Mittwoch, 5. August 2020

Nuhr ein Shitstorm...

von Thomas Heck...

Es ergeht kaum ein Tag, wo nicht irgendeine Nichtigkeit ein Shitstorm ereilt, der dann als mediale Sau durchs Dorf getrieben wird. Und niemand ist gefeit. So traf es kürzlich Audi, die ein kleines Mädchen Banane kauend zienlich lässig an einem roten Audi lehnte. Manche sahen hier eine vermeintlich Frühsexualisierung, die Banane tat wohl ihr übriges, wobei man sich schon fragen darf, was für Perverslinge hier ein seuxuelles Motiv erkennen. Audi knickte umgehend ein und entschuldigte sich für dieses "unsensible Bild". Nun kann man auch nicht mehr Audi fahren. Toll. 


autos autos und bananen 
bananen 
bananen und mädchen 
autos 
autos und mädchen 
autos und bananen und mädchen und ein kühlergrill

Vor längerer Zeit was es Keks-Farbrikant Balsen, dem Rassismus vorgeworfen wurde. Bahlsen hatte es gewagt, seit Jahrzehnten eine Kekssorte "Afrika" zu nennen. Die Neger unter den Gutmenschen waren erzürnt, doch waren es eher die normalen Gutmenschen, die sich vermeintlich für Neger einsetzen mussten.


Und so geht das endlos weiter. Eine Brauerei, die den Islam beleidigt, eine Tafel von Nazis und, last but not least, meine Vorhaut (hatte ich schon fast vergessen).

Was mich zu der Frage bringt, wie man solchen Shitstorms entgehen kann? Die simple Antwort: Gar nicht. Weil sich immer irgendjemand gestört fühlt und im heutigen Internet-Zeitalter es in die Welt posaunen muss und immer Mitläufer im Pöbel findet, der den ganzen Tag im Netz zubringt und zu gerne auf jeden Zug aufspringt, um die nächste mediale Sau durchs Dorf zu treiben. Mein Tipp: Ignorieren, gar nicht drauf eingehen, keine Rechtfertigung und wenn das nicht reicht, einfach mal eine Weile nicht online gehen. Solange nicht der Pöbel vor der Haustür steht und Dich lynchen will, kann auch der schlimmste Shitstorm entspannend sein, wenn man ihn gar nicht mitbekommt. Wird Dieter Nuhr auch noch lernen, gell Dieter?



Dieter Nuhr, die Wissenschaft und der Online-Mob: So kommen Sie entspannt durch einen Shitstorm

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat für eine Kampagne den Kabarettisten Dieter Nuhr engagiert. Als deshalb im Netz Hunderte protestierten, entfernte sie eilig dessen Beitrag. Kritikfähigkeit? Nein, ein unnötiger Kniefall.
«Es greift einem ans Herz, wenn man heute hört, wie mancher junge und alte Gelehrte nicht mehr in der Lage ist, ein grosses Werk, an dem er Jahrzehnte gearbeitet hat, überhaupt nur drucken zu lassen»: So klagte der deutsche Reichsfinanzminister Joseph Wirth im Sommer 1920. Die Sorge des Zentrums-Politikers teilten damals viele im Land der Kriegsverlierer. Im Herbst gründeten mehrere Akademien und Universitäten deshalb die «Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft». Sie sollte helfen, die Folgen der internationalen Isolation abzufedern und für eine zumindest rudimentäre finanzielle Förderung zu sorgen. 

Heute, im Jubiläumsjahr, ist die Gemeinschaft nicht wiederzuerkennen. Vorbei ist ihre Not, und fort ist auch der traurige Name. Als Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat sich der Bonner Verein zur zentralen Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft des Landes entwickelt. Für die Förderung «wissenschaftlicher Exzellenz» stehen pro Jahr 3,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Fast das ganze Geld kommt vom Staat, also von den Steuerzahlern. Und weil die DFG stolz auf ihre Geschichte ist, hat sie im Sommer eine Kampagne gestartet, die auch an den harten Anfang erinnern soll: «DFG2020» lautet der Titel. Und: «Für das Wissen entscheiden».

Ein Kritiker bezeichnet Nuhr als «Abfall»

Bis vor kurzem hatte kaum jemand ausserhalb der Organisation etwas davon mitbekommen. Das änderte sich, als sie am vergangenen Donnerstag einen 30 Sekunden kurzen Audiobeitrag des Kabarettisten Dieter Nuhr im Netz veröffentlichte. Binnen weniger Stunden empörte sich ein wachsender Chor von Nutzern. Nuhr sei ein «Corona- und Klimawandelverharmloser», schimpfte einer. Nuhr habe sich über die Aktivisten von «Fridays for Future» lustig gemacht, klagte ein anderer. Ein Dritter, der nach eigenen Angaben in der Wissenschaft arbeitet, nannte Nuhr einen «beleidigenden Menschen», ehe er ihn als «Abfall» bezeichnete.

Die DFG gab sich standhaft, zumindest für ein paar Stunden. Jeder, dessen Statement «für das Wissen» stehe, sei bei der Kampagne willkommen, teilte sie am Donnerstagabend auf Twitter mit. Doch schon am Freitagvormittag folgte die Kehrtwende: «Wir nehmen die Kritik, die vielen Kommentare und Hinweise ernst und haben den Beitrag von Dieter Nuhr von der Kampagnen-Website entfernt.» Nur im Kurznachrichtendienst ist er nach wie vor abrufbar: 

Ein Sprecher der DFG teilte der NZZ auf Anfrage mit, dass Nuhrs Botschaft erstmals am 21. Juli verbreitet worden sei, zunächst auf der Website der Kampagne und über den Youtube-Kanal der DFG. Beides habe keine nennenswerten Reaktionen zur Folge gehabt. Das habe sich am 30. Juli geändert, als der Beitrag auch auf Twitter erschienen sei. Dort habe es unmittelbar darauf eine «intensive Diskussion» gegeben, bei der sich «nicht zuletzt zahlreiche Stimmen aus der Wissenschaft und aus wissenschaftsaffinen Kreisen mit deutlicher Kritik an der generellen Haltung von Herrn Nuhr zur Wissenschaft» geäussert hätten.

Den Moment des Sinneswandels muss man hier im Wortlaut wiedergeben: «Im Verlaufe und im Lichte dieser Diskussion sind wir dann selber in zumindest einem zentralen Punkt zu einer anderen Einschätzung der Haltung von Herrn Nuhr zur Wissenschaft und auch des Beitrags gekommen. Dieser Punkt betraf den Satz «Und wer ständig ruft ‹Folgt der Wissenschaft›, hat das offensichtlich nicht begriffen.» Dies erschien uns in dem nun deutlicher gewordenen Kontext als – auch unnötiger – Seitenhieb auf aktuelle Debatten in und um Wissenschaft und deren Akteure, den wir nicht mit den Anliegen der Kampagne (. . .) in Übereinkunft bringen konnten.»

Die Löschung von Nuhrs Beitrag löste eine zweite Welle der Empörung aus. Kritische Stimmen kamen dabei auch aus der Wissenschaft. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi etwa nannte die Reaktion der Forschungsgemeinschaft falsch, weil sie im Netz nur «die üblichen Drehbücher» in Gang gesetzt habe. Der Mainzer Historiker Andreas Rödder bezeichnete das Einknicken der DFG als «sehr bedenklich». Die Selbst-Konformisierung der Wissenschaft gefährde die intellektuellen Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit. Der Kabarettist selbst schrieb auf Facebook, dass er das Verhalten der DFG «gruselig» finde.

Der Vorfall zeigt exemplarisch, warum es falsch ist, den Forderungen eines Online-Mobs Folge zu leisten. Es geht dabei fast nie um Argumente und fast immer darum, dass einer vermeintlich falschen Person eine «Bühne» geboten wird. An Nuhrs 30-Sekunden-Botschaft hatten die Wenigsten etwas auszusetzen. «Wissen bedeutet nicht, dass man sich zu 100 Prozent sicher ist», fing sein Statement an. Er sprach der Wissenschaft einerseits ab, alles zu wissen, und erklärte sie andererseits zur einzig vernünftigen Wissensbasis. Wer will da widersprechen?

