Dienstag, 10. Mai 2022

Mit Terroristen verhandelt man nicht... man schaltet sie aus...

Um 315 Gesinnungsgenossen freizupressen, entführten vier palästinensische Terroristen eine belgische Boeing nach Tel Aviv. Doch Israel gab nicht nach, sondern setzte am 9. Mai 1972 auf eine riskante Befreiungsaktion. 

von Sven Felix Kellerhoff...

Ehud Barak, der Kommandeur der Eliteeinheit Sajeret Matkal im weißen Overall unmittelbar nach dem erfolgreichen Sturm. Zu seinen Füßen liegt ein toter Terrorist 


Es sollte ein ganz normaler Flug werden, von Brüssel mit Zwischenlandung in Wien nach Tel Aviv. Sabena Flug 571, eine wöchentliche Verbindung, die reine Routine. Allerdings nicht am 8. Mai 1972: Denn etwa 20 Minuten nach dem Abheben in Österreich stürmten zwei Männer das Cockpit der Boeing 707 der belgischen Staatslinie; zwei junge Frauen bedrohten die 90 Passagiere und die fünf Flugbegleiterinnen.

Auf dem Platz des Kapitäns im Cockpit saß der erfahrene Brite Reginald Levy, dessen Selbstbeherrschung und eiserne Nerven sich als unschätzbar wertvoll erwiesen. Just an diesem Montag feierte Levy seinen 50. Geburtstag, und er hatte schon einiges in seinen Leben überstanden: Einsätze als Bomberpilot der Royal Air Force gegen Deutschland und Dutzende Flüge während der Berliner Luftbrücke 1948/49. 

Die Boeing 707-329 der belgischen Linie Sabena, die am 8./9. Mai 1972 entführt wurde 


Die Hijacker forderten, dass er die Maschine wie geplant nach Tel Aviv fliegen sollte. Levy stimmte natürlich zu und teilte den Passagieren in betont ruhigem Ton mit: „Wie Sie sehen können, haben wir Freunde an Bord.“ Der Kapitän versuchte im Verlauf der folgenden knapp drei Flugstunden, die Geiseln in der Kabine zu entspannen, indem er dauernd mit den Entführern im Cockpit sprach, über alles Mögliche von Navigation bis hin zu Sex – und dabei das Kabinenmikrofon eingeschaltet ließ.

Gegen 18.15 Uhr landete Levy die Maschine; sie wurde auf einem abgelegenen Rollfeld abgestellt. Schon über Funk hatten die Entführer sich zur antiisraelischen Terrororganisation „Schwarzer September“ bekannt und gefordert, dass im Tausch gegen die Passagiere und die Besatzung 315 Palästinenser aus israelischer Haft entlassen werden sollten. Außerdem hatten sie während des Fluges die Geiseln mit israelischen Pässen oder jüdisch klingenden Namen von den anderen getrennt. 

Am Boden hatte Israels Verteidigungsminister Moshe Dajan das Kommando übernommen. Wenige Stunden nach der Landung der 707 ließ er deren Reifen zerstören – ein erneutes Abheben war unmöglich. Die Terroristen waren gezwungen, mit Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes zu verhandeln; sie schickten Reginald Levy. Der Kapitän hatte eine Probe der beiden in der Kabine angebrachten Plastiksprengstoff-Bomben bei sich, übergab sie einem Israeli.

DRAMA IN ENTEBBE


Rasch war klar, dass die Terroristen tatsächlich die Möglichkeit haben würden, die Maschine in die Luft zu jagen und alle Menschen an Bord zu töten. Also gab es nur eine Möglichkeit, die noch nie zuvor versucht worden war: durch den schlagartigen Sturm des Flugzeuges möglichst alle Luftpiraten so schnell auszuschalten, dass sie die Sprengsätze nicht mehr zünden konnten. 

Seit Monaten schon trainierte die Spezialeinheit Sajeret Matkal, ein Eliteverband der israelischen Armee unter Leitung des Militärnachrichtendienstes, wie man entführte Passagiermaschinen mit möglichst geringem Risiko für die Geiseln gewaltsam befreien konnte. Mit ihrem Kommandeur Ehud Barak an der Spitze sollten jetzt Männer dieser hochgeheimen Truppe die Terroristen überwinden. Der Deckname lautete „Operation Isotope“.

17. OKTOBER 1977


Die Chance ergab sich durch die zerstörten Reifen. 16 Männer in den weißen Overalls von Flugzeugtechnikern näherten sich am Vormittag des 9. Mai 1972 der Maschine. Die Terroristen erwarteten ihre Ankunft, denn sie hatten ja nach der Reparatur verlangt. Mindestens zwölf der 16 aber waren alles andere als Mechaniker. 

Angeblich, um Hydraulikleitungen zu überprüfen, stiegen einige von ihnen auf beide Tragflächen. Was dann geschah, berichteten Passagiere: „Wir hingen in unseren Sesseln, als ich plötzlich ein Kratzen an einem der Notfenster hörte“, erzählte einer der Deutschen an Bord: „Dann flog eine der Türen auf, und ein Mann stürmte herein, der wie ein Araber aussah. Er schoss sofort und traf den Terroristen, der die hinteren Ausgangstüren bewachte, mitten zwischen die Augen. Dann hörte ich nur noch Schüsse und Schreie.“

ANTI-TERROR-TRUPPEN


Ähnlich erlebte ein israelischer Passagier die Befreiung: „Plötzlich wurde eine Tür gestürmt. Der Anführer des Terrorkommandos sprang vor und eröffnete das Feuer, doch er wurde von Kugeln durchsiebt. Eines der Mädchen ergab sich sofort. Sie hatte noch eine entsicherte Handgranate in der Hand.“

Allerdings lief nicht alles glatt. Denn die 22-jährige Miriam Holzberg-Andersen war beim Eindringen der israelischen Soldaten aufgesprungen, statt sich zu Boden zu werfen, wie die Männer durch die Kabine gebrüllt hatten. Neben ihr saß eine der beiden Entführerinnen – und die für sie vorgesehene Kugel traf Holzberg-Andersen im Kopf; sie starb wenige Tage später. Auch der deutsche Filmproduzent Manfred K. wurde getroffen, von drei Geschossen am Kinn, im Oberkörper und im Bauch. Sein Zustand war kritisch, doch er überlebte.

ANTISEMITISMUS


Die beiden männlichen Mitglieder des Terrorkommandos wurden unmittelbar getötet, die eine der beiden Frauen erheblich verletzt, die letzte ergab sich unversehrt. Es handelte um eine Araberin, die die Sabena-Maschine mit einem israelischen Reisepass in Wien bestiegen hatte. Die 19-Jährige hatte im Februar 1972 ihr Elternhaus in Akko bei Haifa verlassen, um sich der Guerilla-Organisation anzuschließen. 

Der erschossene Anführer des Kommandos sollte, so berichteten es jedenfalls nach der erfolgreichen Befreiung israelische Zeitungen, zu jenen fünf Terroristen gehört haben, die am 22./23. Februar 1972 einen Jumbo-Jet der Lufthansa auf Flug 649 von Bombay nach Athen entführt und fünf Millionen US-Dollar Lösegeld erpresst hatten. Doch endgültig bestätigt werden konnte das nicht, denn Luftpiraten benutzten nicht ihre echten Papiere.

Israels Präsident Salman Schasar dankt Benjamin Netanjahu für seinen Einsatz bei der Befreiung der Sabena-Boeing 


Unter dem Befehl von Ehud Barak stand auch der 22 Jahre junge Benjamin Netanjahu zum Befreiungstrupp. Beide stiegen später an die Spitze der israelischen Demokratie auf, als Premierminister. 

Der trotz einer toten Passagierin erfolgreiche Sturm auf den entführten Flug begründete den öffentlichen Ruf israelischer Anti-Terror-Spezialisten und wurde zum Vorbild ähnlicher späterer Zugriffe – in Mogadischu 1977 durch die deutsche GSG9 oder in Marseille 1994 durch die französische GIGN. Allerdings gab es auch Desaster bei ähnlichen Befreiungsversuchen, etwa 1978 auf Zypern, 1985 auf Malta oder 1986 in Karatschi.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen