von Thomas Heck...
Nach der Gewalt gegen Polizisten zur Silvesternacht kommt die Diskussion mit Bodycams wieder in Schwung. Bodycams sollen Polizisten vor Gewalt schützen, sollen gegenüber Gewalttätern abschreckend wirken. Sie sind aber keine Einbahnstrasse, denn auch das rechtmäßige Vorgehen der Polizei muss in einem Rechtsstaat beweiskräftig nachgewiesen werden können.
Dazu gehört auch, Straftaten von Polizisten gegen den Bürger zu dokumentieren. Und dazu gehört, dass die Kameras lückenlos aufzeichnen und die Aufzeichnungen gespeichert bleiben. Es kann nicht sein, dass Aufnahmen temporär unterbrochen oder von Polizisten gelöscht werden können, wie ein Fall aus Hessen zeigt, wo Polizisten versuchten, ihr illegales Vorgehen gegen einen Bürger durch das Löschen von Überwachungsvideos zu verschleiern.
So wird Vertrauen in die Polizei zerstört, die nicht über dem Gesetzt steht. In diesem Fall ist es gut, dass der Rechtsstaat dennoch funktioniert, hat doch die Staatsanwaltschaft das gelöschte Video aufwändig wiederherstellen lassen. Bleibt zu hoffen, dass diese kriminellen Beamten umgehend vor Gericht gestellt, verurteilt und aus dem Dienst entfernt werden. Sie sind eine Schande für die zehntausenden Polizisten, die korrekt in einem schwierigen Job arbeiten und täglich den Kopf für uns alle hinhalten.
Von der Überwachungskamera festgehalten: gewaltsames Vorgehen von drei Polizisten und einer Polizistin
Die Rekonstruktion von Videoaufnahmen belegt Polizeigewalt gegen einen 38-Jährigen. Das Video galt zuvor als gelöscht, die Polizisten schilderten den Vorfall ganz anders.
Idstein – Es sind verstörende Bilder, die auf den Videos der Überwachungskameras zu sehen sind. Ein Mann im roten Shirt wird von Polizisten und einer Polizistin gewaltsam zu Boden gebracht, erst mit der Faust, dann mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, bis ein Polizist ihm sein Knie in den Nacken drückt, während das Gesicht des Betroffenen auf den Boden schrammt.
All dies wurde von Kameras aufgenommen, die direkt vor der Polizeiwache in Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis) installiert sind, wo sich der Vorfall zutrug. Doch diese Videos waren überspielt, weil die Polizei sie nicht rechtzeitig gesichert hatte – obwohl Michael Heuchemer, der Anwalt des Betroffenen, ausdrücklich darum gebeten hatte. Tatsächlich galten sie zunächst als gelöscht. Nun aber sind die Aufnahmen auf Initiative der Staatsanwaltschaft Wiesbaden aufwendig rekonstruiert worden und liegen der Frankfurter Rundschau vor. Damit wird nicht nur die Brutalität des Geschehens klar, sondern auch, dass mehrere Beamtinnen und Beamten offenbar falsche Angaben darüber gemacht haben.
Polizeigewalt in Idstein: Video zeigt Vorfall
Die Auseinandersetzung spielte sich bereits im September 2020 vor der Wache ab. Liam Conway, ein damals 38-jähriger Gastro-Unternehmer und Sporttrainer im Kickboxen, war anschließend durch blutige Verletzungen im Gesicht stark gezeichnet. Der Idsteiner hatte seinen 75 Jahre alten Vater abgeholt, der auf der Wache einen Verkehrsunfall zu regeln hatte.
Mehrere Menschen hatten die Auseinandersetzung gefilmt. Auf deren Videos war zu sehen, dass drei Polizeibeamte Conway zu Boden drücken. Conway schreit, „ah, ah, ich krieg’ keine Luft! Bitte, bitte!“ und „Ich krieg’ Panik!“.
Verletzt: Liam Conway
Darüber, wie es so weit kam, gingen die Schilderungen weit auseinander. Die Polizei schilderte Conways Auftreten als aggressiv. Er habe versucht, einem Beamten das Pfefferspray zu entreißen, man habe ihn fesseln müssen. Conway sprach von grundloser Gewalt. Die Videoaufnahmen der Überwachungskameras vor der Wache bestätigen nun die Darstellung des Betroffenen.
Video zeigt Schlag mit der Faust
Aus zwei Perspektiven ist gut zu sehen, wie Conway von drei Beamten und einer Beamtin aus der Wache geleitet wird, ohne dass er sich wehrt oder aggressiv wird. Sobald die Tür sich öffnet, nimmt ein Polizist ihn von hinten in den Würgegriff. Die Beamten bringen ihn zu Boden, während die Polizistin daneben steht, und sie drehen ihm gewaltsam die Arme auf den Rücken. Dann fixieren sie ihn auf dem Boden, wobei ein Polizist besonders brutal vorgeht. Er schlägt Conway einmal mit der Faust und einmal mit der flachen Hand gegen den Kopf, der auf den Boden gedrückt wird. Dann kniet er sich in Conways Nacken.
Während sich Conway und die Polizeibediensteten gegenseitig anzeigten, stellte sich heraus, dass die entscheidenden Beweismittel vernichtet worden waren: die Videos der Überwachungskameras. Das Bildmaterial sei „wie technisch voreingestellt, nach 21 Tagen systembedingt und automatisiert durch neue Aufzeichnungen überschrieben“ worden, teilte das Polizeipräsidium Westhessen der FR im Jahr 2021 mit.
Polizei sichert Daten der Kameras nicht: Polizeipräsident nannte das „sehr ärgerlich“
Dabei hatten sich Polizeibedienstete am Tag nach der Tat noch die Videos angesehen. Niemand will auf die Idee gekommen sein, sie zu sichern. Ein verantwortlicher Polizist sagte aus, er habe zu spät versucht, die Daten zu sichern. Da seien sie schon überschrieben gewesen. Der damalige Polizeipräsident von Westhessen, Stefan Müller, inzwischen Frankfurter Polizeipräsident, nannte das Versäumnis „sehr ärgerlich“.
Conway, der drei Polizisten und eine Polizistin wegen Körperverletzung im Amt angezeigt hat, sieht sich bestärkt. Er sagte der FR, es habe ihn fassungslos gemacht, „dass die Beamten so einheitlich und wie abgestimmt behauptet hatten, ich hätte sie angegriffen und sozusagen ganz alleine entwaffnen wollen“. Er sei sehr erleichtert, dass die Überwachungsvideos sie „der Unwahrheit überführt“ hätten. Aus seiner Sicht sei das eindeutig – „da kann es keine Diskussion geben“.
Polizeigewalt in Idstein: Anwalt ist schockiert
Unklar ist, wie die beteiligten Polizistinnen und Polizisten auf die wiederhergestellen Aufnahmen reagieren - ob sie Aussagen korrigieren oder Anzeigen gegen Conway zurücknehmen. Das Polizeipräsidium Westhessen verwies auf die Staatsanwaltschaft Wiesbaden. Dort bestätigte Sprecher Florian Breidenbach der FR, dass die Aufzeichnung rekonstruiert worden sei. Weitere Auskünfte könnten nicht gegeben werden.
Anwalt Heuchemer nennt es „bemerkenswert“, dass die Videos seinerzeit verschwunden seien, entgegen einer Zusicherung der Polizei. Noch skandalöser findet er, wie „eindeutig falsch“ die Beamten ausgesagt hätten – offenbar in der Annahme, dass die Aufnahmen verschwunden seien. „Dies müssen und werden wir natürlich zu rechtlichen Konsequenzen bringen“, fügte der Jurist hinzu. Es sei „schockierend und verstörend“, wenn Beamtinnen und Beamte „die Rechtsordnung brechen, auf die sie vereidigt sind“.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen