von Thomas Heck...
Wenn ich heute daran denke, dass wir von Leuten regiert werden, die in den dunklen RAF-Zeiten insgeheim oder ganz offen mit den Terroristen der RAF oder den Palästinensern sympathisierten, wird mir speiübel. Meine "tiefe" Abneigung gegen die Grünen rührt auch daher. Die SPD bewertete ich immer mit den Maßstäben des langen Schattens, den ein Krisenkanzler Helmut Schmidt warf. Die SPD macht im direkten Vergleich mit Bundeskanzler Helmut Schmidt eine dermaßen schlechte Figur, dass ich das gar nicht weiter kommentieren will. Widerlich und Ekel sind die Begriffe, die mir da spontan einfallen. Den Palästinensern habe ich ihren Terror gegen mein Land und auch gegen Israel niemals verziehen, zielte doch deren Terror ausschließlich gegen Zivilisten. Den Grünen kann und werde ich ihren Umgang mit den Terroristen der RAF und ihre Mördern entgegengebrachte Sympathie niemals vergeben.
Mich selbst hat dieses Ereignis von 1977 als 12jähriger Bub lange beschäftigt und hat auch später mein Berufsleben lange Zeit geprägt. Für die GSG 9 hat es zwar nicht gereicht, auch weil ich den Versuch niemals startete. Aber Offizier der Bundeswehr mit dem Dienstgrad Hauptmann und dem Dienstposten Kompaniechef wurde es dann doch.
Ein sehenswerter Zweiteiler des Bayerischen Rundfunks lenkt den Blick auf den desaströsen Umgang mit den Überlebenden der „Landshut“. Auch der Umgang mit der nach Deutschland zurückgekehrten Original-Boeing ist ein einziger Skandal.
Diana Müll in der "Landshut" heute. Ihr geht es vor allem um Anerkennung und um angemessene Erinnerung an die Entführung 1977
Todesangst verändert Menschen – immer. Die allermeisten Deutschen des Jahres 2023 haben das zum Glück nicht mehr am eigenen Leib erfahren müssen, anders als jene vorangehenden Generationen, die noch aktiv den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten. Manche erleben es aber eben doch. Zu ihnen zählten die 90 Menschen (86 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder), die im Oktober 1977 für 106 Stunden und zehn Minuten in der Gewalt palästinensischer Flugzeugentführer waren. Zu ihnen gehörte Diana Müll, damals 19 Jahre jung.
Das Hijacking der Lufthansa-Boeing „Landshut“ ist oft beschrieben worden: Aus der Perspektive der Politik, vom Standpunkt der erfolgreich eingesetzten Antiterror-Truppe GSG-9, mit den Augen der mutigen Besatzungsmitglieder wie Co-Pilot Jürgen Vietor (der nach dem Mord an Kapitän Jürgen Schumann in Aden die Maschine allein fliegen musste) und Stewardess Gabriele von Lutzau.
Weil es fast keine Fotos aus der "Landshut" während der Entführung gibt, hat die Künstlerin Cendra Polsner Zeichnungen beigesteuert: Diana Müll mit einer Pistole am Kopf
Relativ selten beleuchtet wird hingegen die Perspektive der Passagiere. Gewiss, in den meisten Dokumentationen kamen einige von ihnen mit Interview-Schnipseln vor. Aber die ausführlichen Gespräche, die der Dokumentarfilm-Regisseur Ebbo Demant 1980 mit zwei Dutzend Passagieren geführt hatte, wurden erst mehr als 30 Jahre später zu einem eindrucksvollen Film montiert („Im fliegenden Sarg“).
Ohne direkten chronologischen Anlass zeigt der Bayerische Rundfunk nun in der Reihe „Kontrovers – Die Story“ einen eindrucksvollen Zweiteiler, in dessen Mittelpunkt, aber stellvertretend für alle Opfer der Entführung, der Fall von Diana Müll steht. Ausgestrahlt wird die Produktion von Autor Christian Stücken, der schon bemerkenswerte zeithistorische Ereignisse ins Fernsehen gebracht hat, zuletzt etwa über die schleppende Aufarbeitung der NS-Machtübernahme vor Ort 1933 und den Höhepunkt des Kalten Krieges im Zuge der Nachrüstung 1983, allerdings nur im Programm des BR. Immerhin: in der ARD-Mediathek sind die beiden Halbstünder ab dem 31. Mai 2023 für ein Jahr abrufbar.
Als die ersten Nachrichten über die Entführung einer Lufthansa-Maschine auf dem Rückflug aus Mallorca am Nachmittag des 13. Oktober 1977 die Öffentlichkeit erreichten, griff Erika Müll, Dianas Mutter, sofort zum Telefon und rief die Notfallzentrale der Fluggesellschaft an. Die Antwort fiel eindeutig aus: „Eine Diana Müll befindet sich in der entführten Maschine.“ Auch 45 Jahre später lässt der Mutter die Verzweiflung über diese Nachricht noch die Stimme brechen.
Noch weitaus schlimmer ist das, was die 19-jährige Tochter an Bord schon erlebt hat und in den folgenden rund hundert Stunden noch erleben muss. Die vier Terroristen zwingen ihre Geiseln zum Beispiel, stundenlang mit erhobenen Händen auf ihre Plätzen zu sitzen. „Das kann man sich nicht vorstellen, was das für Schmerzen sind“, erklärt Diana Müll ziemlich genau an jener Stelle der „Landshut“, an der sie damals ausharren musste: „Die Arme haben so gebrannt, wie Feuer.“ Später bedroht der Anführer der Palästinenser sie und kündigt an, sie als erste erschießen zu wollen. Psychoterror.
Stückens Film ist die erste Dokumentation, in der Innenaufnahmen der originalen „Landshut verwendet werden, die seit sechs Jahren mit demontierten Tragflächen in einer Halle am Rande des Flughafens Friedrichshafen am Bodensee liegt. Das ist der jüngste Skandal im an Fehlleistungen reichen Umgang mit dieser Entführung in Deutschland.
Die "Landshut" auf dem Flughafen von Dubai. Am Fenster des Cockpits einer der Entführer mit einer Waffe in der Hand
Statt die Rückkehr der Boeing 737 nach Deutschland im September 2017 zu nutzen, um ein Museum für den Kampf der wehrhaften Demokratie gegen den (Links-)Terrorismus einzurichten, eine Gedenkstätte für die Opfer des RAF-Wahns, bereitet die seit 2020 zuständige Bundeszentrale für politische Bildung in einem „offenen Konzeptionsprozess“ einen „Lernort Landshut“ vor. Was das sein soll, weiß niemand.
„Die sich am Objekt entfaltenden Themenbereiche“ sollen „zielgruppengerecht, partizipativ und anhand adäquater Vermittlungs- und Ausstellungsformate“ aufbereitet werden, heißt es im Zwischenbericht der Bundeszentrale nach zwei Jahren Arbeit an dem Projekt: Worthülsen. Dazu passt, dass die „Landshut“ eben nicht restauriert, sondern im gegenwärtigen Zustand als halbes Wrack „konserviert“ werden soll. Ein unsinniges Konzept, dessen Scheitern vorab feststeht – und das sicher weder „zielgruppengerecht“ noch „partizipativ“ sein wird.
Denn was künftige Besucher an der „Landshut“ interessiert, ist die extreme Ausnahmesituation, die Menschen wie Diana Müll und die anderen Geiseln (in Stückens Film kommen auch weitere Entführte zu Wort, Jutta Knauff und Birgit Röhll) durchleiden mussten. Und ihre Angehörigen, die im Ringen zwischen Terroristen und Regierung nichts tun konnten. Erika Müll sagt: „Für mich war das die Hölle.“
Nach der gelungenen Befreiung durch die GSG-9 in Mogadischu und der Rückkehr nach Frankfurt ging das Leiden für die Geiseln weiter – in veränderter Form natürlich, aber dennoch, „weil die Bundesregierung ihren Sieg über den Terrorismus inszenieren wollte“, wie es in Stückens Film kritisch heißt. Man kann das so sehen, denn im Ergebnis war der Empfang für die Geiseln ein „Schock“: Rund tausend Journalisten erwarteten sie und zahlreiche Staatsvertreter, die ihrer Freude Ausdruck verleihen wollten – in diesem Moment ungefähr das Unpassendste, was man tun konnte. Gut gemeint, aber in Wirklichkeit genau das Gegenteil.
Gut gemeint: Die Willkommensfeier für die befreiten Geiseln nach der Heimkehr. In der Mitte Jürgen Vietor, der Co-Pilot der "Landshut", neben Verkehrsminister Kurt Gscheidle
Für eine bewusste Instrumentalisierung durch den Krisenstab allerdings gibt es keinen Hinweis. Denn mit dem Selbstmord der RAF-Führungsriege im Stammheimer Gefängnis und der Sorge um den immer noch entführten Hanns Martin Schleyer waren Schmidt und seine engsten Mitarbeiter hinreichend ausgelastet. Es war wohl die Dynamik der Ereignisse, die zu dieser zusätzlichen und unnötigen Belastung führte. Übrigens nicht zuletzt durch sensationsgierige Journalisten.
Nicht das einzige Mal, das zeigt Stückens Zweiteiler zum ersten Mal ausführlich, dass den Befreiten auch in Deutschland übel mitgespielt wurde. Die Folgen, die 106 Stunden Todesangst hinterließen, wurden fast ausnahmslos nicht ernst genommen. Diana Müll beispielsweise fühlt sich bis heute vom Staat alleingelassen. „Es geht ja nicht immer um Entschädigung, natürlich auch, aber es geht um Anerkennung.“
Diana Müll hat zum 40. Jahrestag 2017 ihre Erlebnisse in dem Buch „Mogadischu. Die Entführung der ,Landshut’ und meine dramatische Befreiung“ (Riva-Verlag. 192 S., 14,99 Euro) festgehalten. Ihre Geschichte macht auch einen Teil der gegenwärtig wohl besten Gesamtdarstellung unter dem Titel „Die Entführung der ,Landshut’ in Zeitzeugenberichten“ aus, den der Luftfahrt-Journalist Wolfgang Borgmann 2021 publizierte (Motorbuch-Verlag. 143 S., 24,90 Euro).
Christian Stückens Zweiteiler lenkt zu Recht den Blick auf den Umgang mit den Geiseln nach der Befreiung. Der Zeithistoriker Martin Rupps, der sich seit vielen Jahren mit der „Landshut“ und den Geiseln beschäftigt, attestiert der Bundesregierung „Totalversagen“. Dass sich die Politik „überhaupt nicht gemeldet“ habe, später „Schmerzensgeldansprüche niedergeschlagen hat“, sagt Rupps provokant, habe „letztlich viele der Betroffenen umgebracht“.
Diana Müll entwickelt eine schwere Angstneurose und litt lange, bis sie die passende Therapie fand. Doch die Übernahme der Kosten dafür lehnte das Versorgungsamt Münster 1986 ab, denn sie könne „rückblickend betrachtet nicht mehr in einem Zusammenhang mit der Flugzeugentführung gesehen werden“. Sie musste die Behandlung abbrechen. Noch 2018 wird ihr eine 150 Euro Geschädigtenrente monatlich verweigert.
Eine angemessene Präsentation der Originalmaschine in Friedrichshafen oder andernorts, etwa Bonn oder Berlin, könnte vielleicht den heute noch lebenden Befreiten helfen, die Folgen der Todesangst zu beherrschen. Aktuell sieht es allerdings nicht danach aus, dass diese Hoffnung bis zum 50. Jahrestag der Entführung im Oktober 2027 Realität werden wird.
Bayerisches Fernsehen 31. Mai und 7. Juni, jeweils 21.15 Uhr. Beide Teile ab 31. Mai in der Mediathek.
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