von Mirjam Lübke...
Mein Klagelied ist kein Neues, aber immer wieder aktuell: Deutschland hat ein Neutralitätsproblem, wenn es um die Einstufung von Worten und Taten geht. Wer auf der "richtigen" Seite steht, darf von Gewalt gegen Menschen und Sachen träumen, beleidigend, sexistisch und rassistisch werden, man wird es ihm nachsehen oder lediglich milden Tadel üben: "Natürlich ist Gewalt abzulehnen, aber..." - an dieser Stelle kann der Satz beliebig fortgesetzt werden.
Der "Aktivist" - schon die Wortwahl verharmlost - wollte nur verzweifelt auf den Klimawandel aufmerksam machen, deshalb klebte er seinen Hintern auf die Straße und bremste Arbeitnehmer und eventuell einen Krankenwagen aus. Die "rechte Gefahr" stürzt Antifanten und Antifantösen derart in Seelennot, nur der Steinwurf in die nächste Fensterscheibe kann ihn von seinen Qualen befreien. Und der "Mann", der in einer beliebigen deutschen Einkaufszone sein Messer schwingt, hat in seiner Heimat gewiss Furchtbarstes erlebt oder kann sich aufgrund seiner Mentalität einfach nicht an den Anblick von arbeitenden Frauen ohne Vollverschleierung gewöhnen. Da muss man doch Verständnis haben! Wer sein Gutmenschen-Diplom mit Auszeichnung bestanden hat, verzeiht sogar Opfer in der eigenen Familie, jetzt nur keinen Hass!
Wenn also Luisa Neubauer über das Sprengen von Pipelines nachdenkt, ist es gewiss nur die Sorge um die Eisbären, die sie dabei umtreibt, nicht etwa ideologische Enthemmung. Auch wenn ich nicht glaube, dass sie tatsächlich schon mit Hilfe eines aus dem Internet heruntergeladenen Bombenbauplans konkret zu Werke schreiten will - bei ihren Mitaktivisten bin ich mir nicht so sicher - so erstaunt doch die Freimütigkeit, mit der sie darüber spricht. Nun gut, in ihrem Alter hatte ich ebenfalls einige radikalfeministische Ideen, zum Glück gab es noch kein Internet, welches sie dokumentiert hätte. Der eigentliche Skandal ist dann auch nicht Neubauers Äußerung, sondern die Gelassenheit, mit der die Medien darauf reagieren. Mit viel Gegenwind hat sie nicht zu rechnen - auch wenn so eine zerstörte Pipeline letztlich keinen einzigen Eisbären rettet, dafür aber manche wirtschaftliche Existenz vernichtet. Keine Reißleine für Luisa! Die Möchtegern-Revoluzzer in den Redaktionen träumen vielleicht selbst davon, mal etwas in die Luft zu jagen und bringen deshalb sehr viel Verständnis auf.
"Die dürfen alles - und wir nix!", mag zwar ein wenig nach Selbstmitleid klingen, hat aber dennoch einen wahren Kern. Denn während sich verschiedene, kleine, aber mit einer Lobby im Rücken kämpfende Gruppen immer größere Freiräume verschaffen, wird der Meinungsfreiheit ihrer Kritiker langsam aber sicher der Hahn zugedreht. Eine künftige Generation von "Aktivisten" wächst heran, die es als selbstverständlich erachtet, vollkommen freie Bahn für ihre Gesetzesverstöße zu haben. Ob Kampf für das Klima oder gegen Rassismus, jegliche Kurskorrektur wird mit der moralischen Dampfwalze eingeebnet. Ein Betrieb, der seine Produktionsprozesse weiterlaufen ließe, ohne sie hin und wieder einer Prüfung zu unterziehen, würde bald Verluste einfahren. Unsere Aktivisten jedoch sind meist auskömmlich aus Spenden von NGOs oder gar staatlichen Fördergeldern versorgt und müssen auf nichts Rücksicht nehmen - der Laden läuft auch so.
Meinungsfreiheit ist in Deutschland zu einem Luxus geworden, den man sich mittlerweile auch finanziell leisten können muss. Ein Netzwerk von Denunzianten steht bereit, um Menschen bei ihren Arbeitgebern anzuschwärzen, ihnen den akademischen Ruf zu zerstören oder sie als Gewalttäter hochzustilisieren, sollten sie auch nur ansatzweise in einer Telegram-Gruppe verbal auf den Tisch hauen. Der Satz "Ich könnte ihn erwürgen!", der früher einfach aussagte, auf jemanden stinkwütend zu sein, kann einen heute zum Terroristen werden lassen - auch wenn man nur ein Ventil für die eigene Wut brauchte. Sogar diese Emotion ist nicht mehr erwünscht, wenn sie nicht etwa den Klimawandel betrifft. Es ist ein Element totalitaristischer Systeme, Wut nur auf ausgewählte Feinde zuzulassen, ansonsten gilt der Leitspruch: "Don't worry, be happy!" Auch wenn einem die Inflation wortwörtlich die Wurst vom Brot zieht - das sind die Härten, auf die uns Robert Habeck einstimmt.
Der Eisbär, das seelische Wohlbefinden der Transfrau auf dem Klo oder der furchtbare Alltagsrassismus - der offenbar so grauenvoll ist, dass ihn sich eine Menge Migranten mal aus nächster Nähe ansehen möchten - das sind Probleme, auf die unsere Luisas die einzig richtige Antwort zu wissen glauben - da darf man schon einmal die Methoden eines heiligen Krieges anwenden. Es ist allerdings dreist, uns dies als "lebendige Demokratie" zu verkaufen. Aber der Politik kann das nur recht sein, hat sie doch derzeit alle Hände voll zu tun, um die Löcher zu stopfen, die sie selbst durch den Lockdown und die Energiewende aufgerissen hat.
Sogar der "Sozialdienst" soll nun wieder verpflichtend werden, was so schlecht nicht wäre, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Anmutung von Verzweiflung hat - man denke nur an den Pflegenotstand. Die jungen Menschen sollen sich auch für ökologische Projekte anmelden können. Eine gute Idee: Luisa Neubauer und ihre Freundinnen könnten wir eine Weile zu einer Forschungsstation in der Arktis schicken. Ohne Handy natürlich, das stört die Messgeräte. Und dann geht es ab zum Zählen der Eisbären. Die stellen keine kritischen Fragen und fahren keine SUV - das sind echte Ökos. Allerdings werden sie sich wohl weigern, sich mit dem Hintern aus Protest auf ihre Eisschollen zu kleben. Da muss sie dann durch, unsere Luisa.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen