von Mirjam Lübke...
Der schlechteste Frieden ist besser als jeder Krieg, antwortete Ulrike Guèrot sinngemäß auf die Frage, warum sie Alice Schwarzers offenen Brief an Kanzler Scholz unterstütze. Persönlich finde ich diesen Satz naiv, vielleicht sogar ein wenig gefährlich - jedoch: Angesichts der Konsequenzen, die unserem Land bei einer Einmischung in die Ukraine-Krise drohen könnten, muss nun erst recht jeder Bürger, ob prominent oder nicht, die Möglichkeit haben, sich frei zum Thema zu äußern. Eigentlich sollte das der Minimalkonsens sein, die Freiheit, Bedenken und andere Sichtweisen einzubringen ohne außer Gegenargumenten irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Die Meinung von Frau Guèrot verstößt weder gegen ein Gesetz noch beleidigt sie jemanden - es sei denn, man zöge eine solche Beleidigung an den Haaren herbei. Dennoch trat Marie Agnes Strack-Zimmermann empört auf den Plan und erklärte, Frau Guèrot solle ihre Professorentätigkeit als Politikwissenschaftlerin nicht mehr ausüben dürfen. Die Politik als Nanny für Studenten? Sollte eine Universität nicht junge Menschen dabei fördern, lebhafte und intellektuelle Diskussionen zu führen? Auch gegen ihre Professoren? Zu meiner Zeit war das noch so, der Ablauf erinnerte an die amerikanischen "Change my mind"-Stände, der Herausforderung durch eine provokative These folgte eine wüste Wortschlacht, eine spannende Erfahrung. Frau Strack-Zimmermann findet sich aber nicht an diesem Stand ein, um die Meinung von Frau Guèrot zu ändern, sondern möchte ihn am liebsten zertrümmern.
Noch während man in Deutschland darüber nachdenkt, ob ein Atomkrieg vielleicht doch nicht so schlimm ist, tobt längst wieder die Meinungsschlacht zwischen Pazifisten und Befürwortern der Waffenlieferungen. Letztere fahren auch verbal starke Geschütze auf: Jüngst polterte etwa Sascha Lobo los, den Krieg in der Ukraine zwar zu verurteilen, aber keine Waffen liefern zu wollen, wäre das neue "Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber..." - "Wer nicht hüpft, der ist ein Nazi!", fiel mir dazu spontan ein, der Kampfruf auf dem denkwürdigen Konzert in Chemnitz, auf dem "Feine Sahne Fischfilet" einem größeren Publikum bekannt wurde. Mir würde es nicht einfallen, auf Kommando zu hüpfen, und das Denken auf Befehl fällt mir auch schwer. Schon gar nicht, wenn die Strategie so durchschaubar angelegt ist wie bei Sascha Lobo: Er unterstellt den Gegnern von Waffenlieferungen einfach niedere Motive, weil er genau weiß, wie schwierig es ist, einen solchen Vorwurf wieder abzuschütteln.
Mir ist es schon immer ein Rätsel, warum Menschen meinen, auf diese Art Zustimmung für ihr Anliegen zu bekommen - auch wenn sie sicherlich erst einmal einen kurzfristigen Erfolg damit verbuchen können. Ihr Gesprächspartner wird zunächst Ruhe geben, aber nur, um nicht als Charakterschwein vor anderen dazustehen. Das ist der Sinn der Übung, es geht längst nicht mehr darum, den anderen für eine Idee zu gewinnen, sondern um die eigene Ungestörtheit und die moralische Vernichtung des anderen. Auch die Nazi-Keule ist schon wieder mehrfach zum Einsatz gekommen: Wer jetzt nicht "Hurra!" zu Panzerlieferungen schreit, hätte selbstverständlich auch Hitler gewähren lassen.
Zugegeben: Dieses Argument wiegt schon etwas schwerer. Auch ich habe mich in den letzten Wochen oft gefragt, was ich wohl gedacht hätte, wäre ich damals etwa eine amerikanische Mutter gewesen - was wäre mir durch den Kopf gegangen? Warum soll ich meine Söhne opfern, nur weil in Europa dieses Männlein mit dem komischen Bärtchen verrückt spielt? Es ist vollkommen richtig, solche Gedankengänge für sich selbst durchzuspielen, um die eigenen Motive bei einer schwerwiegenden Entscheidung abzuwägen. Aber dazu gehört dann auch eine Situationsanalyse - ist denn die geopolitische Lage tatsächlich die gleiche wie damals? Um die geht es beim Einsatz des Hitler-Arguments jedoch nicht, sondern um das Gefühl, welches erzeugt werden soll. Unterschwellig wird hier unterstellt, man hätte auch Hitlers Feldzug unterstützt, und das auch noch aus schierer Bequemlichkeit.
Es ist bezeichnend, dass diese Vorwürfe aus den Kreisen kommen, die sonst mit Schaum vor dem Mund "Relativierung" brüllen, wenn Vergleiche zwischen Stalin und Hitler gezogen werden, und sei es auch nur, um den Totalitarismus beider Systeme zu analysieren. Damit würgt man jegliche sachliche Debatte ab, um dann selbst eine moralische Leitlinie zu schaffen. Das zieht sich schon seit Jahren selbst durch akademische Kreise, um die Oberhoheit über wissenschaftliche Arbeiten zu erlangen, nur um dann - wenn es gerade passt - die selbst aufgestellten Regeln mit links vom Tisch zu fegen. Putin hat vielleicht einfach das Pech, kein Sozialist zu sein, dann ließe man ihn ihn in Ruhe und fände Wege, um die ukrainische Regierung zu dämonisieren - jüdischer Präsident hin oder her. Wir erinnern uns: Im Nahen Osten wird ein ganzer Staat von Linken und Grünen diskreditiert, obwohl - oder gerade - weil er jüdisch ist.
Das sind die Zutaten, aus denen die Diskussion über die deutsche Beteiligung am Ukraine-Konflikt zusammengerührt ist. Nimmt sich diese Diskussion zu wichtig, da die Entscheidung zu Waffenlieferungen ohnehin an ganz anderer Stelle getroffen wird? Ebenfalls nein. Im Falle der Montagsspaziergänge gegen den Impfzwang hat der Zusammenschluss vieler Bürger, auch wenn man darüber schimpft, durchaus bewirkt, dass die Debatte eine Wende nimmt. Wenn wir jetzt schon um das Recht, zu etwas eine Meinung zu haben, so vehement streiten müssen, dann steht es schlecht um unsere Demokratie. Das Verhalten vieler Kriegsbefürworter zeigt Merkmale von klassischem Mobbing: Verunsicherung, Ausgrenzung und Einschüchterung. Es ist an der Zeit, das klar zu benennen.
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