Donnerstag, 4. Oktober 2018

Zuerst von der Industrie verraten, dann von der Bundesregierung verkauft...

von Thomas Heck...

Der deutsche Dieselfahrer hat es schon schwer. Vertraute er doch auf eine moderne und effiziente Technologie, investierte sein hart erarbeitetes Geld in einen umweltfreundlichen Diesel, sparsam im Verbrauch, günstig beim Tanken. Doch er wurde von den Autoherstellern betrogen, die ihm Fahrzeuge unterschoben, die nicht ganz so sauber waren, wie auf Testständen ermitteln wurde. Kein Wunder, erkannte doch das Auto, wenn es auf einem Prüfstand war und ein besonders sauberes Verhalten an den Tag legte, im Alltagsbetrieb jedoch Leistung in den Vordergrund stellte. Ein großangelegter Betrug mit mafiösen Strukturen, den jetzt der Verbraucher ausbaden muss, weil eine schwache und machtlose Kanzlerin nicht den Willen hat, der Autoindustrie zuzumuten, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Dass der Betrüger die Zeche bezahlt, nicht das Opfer.


Der Dieselplan offenbart die ganze Machtlosigkeit der Kanzlerin. Angela Merkel hatte auf Hardware-Nachrüstungen bestanden. Die sollen jetzt kommen. Aber die Autobauer können nicht zur Kostenübernahme gezwungen werden. Die Kanzlerin riskiert bewusst, dass der Steuerzahler die Milliardenzeche zahlen muss.

Die große Koalition erwartet von den deutschen Automobilherstellern Hardware-Nachrüstungen. Joachim Damasky vom Verband der Automobilindustrie äußerte sich dazu in Berlin: „Die deutsche Automobilindustrie setzt nicht auf die Hardware-Nachrüstung.“ 

Man merkte Svenja Schulze und Andreas Scheuer die durchgemachte Nacht nicht an. Die beiden Bundesminister hatten diskutiert, gefeilscht – und sechs Stunden wie die Kesselflicker gestritten. Im Koalitionsausschuss bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Über die Zukunft des Diesels und wie in den Städten endlich saubere Luft herrschen soll. Und nun gibt es endlich ein Konzept dafür.

Nach nur drei Stunden Schlaf, wie Verkehrsminister Scheuer (CSU) stolz auf Instagram postete, traten er und Umweltministerin Schulze (SPD) vor die Presse, scherzten miteinander und waren sehr zufrieden. „Wir haben ein großes Paket geschürt. Eines, das die Luft besser machen wird. Das dem Diesel eine Zukunft gibt. Und das Hardware-Nachrüstungen vorsieht“, sagte Schulze.

Letzteres war für die Ministerin und die SPD entscheidend. Ohne die Nachrüstungen der Motoren hätten die Sozialdemokraten keiner Einigung zugestimmt. Nun stehen sie also im großen Dieselplan der Bundesregierung.

Und trotzdem haben die Autokonzerne mehr Anlass als alle anderen, mit dem Konzept zufrieden zu sein. Die Bundesregierung hat sie nämlich vom Haken gelassen. Die Kostenwelle, die die Umbauten an den Euro-5-Dieseln auslösen kann, wird über die Autoindustrie hinweggehen. Wer wirklich dafür aufkommen wird, dass die Luft in Deutschlands Städten besser wird, sind die Steuerzahler.
Kommunalfahrzeuge werden nachgerüstet

Der Dieselplan sieht vor, dass in den Städten, in denen die Belastungen mit Stickoxiden (NOx) über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen, die Motoren der schweren Kommunalfahrzeuge mit Katalysatoren nachgerüstet werden sollen.

Das betrifft etwa Müll- oder Straßenreinigungswagen. In 65 Städten wurden vergangenes Jahr die Grenzwerte überschritten. Die Aktion könnte daher rund 28.000 Fahrzeuge betreffen. Der Bund will die Umbauten ab Anfang kommenden Jahres mit 80 Prozent fördern. Der Steuerzahler kommt also für den Löwenanteil auf.

