Die Diskussion über die Videoclip-Aktion „#allesdichtmachen“ geht weiter. Nach der zum Teil heftigen Kritik löschten einige Schauspieler ihre Clips. Doch es gibt auch Verständnis für die Aktion.
Die Debatten rund um Corona werden in weiten Teilen der Gesellschaft immer vergifteter geführt. Freundschaften zerbrechen an der Uneinigkeit über die Verhältnismäßigkeit von Lockdown-Maßnahmen, Familien geraten in heftige Streits. Manche Menschen, so scheint es, meinen, sich entscheiden zu müssen – zwischen „Team Freiheit“ und „Team Solidarität“. Und so stellte Maybrit Illner am Donnerstagabend in ihrem ZDF-Talk die Frage, ob Corona das Land spaltet.
Einer der Gäste war Schauspieler Jan Josef Liefers (u.a. „Tatort“). Der 56-Jährige hatte sich mit einem Videoclip an der
umstrittenen Aktion #allesdichtmachen beteiligt. Dutzende Schauspieler hatten dabei die deutsche Corona-Politik auf ironisch-satirische Weise kritisiert. Danach war eine Debatte über Meinungsfreiheit entbrannt, die Diskussion über das Krisenmanagement wird vielfach noch eine Tonspur schärfer geführt.
In den ersten gut zehn Minuten der Sendung interviewt Illner Liefers alleine – die anderen Gäste kommen erst danach zu Wort.
Der Schauspieler verteidigt sein Video. „Wir können doch nicht das, was wir sagen und wie wir darüber sprechen, definieren lassen von denen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen“, so der Schauspieler. Ihm und seinen Kollegen war der Applaus von „Querdenkern“ und AfD vorgehalten worden. Bildhaft meint Liefers, er müsse sagen dürfen, dass zwei plus zwei vier ist – auch wenn ein AfD-Politiker zum gleichen Ergebnis komme. „Ich stehe für die offene Gesellschaft und für die Freiheit der Rede.“
Er denke nicht, dass Medien „gleichgeschaltet“ seien, betont Liefers. Allerdings habe er „eine gewisse Homogenität“ in der Berichterstattung über die Corona-Krise wahrgenommen. Der Fokus habe zu sehr auf diesem einen Thema gelegen, so sein Eindruck. Viele Probleme, die mit den Einschränkungen einhergingen, beispielsweise Gewalt in Familien, die in prekären Verhältnissen leben, seien zu kurz gekommen.
Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die mit am Tisch sitzt, findet die Aktion „sehr unglücklich“. Angestoßen worden sei durch #allesdichtmachen vor allem eine „destruktive Diskussion“. Dass über die Aktion überhaupt noch gesprochen werde, nervt Nguyen-Kim. „Wir belohnen momentan medial diejenigen, die am lautesten schreien“, kritisiert sie. Leider gelte im Journalismus die Formel „Empörung gleich Klicks gleich Einnahmen“. Und das spalte am Ende die Gesellschaft.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki, ins Studio zugeschaltet, gibt Feuer in die Debatte. Er maße sich nicht an, zu beurteilen, ob eine Diskussion destruktiv oder konstruktiv sei. Diese Unterscheidung gebe es auch in der Verfassung nicht. Er appelliert, Kritiker von Corona-Maßnahmen nicht zu Menschen zu erklären, die schwere Krankheitsverläufe oder Todesfälle wollten.
Auf Dauer werde die Gesellschaft einen Lockdown nicht aushalten, betont Kubicki. Dass sich jetzt gerade Schauspieler geäußert hätten, könne er nachvollziehen – die hätten vielfach schließlich nicht nur Einkommen, sondern vor allem auch ihr Publikum verloren. Und ihre Videos und Meinungen gelte es auszuhalten – das garantiere ja ohnehin die im Grundgesetz verankerte Kunst- und Meinungsfreiheit.
Peter Tschentscher (SPD), Hamburgs Erster Bürgermeister, macht von zwei Stühlen neben Liefers einen Schritt auf den Schauspieler zu, kritisiert aber auch die Videos: Die Hin- und Hergerissenheit Liefers‘, sein Mürbe-sein könne er nachvollziehen, so Tschentscher. Das gehe ja der gesamten Gesellschaft so. Genau deshalb sei die #allesdichtmachen-Aktion mit ihrer für viele Menschen missverständlichen Botschaft aber „ein bisschen missglückt“. „Diese aufgeheizte, emotionale Stimmung, die wir ja alle jetzt haben nach einem Jahr Corona-Pandemie, die war benzinhaltige Luft – und Sie machen da ein Streichholz an“, kritisiert er.
Liefers erzählt von Gesprächen, die er im vergangenen Jahr häufiger erlebt habe. Menschen hätten mit ihm ihre Meinung geteilt, allerdings mit dem Zusatz: „Aber das darf man jetzt ja nicht mehr sagen.“ Der in der DDR aufgewachsene Schauspieler meint dazu: „Klar darf man alles sagen – aber ungestraft nicht.“ Er finde es schrecklich, dass es tatsächlich Menschen gebe, die meinten, nicht mehr alles sagen zu können.
Palmer will nicht „leiser, stiller oder mit der Schere im Kopf“ argumentieren
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer kennt die Situation, in der Liefers gerade steckt. Dem streitbaren Grünen-Politiker wurde in verschiedenen Kontexten bereits häufiger vorgeworfen, Applaus von Rechten bekommen zu haben. Er werde nicht anfangen, wegen dieser Kritik „leiser, stiller oder mit der Schere im Kopf zu argumentieren“, betont Palmer, der zugeschaltet ist.
Er kenne die Mechanismen: „Was wir hier erleben, sind eingeübte Rituale. Die Empörung, die Cancel Culture.“ Dass einige Schauspieler ihre
Videos wieder gelöscht hätten, sei die „klassische Reaktion: Man wird so unter Druck gesetzt, bis man nicht mehr zu dem steht, was man gesagt hat“. Das sei mit ihm auch oft versucht worden.
Journalistin Nguyen-Kim schüttelt den Kopf, während Palmer das ausführt. Der fährt aber unbeirrt fort. Die Menschen bräuchten keine „Vordenker, die ihnen schon klar machen, was die gute Seite der Macht ist“. Konkret in der Pandemie seien Lockdown-Maßnahmen zudem nicht die einzige Möglichkeit im Krisenmanagement. Und wer diese Maßnahmen kritisiere sei niemand, der es billige, dass Menschen auf Intensivstationen kommen.
Für die #allesdichtmachen-Aktion findet der Lokalpolitiker so denn auch lobende Worte: „Das war nicht spaltend“, meint er. Vielmehr wirke in einer Demokratie Streit integrierend. Er finde es „großartig“, was die Künstler „sich getraut“ hätten; deswegen werde heute anders über die Corona-Politik diskutiert als noch vor einer Woche. „Danke, Herr Liefers, für diese Aktion“, wendet Palmer sich schließlich direkt an den Schauspieler.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen