Mittwoch, 11. Mai 2022

Wenn ich ein Vöglein wär'...

von Mirjam Lübke...

Ein bisschen neidisch bin ich schon. Meine Mutter hat leider keinen Zugriff auf Hubschrauber. In Filmen sieht es immer mächtig beeindruckend aus, wenn ein Helikopter auf der Landeplattform eines futuristischen Wolkenkratzers landet und daraus ein extrem wichtiger Mensch mit schwarzem Aktenkoffer entsteigt, welcher dann geduckt auf den Eingang zuläuft. Der Pilot legt noch einmal zackig zwei Finger an seinen Helm mit riesigen Kopfhörern und eilt dann davon, um den nächsten Weltretter ans Ziel zu bringen. Am Rand des Landefelds steht schon die bildhübsche Assistentin des Gastgebers bereit, deren Seidenkleid vom Sog der Rotoren jäh angehoben wird. Zum Glück lässt sich der Ankömmling davon nicht ablenken - nur die Mission zählt jetzt! 


Dann weiß der Zuschauer "Jetzt tritt der Experte auf den Plan, der in seinem Köfferchen enorm geheime Unterlagen transportiert". Wahrscheinlich sind vorher bereits andere enorm bedeutsame Persönlichkeiten eingetroffen, die nun in letzter Sekunde die Welt retten müssen. So ein Helikopter ist eigentlich ein noch beeindruckenderes Gefährt als ein Privatjet - denn darin bewegen sich Persönlichkeiten fort, deren Anwesenheit an Ort und Stelle keinen Aufschub duldet. Wenn ein Meteor auf die Erde zustürzt, in Honduras eine neue Corona-Variante aus dem Dschungel entschlüpft ist oder Joe Biden entführt wurde, nutzt einem das teuerste und bequemste Auto rein gar nichts wenn es um Stau steht. Auftritt der Heli-Männer!

Vielleicht hatte der Sohn unserer glücklosen Verteidigungsministerin auf Sylt ebenfalls etwas Unaufschiebbares zu erledigen? Oder war sein Abstecher dorthin gar ein Versehen? Sein Ziel könnte auch der Bundestag in Berlin gewesen sein, wo er - als moderne Reinkarnation des Müncheners im Himmel - einen Kanister Verstand abliefern sollte. Dann aber erschien ihm dieses Unterfangen so aussichtslos, dass er den Piloten nach Sylt umdirigierte, um sich erst einmal von dieser schrecklichen Erkenntnis zu erholen: Da kommt man mit einem Kanister Verstand nicht weit, für Berlin kommt jede Hilfe zu spät. Eventuell sollte es aber auch ein Test sein, ober ein deutscher Regierungshubschrauber die Strecke überhaupt bewältigen kann, ohne vorher auf einer Kuhweide notlanden zu müssen. 

Als normale Bürger kommen wir leider nicht in den Genuss solcher Abenteuer, dafür werden wir ab Juni drei Monate lang mit dem 9-Euro-Ticket quer durch Deutschland reisen dürfen. Das dauert nur unerheblich länger als mit dem Hubschrauber, sollte man von München nach Sylt reisen wollen, benötigt man lediglich vierzehn Stunden. Im besten Falle. Denn da im Supersparpreis nur Nahverkehrszüge inbegriffen sind, muss man bis zum Ziel ganze sieben Mal umsteigen. Und ich schwöre: Alle Witze über Züge, die anstatt von Gleis 57 abzufahren, in letzter Minute für Gleis 1 angekündigt werden, sind wahr! Letztens ist mir das in Hamm gleich mehrfach passiert, weil auf meinem Gleis ein ICE wie ein gestrandeter Wal festhing. Bis ich schon fast geneigt war, den nächsten Zug unter Androhung eines hysterischen Anfalls einfach nach Düsseldorf zu entführen. Sollen die anderen Fahrgäste doch sehen, wie sie heute noch nach Amsterdam Centraal kommen - mir reicht's jetzt. Noch schlimmer trifft einen so etwas nur am Frankfurter Bahnhof, dessen lange Bahnsteige, nach oben ausgeklappt, mindestens bis zum Mond reichen. Ich schwöre es! 

Da kann man schon einmal ungehalten werden, wenn man die Nachrichten über den Lambrecht-Nachwuchs liest, der wortwörtlich über den Wolken schwebt. Rechtens soll es auch gewesen sein, denn als Minister (oder Ministerin) darf man dem Nachwuchs schon einmal den Diensthelikopter zur Verfügung stellen - angeblich hat er sogar die Kosten übernommen, vielleicht gab es dafür ein spezielles Sohnemann-9-Euro-Ticket, das wäre dann allerdings die Billigfliegerei, über welche die Grünen so furchtbar schimpfen. Ursula von der Leyen soll schon für kürzere Flüge ein ganzes Flugzeug benutzt haben - für 50 Kilometer! Bis der Vogel bereit zum Abheben ist, wäre sie schon mit dem Lastenfahrrad hingeradelt gewesen. 

Aber selbst wenn der Ausflug nach Sylt rechtens gewesen ist, klafft da doch wieder eine riesige Lücke zwischen dem, was von uns kleinen Bürgerlein erwartet wird. Dieselfahrzeuge kommen zwar gerade wieder in Mode, aber nur, wenn oben eine Kanone dran ist und unten Ketten - zudem muss das Gefährt auch noch 130 Liter auf 100 Kilometer saufen. Fast können wir uns noch glücklich schätzen, dass Frau Lambrecht ihrem feschen Sohn keinen Panzer für eine Urlaubsfahrt nach Frankreich geliehen hat - "Mon dieu, fangen die Deutschen schon wieder damit an!" - das hätte erst Verwicklungen gegeben. 

Der Normalbürger vertraut sich derweil für seinen Arbeitsweg und Dienstreisen der Bahn an, was zuweilen einer psychischen und physischen Folter gleicht. Da freut man sich auf einen durchgehenden Intercity von Düsseldorf nach Erfurt, nur um dann festzustellen, dass auch diese Züge inzwischen nicht mehr komfortabler sind als ein regulärer Regional-Doppelstöcker. Trotz Reservierung sitzt man wie in einer Sardinenbüchse, mit Maske und lautstarken Sitznachbarn. Der "Service am Platz" taucht ungefähr so oft auf wie der 29. Februar - wenn überhaupt - und mit etwas Pech ist der Kaffee auch aus. Rauchen darf man schon seit Jahren nicht mehr, dabei könnte man es gerade jetzt brauchen. Weil man gerade Teilnehmer an einem soziologischen Experiment geworden ist. Bestimmt wird heimlich gefilmt, wann die ersten Fahrgäste aggressive Stresssymptome zeigen und die Ergebnisse nach Guantanamo weitergeleitet. Kennt jemand den südkoreanischen Zombie-Streifen "Train to Busan"? Das Drehbuch ist bestimmt in einem deutschen Doppelstöcker-Intercity entstanden. 

Ich erwarte gar nicht, dass Politiker, die sich auf wichtige Verhandlungen vorbereiten müssen, unter derartigen Bedingungen reisen müssen - von mir aus können sie auch Tante Gerda zum Schuhkauf in Paris mitnehmen. Aber warum kann man uns Normalbürgern dann nicht im Gegenzug etwas Fahrkomfort gönnen? Schließlich gibt es Schüler, die morgens noch schnell ihre Matheaufgaben machen, Angestellte, die nach der Arbeit einkaufen und Arbeiter, die den ganzen Tag körperlich schuften müssen. Niemand verlangt im Zug einen persönlichen Thronsessel mit goldener Fußstütze oder ein Bordkino - obwohl das großartig wäre - aber doch wenigstens einen anständigen Sitzplatz. Oder zumindest eine Haltestange und etwas Luft zum Atmen. 

Da möchte ich mich doch fast von Frau Lambrecht adoptieren lassen. Dann steige ich in Erfurt geduckt mit meinem roten Rollköfferchen vor dem Landtag aus dem Hubschrauber und genieße meinen großen Auftritt. Vielleicht steht mein Chef schon mit einem Blumenstrauß da - man wird noch träumen dürfen - aber bei meinem Glück ist es eher Bodo Ramelow. Im wehenden Seidenkleid. Bei diesem Gedanken kommt einem die Zugfahrt dann doch nicht mehr ganz so schlimm vor.


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