wohl auch gedacht.
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