von Thomas Heck...
Wenn man die freie Rede ernst nimmt, muss man auch abweichende Meinung zulassen, auch wenn es manchmal schwerfällt. Tut man das nicht, besteht nur die Gefahr, dass man sich nur noch in einer Bubble bewegt, die der eigenen Meinung entspricht und von anderen Meinungen nicht einmal mehr erfährt.
Ich denke ja, dass war früher nicht anders, hat man doch bei den Print-Medien die Tageszeitung oder das politische Magazin ausgewählt, welches die eigene Mentalität am besten abbildete, tut es doch gemeinhin gut, seine eigene Auffassung bestätigt zu wissen. In Zeiten Sozialer Medien hat sich dieser Trends sogar noch verstärkt. Durch Sperren und Blockaden können schon rein technisch die Augen vor Inhalten geschlossen werden. Eine fatale Entwicklung.
Ich selber blockiere Accounts, die mir beleidigend kommen und dabei eines gewisses Maß von Anstand vermissen lassen, bin ich doch selber ein Anhänger einer deutlichen Ansage und Ansprache und beleidige selbst durchaus. Dennoch lese ich auch Inhalte, selbst wenn es mir dabei körperlich gar nicht gut geht. Ich lese eine taz, einen SPIEGEL und auch andere grenzwertige Inhalte, weil man wissen muss, wie die andere Seite denkt. In heutigen Zeiten, wo Zensur wieder Alltag geworden ist, wäre es auch schwer, nur die Inhalte zu lesen, die einem genehm sind. Dumm wäre es zudem.
Doch was in Sachen Twitter-File zu Tage befördert wurde, hat einen Ausmaß politischer Willkür und Zensur offenbart, welches man selbst als Betroffener von Blockierungen und Zensurmaßnahmen niemals für möglich gehalten hätte. Umso wichtiger, dass man künftig noch wachsamer werden muss, um Zensurmaßnahmen bereits im Ansatz bekämpfen zu können. Elon Musk muss aufpassen, dass er nicht selber genauso agiert, wie das zensierende Pack, welches zuvor Twitter geleitet hat.
Matt Taibbi gehört zu den bekanntesten Journalisten der USA, aber seine Beliebtheit ist gerade rapide gesunken. Dies zumindest in linken, demokratischen Medien- und Politikerkreisen. Taibbi, so ist dort zu hören, sei ein Betrüger, ein gefallener Star, der seine Seele verkauft habe, an den «reichsten weissen Nationalisten auf Erden». So zumindest drückt es der «New York Times»-Autor Wajahat Ali aus, um den «traurigen, unwürdigen Abstieg» eines Mannes zu beklagen, der einst gute Arbeit geleistet habe.
Tatsächlich hat Taibbi in seiner 30-jährigen Journalistenkarriere schon Preise erhalten, er deckte die Verflechtungen der Wall Street mit der amerikanischen Politik auf. Wenn schon, galt er als Linker. Dass sich dies geändert hat, hängt mit Taibbis Ansichten zur Meinungsfreiheit zusammen. Er sieht sie auch von Linken bedroht – und nun hat ihn auch noch Elon Musk engagiert, der aktuell zweitreichste Mann der Welt, der Elektroautos verkauft, den Weltraum besiedeln will und kürzlich den Kurznachrichtendienst Twitter gekauft hat.
Gegen die «Nazis» im Weissen Haus
Zusammen mit der Journalistin Bari Weiss und dem Autor Michael Shellenberger hat Taibbi den Auftrag, die sogenannten «Twitter-Files» auszuwerten. Denn Elon Musk ist überzeugt, dass Twitter den öffentlichen Diskurs in den letzten Jahren manipuliert und zensuriert hat – zugunsten der Demokraten. Von diesen hat sich der einstige Liebling des linken Bürgertums entfremdet, unter anderem wegen der Covid-Politik und dem «Wokeism», den Demokraten pervertiert haben. Die Abneigung ist gegenseitig, insbesondere, seit Musk bei Twitter das Sagen hat.
Matt Taibbi
Was Taibbi, Bari Weiss und Michael Shellenberger der Öffentlichkeit nach der Sichtung Tausender Dokumente präsentiert haben – natürlich auf Twitter, wie von Elon Musk gewünscht –, ist nicht alles neu. Aber es ist mehr als ein «Nothingburger», ein Hamburger ohne Fleisch, wie linke Kommentatoren höhnen. Bekannt ist, dass die Twitter-Verantwortlichen den Demokraten 2020 indirekt Wahlkampfhilfe leisteten, indem sie einen Artikel der «New York Post» über problematische Auslandsgeschäfte von Joe Bidens Sohn Hunter Biden unterdrücken liessen. Dies mit dem fadenscheinigen Argument, der Artikel basiere womöglich auf gehackten Daten.
Laut Matt Taibbi intervenierten im Wahlkampf sowohl Demokraten als auch Republikaner bei Twitter, um missliebige Äusserungen zu tilgen. Dass die Demokraten damit generell erfolgreicher waren, geht aus den «Twitter-Files» bis anhin nicht hervor. Taibbi verweist einzig darauf, dass die Wahlkampfspenden der Twitter-Mitarbeiter in den letzten Jahren zu 96 bis 99 Prozent an die Demokratische Partei gingen. Zudem erklärte ein hochrangiger Twitter-Mitarbeiter 2017, im Weissen Haus regierten «Nazis».
Bari Weiss
Gemeint war Donald Trump – und den bekämpfte Twitter auch nach dem Wahlsieg von Joe Biden. Trump behauptete bekanntlich, die Wahl sei gefälscht und gestohlen worden. Nachdem seine Anhänger am 6. Januar das Capitol gestürmt hatten, forderten Demokraten wie Michelle Obama Trumps dauerhafte Sperrung auf Twitter, obwohl der Ex-Präsident zumindest nicht explizit zur Gewalt aufgerufen hatte. «Be there, will be wild!», schrieb er am 6. Januar, forderte die Protestierenden aber dazu auf, friedlich zu bleiben.
«Millionen Franzosen töten»
Wie die «Twitter-Files» zeigen, war Trumps Verbannung selbst bei Twitter umstritten. Eine Anstiftung zur Gewalt sei schwer zu beweisen, schrieben Mitarbeiter in internen Nachrichten. Gleichzeitig unterzeichneten 300 Twitter-Mitarbeiter einen offenen Brief an den damaligen Twitter-CEO Jack Dorsey, in dem Trumps Sperrung verlangt wurde. Am 8. Januar lenkte die Twitter-Führung ein – und sperrte Trumps Konto. Der Entscheid wirkt umso willkürlicher, als gewaltverherrlichende Aussagen bei Twitter oft folgenlos bleiben, wie Bari Weiss mit zahlreichen Beispielen belegt.
Der indische Premierminister Narendra Modi durfte sein Twitter-Konto behalten, obwohl er drohte, Hunderte Twitter-Mitarbeiter in Indien verhaften zu lassen. Der ehemalige malaysische Premierminister durfte bei Twitter bleiben, obwohl er nach dem Mord an Samuel Paty erklärte, Muslime hätten das Recht, «Millionen Franzosen zu töten». Der iranische Diktator Ayatollah Ali Khamenei darf bis heute twittern, obwohl er seine Bürger hinrichten lässt und obwohl er Israel 2018 als Krebsgeschwür bezeichnete, das vernichtet gehöre.
Mit rund 400 Millionen Nutzern ist Twitter zwar ein eher kleines soziales Netzwerk, aber da es Medien, Wissenschafter, Politiker und Staatsoberhäupter nutzen, ist sein Einfluss nicht zu unterschätzen. Bari Weiss, die bei der «New York Times» wegen ihrer politischen Ansichten hinausgemobbt wurde, spricht von der «Macht einer Handvoll Menschen» bei Twitter. Diese würden «den öffentlichen Diskurs und die Demokratie beeinflussen».
Michael Shellenberger
Das mag verschwörungstheoretisch klingen. Die Einflussmöglichkeiten des Twitter-Managements sind jedoch beträchtlich. Dieses hat offiziell stets bestritten, die Reichweite und die Sichtbarkeit missliebiger Konten einzuschränken ohne dies den Nutzern mitzuteilen. «Faktenchecker» in Europa übernahmen dieses Konzern-Wording, indem sie derartige Vorwürfe in die Nähe von Verschwörungstheorien rückten. Dies vermutlich, weil sie vornehmlich von rechter und konservativer Seite kamen.
Reger Austausch mit staatlichen Behörden
Nun zeigt sich allerdings, dass «Shadow-Banning» ein Mittel war, das keineswegs nur gegen Trolle und Hetzer eingesetzt wurde. Betroffen war laut den «Twitter-Files» unter anderem der Stanford-Professor Jay Bhattacharya. Er weckte mutmasslich den Unmut der Twitter-Aufpasser, weil er Corona-Lockdowns und Schulschliessungen kritisierte. Von «Shadow-Banning» betroffen war auch der konservative Aktivist Charlie Kirk.
Hier stellt sich erneut die Frage der Willkür, egal, was man politisch von den Betroffenen hält. Matt Taibbi sagte in einem Podcast, das Ausmass der Kontrolle über jeden einzelnen Account habe ihn und seine Kollegen schockiert: Twitter tausche Unmengen Daten aus mit staatlichen Behörden wie dem Federal Bureau of Investigation (FBI). Diese würden die Daten mit Bemerkungen versehen und zurückschicken. In internen Twitter-Berichten heisse es dann, das FBI habe dies und das markiert, und man diskutiere darüber, ob ein Konto gesperrt oder mit einem «Shadow-Ban» belegt werden solle. Ein solches Arrangement mit dem Staat habe jedes soziale Netzwerk, «aber wir wissen noch nicht genau, wie es funktioniert».
Diese Erkenntnis müsste eigentlich über ideologische (Partei-) Grenzen hinweg Besorgnis auslösen. Elon Musk hat angekündigt, er wolle Twitter wieder zu einem Hort der Meinungsfreiheit machen. Gleichzeitig lässt er sich linke und linksextreme Accounts melden, um diese sperren zu lassen. Er ist politisch schwer fassbar und neigt zu sprunghaften Entscheiden. Einen Account, der die Standortdaten von Musks Privatjet veröffentlicht, hat der Tesla-Besitzer zunächst geduldet, dann sperren lassen, weil seine Sicherheit gefährdet sei. Am Donnerstag sperrte Twitter mehrere Konten von mehreren amerikanischen Journalisten, die über den Privatjet-Account berichteten. Linke sind also zu Recht besorgt. Aber dass sie es erst jetzt sind, sagt auch einiges aus.
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