Außerdem sollen Handwerker- und Lieferfahrzeuge nachgerüstet werden. Wie bei den Kommunalfahrzeugen ist auch dort Platz für den Einbau von Katalysatoren und Tanks für die nötige Harnstofflösung. Auch hier will der Bund bei gewerblich genutzten Dieseln den nachträglichen Einbau von SCR-Katalysatoren zu 80 Prozent bezahlen. Den Rest sollen die Automobilhersteller übernehmen. Auch hier trägt der Steuerzahler also die Hauptlast.

Gemeinsam mit dem Maßnahmen des Programms Saubere Luft, für das der Staat bereits eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt hat, um Dieselbusse oder -taxen umzurüsten oder den Ausbau der Infrastruktur für E-Autos voranzutreiben, können so nach Erwartung der Bundesregierung in den meisten Städten die NOx-Grenzwerte eingehalten werden. In 14 Städten wird es allerdings eng, dort ist die Stickoxid-Belastung einfach viel zu hoch.

Umtauschprämien sollen Halter zum Tausch ihrer Pkw motivieren

Die Einwohner dieser Städte, Pendler die dort regelmäßig arbeiten und die Menschen in den angrenzenden Landkreisen sollen deswegen in den Genuss von Umtauschprämien und Hardware-Nachrüstungen kommen. Allerdings auf freiwilliger Basis, kein Halter wird zum Tausch oder zu Umbauten an seinem Motor gezwungen. 

Mit den Prämien sollen die Dieselhalter animiert werden, ihren Wagen der Klassen Euro 4 oder Euro 5 gegen ein sauberes Modell zu tauschen. Das kann auch ein Gebrauchtwagen sein. Bezahlen sollen das die Autobauer, und das haben die meisten Hersteller zugesagt, schließlich treiben solche Prämien in aller Regel die Verkaufszahlen massiv noch.

BMW will 6000 Euro Umtauschprämie gewähren, Mercedes bis zu 5000 Euro, Volkswagen 4000 bis 5000 Euro. In diesem Fall sind auch die ausländischen Hersteller mit dabei, Renault gibt sogar bis zu 10.000 Euro Bonus.

Regierung pocht auf Hardware-Nachrüstungen

Anders sieht es bei den Hardware-Nachrüstungen aus, auf die die SPD ultimativ bestanden hatte, die die Grünen und Umweltverbände als das entscheidende Mittel zur Verbesserung der Luftqualität sehen. Sie könnten die Autobauer Milliarden kosten. Rund 1,8 Millionen Diesel der Klasse Euro 5 könnten umgerüstet werden, nimmt man die Zahlen für ganz Deutschland.

Und ein Einbau von SCR-Katalysatoren kostet im Durchschnitt 2000 bis 3000 Euro. Die Autobauer hatten sich bis zuletzt mit allen Mitteln gewehrt, dafür die Kosten übernehmen zu müssen. Und nun steht in dem Dieselplan der Bundesregierung: „Der Bund erwartet vom jeweiligen Automobilhersteller, dass er die Kosten hierfür einschließlich des Einbaus übernimmt.“ Die Regierung erwartet also – und schon jetzt ist klar, dass sie lange auf eine Kostenübernahme durch die Autobauer warten kann.

Die ausländischen Hersteller lehnten es sofort ab, dafür zahlen zu müssen. „Wir haben, was Nachrüstungen angeht, weiterhin technische, rechtliche und wirtschaftliche Bedenken“, sagte Reinhard Zirpel, Präsident des Verbands der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK), der die Importeure vertritt, gegenüber WELT. Sprich: Die Importeure werden ihre Autos vorerst nicht nachrüsten lassen.

Und was BMW davon hält, sagte Minister Scheuer ganz unumwunden: „BMW wird keine Nachrüstungen machen.“ Und Daimler? „Da kann man es sich grundsätzlich vorstellen“, so der Minister. Und Volkswagen? „Von dort gibt es ein grundsätzliches Okay, aber es sind noch eine Menge Einzelheiten zu klären“, gab Scheuer zu.
Wer Hardware-Nachrüstungen bezahlt, ist ungeklärt

Die entscheidenden Teile des Dieselplans, nämlich wer für die Nachrüstungen bezahlt, ist also auch nach tagelangem Tauziehen und einem nächtlichen Verhandlungsmarathon ungeklärt. Und bei Volkswagen hört sich das angebliche Okay auch ganz anders an.

„Im Hinblick auf die Nachrüstung gehen wir davon aus, dass die Bundesregierung sicherstellt, dass sich alle Hersteller an den entsprechenden Maßnahmen beteiligen“, sagte ein VW-Sprecher. In Wolfsburg weiß man natürlich, dass sich praktisch alle anderen Autobauer verweigern. Damit hat also auch Volkswagen eine Kostenübernahme indirekt abgelehnt.

Sollten also Hardware-Nachrüstungen nötig werden, wird sie der Bund bezahlen müssen. Also der Steuerzahler. Vertreter des Bundesverkehrsministeriums wiesen am Rande der Pressekonferenz erneut darauf hin, dass es keine Möglichkeit gäbe, die Autobauer zu einer Kostenübernahmen zu zwingen.

Deren Autos seien – von den Betrugsfällen bei VW abgesehen – nach geltenden Gesetzen zugelassen. Für die Fahrzeuge gelte eine Art „Bestandsschutz“. Man könne den Hersteller nicht dazu verpflichten, für bauliche Änderungen an diesen Autos zu bezahlen. „Wir können die Pflege oder Rente als Staat regeln, aber nicht die Nachrüstungen an den Dieseln. Dafür brauchen wir die Autobauer“, gab Minister Scheuer zu.
Der Dieselplan ist eine Niederlage für Merkel

Diese Erkenntnis, die wachsweiche Formulierung, man erwarte eine Kostenübernahme durch die Autobauer, und die prompte Absage durch die Industrie sind eine Niederlage für die SPD, für Umweltministerin Schulze – und vor allem für Kanzlerin Merkel. Sie war es, die sich vor knapp zwei Wochen in den Streit über Nachrüstungen eingeschaltet und dabei für die SPD und gegen die CSU Stellung bezogen hatte.

Die Kanzlerin hatte erklärt, sie wolle nun, dass Diesel mit Stickoxid-Katalysatoren nachgerüstet werden, und der sich dagegen sträubende Verkehrsminister habe dafür die rechtlichen Lösungen zu schaffen. Damit war klar, dass ein Dieselkonzept Nachrüstungen enthalten müsse.

Merkel hat das nun durchgesetzt, ohne dass geklärt werden kann, wie man die Autobauer dazu verdonnern kann, die Kosten zu übernehmen. Die Kanzlerin riskiert bei einer weiteren Weigerung der Konzerne – und dabei werden diese bleiben –, dass Milliarden oder dreistellige Millionensummen in alte Diesel investiert werden müssen und dafür am Ende der Steuerzahler aufkommt.

Aber vielleicht sind diese Nachrüstungen auch gar nicht nötig. Die NOx-Belastung in den Städten sinkt seit Jahren. Vor den derzeit 65 Städten waren es 90, in denen die Grenzwerte überschritten wurden. Das Programm Saubere Luft, die Tauschprämien und die Nachrüstungen der kommunalen Flotten und Handwerkerautos werden die NOx-Konzentration in den Städten weiter reduzieren. Gut möglich, dass es dann am Ende weniger als 14 Städte sind, in denen man noch einmal über weitere Maßnahmen nachdenken muss.

Das sehen die Grünen und Umweltverbände anders. Für sie ist das ganze Konzept ohnehin eine Mogelpackung oder zumindest halb gar. Fahrverbote würden sich dadurch nicht verhindern lassen. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hält trotz des Plans der Bundesregierung vorerst an den geplanten Fahrverboten für ältere Fahrzeuge ab 2019 in Stuttgart fest.

Die zum 1. Januar vorgesehenen Maßnahmen müssten wahrscheinlich gehalten werden, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da groß etwas ändert.“ Die Verbote sind zunächst für Diesel der Euronorm 4 und schlechter geplant, um die Luft in Stuttgart sauberer zu bekommen. Dazu hatten Verwaltungsgerichte die grün-schwarze Landesregierung gezwungen.

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