Wider die Cancel-Culture

Egal, wie gut es die DFG mit ihrer Löschaktion gemeint haben mag: Sie steht nun als Verliererin da, als Institution ohne Rückgrat. Natürlich kann man darüber streiten, ob ein Kabarettist als Werbeträger für eine Spitzenorganisation der Wissenschaft geeignet ist. Aber wenn, dann vorher – und nicht, nachdem man ihn angeworben und ihm später für sein «wunderbares Statement» und seinen «pointierten Kommentar» gedankt hat. Die Löschung wirkt nicht wie das Ergebnis einer seriösen inhaltlichen Auseinandersetzung, sondern wie ein ängstlicher Kotau.

Was hätte die Forschungsgemeinschaft tun können? Oder besser: Was sollte jede Institution tun, die Besuch von einem Online-Mob bekommt? 

Ruhe zu bewahren, wäre ein erster Schritt: «Danke für Ihre Kritik, wir schauen uns das an und melden uns.» Wer als Verein, Unternehmen, Nichtregierungsorganisation oder Partei Social-Media-Accounts unterhält, sollte zeitnah auf Kritik reagieren. Das heisst aber nicht, wenn der hundertste Nutzer in die Welt posaunt hat, dass er gerade «fassungslos» sei, sondern wenn alle relevanten Beteiligten angehört wurden und sich gegebenenfalls rechtfertigen konnten. Das ist in Nuhrs Fall offenkundig nicht passiert. 

«Cancel-Culture» auszuschliessen, wäre ein zweiter Schritt. Aufgebrachte Nutzer zerren schnell an den Nerven. Trotzdem muss man unterscheiden: Liegt echtes Fehlverhalten vor, oder handelt es sich bloss um einen Fall von Cancel-Culture? Ersteres wäre zum Beispiel der Fall, wenn Nuhrs Statement ein Plagiat gewesen wäre oder wenn er jemanden beleidigt hätte. Beides war nicht der Fall. Das Problem seiner Kritiker war und ist ein anderes: Der 59-Jährige hat in der Vergangenheit aus ihrer Sicht die falschen Witze gemacht. Den Klimawandel finden sie zu ernst fürs Kabarett. Eine solche Haltung ist legitim. Sie legitimiert aber keine Löschung, nicht in diesem Fall und auch sonst nicht. 

Nicht einzuknicken, wäre ein dritter Schritt. Ein Online-Mob will keinen Meinungsaustausch. Er will die Person, über die er sich empört, entlassen oder gelöscht sehen. Diesen Gefallen darf man ihm nicht tun, weil er sonst bei nächster Gelegenheit wiederkommt und weitere Köpfe fordert. Wer unsicher ist, kann sich fragen, ob er auch ohne Shitstorm etwas unternehmen würde – weil das, was ein Mitarbeiter oder Partner gesagt oder geschrieben hat, im Widerspruch zu den eigenen Werten oder denen der Institution steht. In Nuhrs Fall ist die Antwort abermals klar: Bevor der Mob kam, hatte die DFG nur warme Worte für ihn übrig. Die einzige Antwort, die die Organisation den Gegnern des Kabarettisten hätte geben dürfen, ist diese: «Wir haben Ihre Kritik geprüft, und wir schliessen uns dieser nicht an.» 

Nachtrag: Die DFG hat kurz nach Erscheinen dieses Artikels am Dienstag (4. 8.) eine Stellungnahme veröffentlicht und Dieter Nuhr darin eine «kommentierte Wieder-Online-Stellung seines Statements» angeboten. Man bedauere es, den Beitrag entfernt zu haben, ohne ihn vorher zu informieren oder ihm das Vorgehen zu erläutern. Der Kabarettist lehnte das Angebot umgehend ab: «Was soll das denn? Alle anderen sagen frei ihre Meinung und meine wird mit einer Warnung versehen wie eine Zigarettenpackung», zitierte ihn die «Welt». Er sei von der DFG mehr als enttäuscht, teilte Nuhr mit. Deren Entschuldigung nehme er nicht an, weil es keine Entschuldigung sei. Die Forschungsgemeinschaft habe nicht die Löschung seines Beitrag bedauert, sondern nur die Tatsache, dass sie ihn nicht darüber informiert habe.




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