von Thomas Heck...
Wenn in Deutschland Listenkandidaten der AfD aus formalen Gründen gesperrt werden, regt sich dagegen Widerstand nur bei der AfD. Beim politischen Gegner wäre das auch nicht zu erwarten. Doch bei der 4. Macht im Staat, den Medien, hätte der Aufschrei größer sein müssen. Ist er auch, wenn es nicht ums eigene Land geht. So werden wir auf künftig Nachrichten von gesperrten AfD-Kandidaten mit einem süffisanten Lächeln des GEZ-Nachrichtensprechers vermeldet bekommen, während gleicher Sachverhalt in Russland angeprangert wird. Denn was in Russland falsch ist, muss noch lange nicht in Deutschland falsch sein, es hängt von der Sichtweise ab. Und im Kampf gegen die AfD wird die Demokratie weit gedehnt... alles scheint erlaubt.
Vor den Regionalwahlen in Russland protestiert die Opposition. Sie wirft den Behörden einen willkürlichen Ausschluss ihrer Kandidaten vor. In Moskau wird heute wieder demonstriert.
Von Oliver Soos, ARD-Studio Moskau
Wenn der bekannteste russische Oppositionsaktivist Alexej Nawalny ins Gefängnis gesperrt wird, ist es ein Zeichen dafür, dass die Führung nervös ist. Am Donnerstag war es wieder soweit. Der 43-jährige Anwalt wurde in kurzer Hose vor seiner Haustüre von Sicherheitskräften festgenommen und mit einem Kleinbus abtransportiert.
30 Tage Haft bekam Nawalny. Er soll erneut gegen das Demonstrationsrecht verstoßen haben. Auf seinem YouTube-Kanal hatte er für heute zu einer nicht genehmigten Demonstration für freie Kommunalwahlen in Moskau aufgerufen.
Beachtliche Menge an Demonstranten
In der russischen Hauptstadt macht die Opposition seit einigen Wochen mobil und zeigt sich dabei ungewohnt geeint. Am vergangenen Samstag demonstrierten rund 20.000 Menschen. Das ist für Moskauer Verhältnisse eine beachtliche Menge. Der Protest richtet sich gegen den Ausschluss von 57 Oppositionskandidaten bei Wahl des Moskauer Stadtparlaments am 8. September.
Die Kandidaten wurden abgelehnt, weil sei bei ihrer Registrierung zu viele ungültige Unterschriften abgegeben haben sollen. Die Opposition bezeichnet das als Farce.
Jaschin: Größte politische Krise seit 2012
Einer der bekanntesten dieser Kandidaten ist der 36-jährige Bezirksabgeordnete Ilja Jaschin. Er sieht Moskau in der größten politischen Krise seit 2012, als viele Menschen gegen Putins zweite Präsidentschaft protestierten. "Kaum jemand hätte gedacht, dass lokale Wahlen für so große Unruhen sorgen würden", sagt Jaschin. "Die Behörden haben es zu weit getrieben. Und der Moskauer Administration macht diese politische Krise nun schwer zu schaffen."
Die politische Unzufriedenheit wächst in Russland. Seit der Erhöhung des Renteneintrittsalters im vergangenen Herbst bröckelt der Rückhalt für die Regierungspartei "Einiges Russland". Nach einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts Wziom vom 12. Juli würden nur noch gut 32 Prozent der Wähler der Regierungspartei ihre Stimme geben. Das ist ein neues Rekordtief.
Für die Wahl zum Moskauer Stadtparlament hat sich die Partei deshalb eine besondere Taktik überlegt. Die Mitglieder von "Einiges Russland" treten als unabhängige Kandidaten an.
Nawalny-Anhängerin in Hungerstreik
Die 31-jährige Juristin Ljubow Sobol wollte sich für Nawalnys Bewegung "Kampf gegen Korruption" aufstellen lassen. Sie wurde abgelehnt. Seit rund zwei Wochen ist Sobol deshalb im Hungerstreik. Auf Twitter dokumentiert sie ihre Auseinandersetzungen mit der Moskauer Wahlkommission.
In einem Videoclip, der sie in der Behörde zeigt, läuft sie auf den Chef der Wahlkommission, Walentin Gorbunow, zu und ruft: "Ich will jetzt sofort meine Beweise vorlegen, dass meine Ablehnung als Kandidatin nicht rechtens ist." Der Behördenchef antwortet genervt: "Wollen - das können sie zu Hause. Gehen sie nach Hause und lassen sie uns in Ruhe arbeiten." Sobol bleibt aus Protest elf Stunden lang in der Behörde sitzen. Fünf Sicherheitsmänner tragen die zierliche Aktivistin mit der blonden Dutt-Frisur dann auf einem Sofa die Treppe hinunter und setzten sie vor die Tür. Sie bekommt eine Vorladung von der Polizei. Der Videoclip hat in Russland für einige Aufmerksamkeit gesorgt.
Auch sieben weitere nicht zugelassene Oppositionskandidaten haben die Härte der Behörden bereits zu spüren bekommen. Drei von ihnen wurden von der Polizei vorgeladen, bei vier weiteren Kandidaten gab es Hausdurchsuchungen. Eigentlich soll das die Opposition einschüchtern, doch es könnte auch die Stimmung in Moskau weiter aufheizen.
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