von Dr. Eran Yardeni
Getrieben von ihrer oftmals irrsinnigen Motivation, die gesellschaftliche Ordnung zu reformieren oder am besten gleich zu revolutionieren, sahen sich die größten Denker der Menschheit immer gezwungen, dem Thema „Erziehung“ ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Die Politeia von Platon, die Ethik von Aristoteles und das pädagogische Manifest von Jean-Jacques Rousseau, der übrigens mit der Erziehung seiner eigenen fünf Kinder dermaßen überfordert war, dass er sie einem Findelhaus übergab, sind nur drei ziemlich bekannte Beispiele.
Das Prinzip ist sehr einfach: Wer eine demokratische, diktatorische, aristokratische, humanistische, sozialistische, faschistische oder liberale gesellschaftliche Ordnung einführen will, der soll zuerst oder wenigstens gleichzeitig das effektivste sozialisierende Instrument der Gesellschaft, sprich das Erziehungswesen, gleichschalten. Das gilt auch für Deutschland.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, ob freiwillig oder nicht, durchliefen Teile der deutschen Gesellschaft eine Metamorphose und bekannten sich zur Demokratie. Hurra! Diese politische Verwandlung setzte die Demokratisierung des Erziehungswesens voraus und ist unter dem Namen „Bundesrepublik Deutschland“ in die kunterbunten Cornelsen-Geschichtsbücher eingegangen.
Weil das manisch-depressive deutsche Volk von Natur aus zu Extremismus neigt, wurde das Ziel dieser Entwicklung verfehlt und, wie in vielen anderen Fällen, ad Absurdum geführt. Hier ist ein Beispiel:
Die Klassenkonferenz ist, wie jedes Elternteil weiß, ist ein notwendiges unangenehmes, dafür aber ein rein demokratisches Verfahren: Die Schulleitung begrüßt die Anwesenden – die Klassenlehrer, die Fachlehrer, die Eltern, die Elternvertreter, die Schülervertreter (damit gemeint – die Vertreter der Klasse) und den betroffenen Schüler bzw. die betroffene Schülerin, über deren Missetaten diskutiert werden soll. Zuerst erklärt der Klassenlehrer den Anwesenden, warum er sich verpflichtet sah, eine Klassenkonferenz einzuberufen und dann geht es los. Jeder darf seine Meinung äußeren. So ist es in einer gesunden Demokratie.
Andere Fragen aber, z.B. was die Lehrer über den einen oder anderen denken oder ob Schüler dabei sein sollen, wenn die Lehrerschaft über explosive Themen diskutiert, wie z.B. über die Beziehungen in der Familie des betroffenen Kindes oder über seine letzte nicht erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung, scheinen nicht so wichtig zu sein. Viel wichtiger ist die Demokratisierung des Erziehungswesens.
Dazu kommt noch etwas: Die Klassensprecher dürfen nicht nur ihre Meinung äußern, sie sind sogar stimmberechtigt. Mit anderen Worten: Kinder mit 14 dürfen de facto und de jure das schulische Schicksal ihres Klassenkameraden mitbestimmen.
Man darf nicht vergessen, dass die Schülervertreter nicht unbedingt die reifsten und die intelligentesten in der Klasse sind. Das kann sein – muss aber nicht. Sie werden demokratisch gewählt, so dass auch in diesem Verfahren Popularität, Aussehen und schöne Klamotten genau so wichtig sind, wenn nicht sogar wichtiger, als andere Eigenschaften eines guten Schülervertreters.
Man kann natürlich behaupten, dass es bei den Erwachsenen nicht wesentlich anders ist. Auch sie werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die mit der Sache selten zu tun haben. Das stimmt, einen kleinen Unterschied gibt es aber trotzdem.
Dieser Unterschied kann am bestens vor dem Hintergrund des letzten brutalen Angriffs in der U5 in Berlin erklärt werden. Laut Tagesspiegel wollte „ein 54-Jähriger am Freitagabend in der U-Bahnlinie U5 einen behinderten Mann vor einem Angriff schützen”. Daraufhin wurde er selbst zum Opfer: “Ein 14-Jähriger fügte ihm eine 20 Zentimeter lange Schnittwunde zu.“
Wenn Kinder in dem Alter des Angreifers reif genug sind, um über das schulische Schicksal ihres Schulkameraden zu entscheiden, warum werden sie vor Gericht als Minderjährige behandelt, wenn sie auf der Straße oder in der U-Bahn Andere terrorisieren?
Auf der einen Seite behauptet man, sie seien reif genug, um zu verstehen, was Schweigepflicht bedeutet und intelligent genug, um über die Zukunft eines Mitschülers abstimmen zu dürfen, dafür aber angeblich noch nicht reif genug, um einfach zu kapieren, dass man nicht mit einem Messer auf seinen Nächsten losgehen darf.
Sind sie nun Kinder oder nicht?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen