von Thomas Heck...
Mittlerweile hat vermutlich jeder Deutsche das 9-Euro-Ticket und hat es auch bereits genutzt. Vermutlich allerdings eher innerhalb von Ortschaften im Bereich des ÖPNV. Wer damit Städtetouren machen will, kann dies versuchen. Spaß macht es eher nicht. Im Sommer ausfallende Klimaanlagen, im Winter nicht funktionierende Heizungen und eingefrorene Türen. Kaum zu glauben, dass im 2. Weltkrieg die S-Bahn im zerbombten Berlin nach am Tage vor der Kapitulation im Regelbetrieb fuhr.
Doch der Pöbel fern jeglichen Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen jubelt ob dieses "Geschenks" des 9-Euro-Tickets und begreift gar nicht, was für Blödsinn die Aktion ist. Keinerlei Verbesserung der Infrastruktur. Bei der Überbelegung versagen die Toiletten in den Zügen schon vor der Abfahrt im Bahnhof, schon weil jeder staunend mehrfach die Spülung drückt, weil die so lustig ist.
Und geht dabei der Politik auf den Leim, der mit billigen Steuergeschenken versucht, sich Wohlwollen einzukaufen. Und nur wenige Menschen sehen die Falle und tappen nicht hinein.
Und die Zustände an deutschen Bahnhöfen und in deutschen Zügen werden fast täglich chaotischer. Politik und Konzern müssen weiter denken als bis zur nächsten Baustelle.
«Wenn ich einen Termin in einer anderen deutschen Stadt einhalten muss, nehme ich inzwischen wieder das Auto»: Dieser Satz ist in Deutschland immer öfter von Menschen zu hören, die eigentlich überzeugte Bahnfahrer sind und stets vom Komfort der ICE-Züge der Deutschen Bahn (DB) geschwärmt haben. Doch was nützt Komfort, wenn die einen Züge kurzfristig ausfallen und die anderen massiv verspätet oder hoffnungslos überfüllt sind?
Verspätungsrekorde
Seit Wochen ist das eher die Regel als die Ausnahme. Selbst auf kurzen Teilstrecken zum Beispiel von Berlin nach Wolfsburg oder von Dresden nach Berlin schafft es die DB, trotz fahrplanmässiger Abfahrt und einer Fahrzeit von unter zwei Stunden Verspätungen von einer halben Stunde und mehr anzuhäufen. Auf längeren Strecken wird das Bahnfahren vollends zur Lotterie, nicht nur für Passagiere, sondern erst recht für Unternehmen, die «für Güter die Bahn» gewählt haben.
Auf Bahnhöfen sind filmreife Szenen zu erleben: Der Sicherheitsdienst sperrt Auf- und Zugänge, um eine weitere Überfüllung eines Perrons zu vermeiden, die Bahn droht mit der Polizei, um einen überfüllten Zug räumen zu lassen. Auch DB-Statistiken belegen die Misere: Im Juni waren 42 Prozent der Personenfernzüge mehr als 6 Minuten verspätet – der schlechteste Monatswert seit einem Wintereinbruch Ende 2010.
Gewiss, in der Ferienzeit ist eine hohe Auslastung normal, und Corona-bedingt hohe Krankenstände erschweren der Bahn die Aufgabe. Doch das Chaos hat auch tiefergreifende Ursachen. Zum einen hat die Politik im Autoland Deutschland die Bahn über lange Jahre vernachlässigt. Wechselnde Verkehrsminister haben sich kaum strategisch um sie gekümmert, dafür hat der Staat als Eigentümer den DB-Aufsichtsrat vor allem mit Staatssekretären und Abgeordneten statt Verkehrsexperten aufgefüllt.
Marode Infrastruktur
Die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur lagen und liegen bei einem Bruchteil des Schweizer Wertes, was sich nicht allein durch die Topografie erklären lässt.
In der Folge hat die Infrastruktur nicht mit dem Wachstum des Verkehrsaufkommens Schritt gehalten. Nun häufen sich Störungen altersschwacher Anlagen, an allen Ecken und Enden wird geflickt. Zugleich fehlen vielerorts Ausweichrouten, Weichen und andere technische Einrichtungen, mit denen Züge ohne massiven Zeitverlust an Baustellen und anderen Störungen vorbeigeleitet werden könnten.
Zum andern hat sich auch der DB-Konzern keine Lorbeeren verdient. Mit den – längst ad acta gelegten – Plänen für einen Börsengang verband sich der ehrgeizige Traum, zu einem Logistikkonzern von globaler Bedeutung heranzuwachsen. Darob, so scheint es, geriet die tägliche Kleinarbeit an der Pünktlichkeit im Inland ins Hintertreffen.
Zweifel an der Vernunft
Nun will die Ampelregierung im Dienste des Klimaschutzes den Bahnverkehr stark ausbauen. Der liberale Verkehrsminister Volker Wissing hat die Modernisierung der Bahn zur Chefsache erklärt und gemeinsam mit dem Bahnchef Richard Lutz Pläne für eine Generalsanierung zentraler Netzabschnitte ab 2024 angekündigt. Dass dieselbe «Ampel» diesen Sommer 2,5 Milliarden Euro statt in die Sanierung des Netzes in die Subventionierung von 9-Euro-Tickets steckt, die zusätzliche Nachfrage im Regionalverkehr und damit noch mehr Überlastung schaffen, weckt indessen leise Zweifel an ihrer bahnpolitischen Vernunft.
Zudem müsste die Politik weiter denken als bis zur nächsten Baustelle: Bis anhin hat die DB im Personenfernverkehr einen Marktanteil von 96 Prozent, und private Anbieter klagen über vielfältige Benachteiligungen. Abhilfe schaffen könnte die im Koalitionsvertrag verworfene völlige Trennung von öffentlichem Netz und liberalisiertem Fahrbetrieb. Kaum etwas dürfte die DB mehr wachrütteln als private Konkurrenten, die pünktlicher sind
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