von Thomas Heck...
Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Krieg der Medien, geprägt meist vom erschreckenden Unverständnis der Journaille von militärischen Grundsätzen, da die wenigsten Journalisten je auch nur als Wehrpflichtige gedient haben. Als ehemaliger Stabsoffizier der Bundeswehr stellen sich angesichts der Berichterstattung in ARD und ZDF, auf BILD-TV, etc. und bei der Verwendung von Termini wie "Panzerangriffen" die Nackenhaare auf. Doch selbst für Fachleute, die sich mit dem Thema schon rein beruflich beschäftigen mussten, ist es extrem schwierig, ein klares Lagebild zu erhalten. Verschärft wird der Mangel an klarer Information auch durch die in Kriegszeiten übliche Propaganda auf beiden Seiten, auch der Geheimhaltung bei militärischen Operationen und der Verschleierung militärischer Ziele.
Der von Russland begonnene Krieg in der Ukraine geht erst in den dritten Tag und doch lassen sich bereits erste militärische Erkenntnisse aus den beobachtbaren Ereignissen ableiten – auch wenn die öffentlich zugänglichen Informationen nur einen sehr begrenzten Einblick in das tatsächliche Kampfgeschehen zulassen. Die im Internet und Fernsehen geteilten Bilder, Informationen und Videos zeigen zum allergrößten Teil eine Szenerie nach dem Abschluss von Gefechtshandlungen. Mittschnitte, die den umkämpften Frontverlauf zeigen – insbesondere dort, wo mechanisierte Verbände kämpfen – sind selten.
Als gesichert kann man wohl mittlerweile den Umstand annehmen, dass die russischen Streitkräfte der eigenen russischen Propaganda der vergangenen Jahre aufgesessen sind. Es deutet vieles darauf hin, dass die Führung der russischen Armee davon ausgegangen war, dass die eigenen Kräfte – insbesondere in den östlichen Landesteilen der Ukraine – mehrheitlich als potenzielle Befreier und nicht als Besatzer angesehen würden. Hinweise auf die Gültigkeit dieser These lassen sich sowohl aus dem Einsatz der russischen Feuerunterstützung, als auch dem taktischen Verhalten der russischen Armee ableiten.
So wurde die russische Feuerunterstützung bislang, entgegen der russischen Einsatzdoktrin der massiven Feuervorbereitung vor dem Einmarsch der eigenen Truppen, für russische Verhältnisse vergleichsweise dosiert eingesetzt. Kollateralschäden in der ukrainischen Bevölkerung sollten wohl so gut wie möglich vermieden werden, was darauf hindeutet, dass man die öffentliche Meinung, in der Ukraine und in Russland nicht gegen sich aufbringen wollte.
Auch der Umstand, dass die russischen Fahrzeugkolonnen – so zeigen es zumindest die Videos der ersten Kampftage – wie auf der Perlenschnur aufgereiht in das ukrainische Territorium eingefahren sind, zeigt, dass man sich wohl eher auf dem Weg in eine „Friedensmission“ sah als in den Krieg. Oder man vertraute darauf, dass die anfänglichen Präzisionsschläge auf die militärische Infrastruktur der Ukraine die Verteidigungsfähigkeit der des Landes brechen würde.
Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die militärischen Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte als auch der Widerstandswille der Bevölkerung unterschätzt wurden. Das nun zu beobachtende Nachschieben von schwerer Artillerie könnte jedoch dazu führen, dass die russische Armee von diesem Ansatz abrückt und ukrainische Widerstandnester auf „klassische“ Art bekämpfen will. Wäre dies der Fall, würde in den folgenden Tagen das Vorrücken der russischen Kampftruppen auf ukrainische Stellungen erst nach einem massiven Feuerschlag erfolgen.
Die anfängliche russische Fehleinschätzung könnte dazu führen, dass in Zukunft die Taktik geändert wird und die aus den bisherigen Kampfhandlungen resultierenden Lehren zumindest teilweise verfälscht sein könnten. Nichtsdestotrotz ist eine Analyse lohnenswert.
Logistik
Bereits der zweite Gefechtstag hat gezeigt, dass der alte von US-Fünf-Sterne-General Omar Bradley geprägte Grundsatz „Amateure sprechen über Strategie, Profis über Logistik“ auch im Krieg in der Ukraine seine volle Gültigkeit hat. Beide Seiten scheinen bereits nach dem zweiten Gefechtstag an ihre logistischen Grenzen zu kommen.
Die militärischen Erfolge der ukrainischen Verteidiger sind sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die Streitkräfte der Ukraine über erhebliche Wirkmittel zur Panzerabwehr verfügten. Neben den eigenen Mitteln haben in den letzten Wochen auch zahlreiche westliche Länder Panzerabwehrsysteme an die Ukraine geliefert. Fraglich ist, wie lange der Vorrat an diesen Mitteln noch ausreicht. Es ist davon auszugehen, dass mit schwindenden Waffen- und Munitionsbeständen auch der Kampfeswille sinkt. Bezeichnend ist da die Aussage des ukrainischen Präsidenten am heutigen Morgen, dass er keine Mitfahrgelegenheit sondern Munition brauche, nachdem ihm Unterstützung bei der Evakuierung durch die Vereinigten Staaten angeboten worden war.
Es haben sich zwar 27 westliche Nationen bereit erklärt, militärische Unterstützung, insbesondere in Form von Waffen, Munition, Sanitätsmaterial und Treibstoff zu liefern. Aus ukrainischer Sicht stellt sich allerdings die Frage, ob diese Lieferungen rechtzeitig ihre Zielorte erreichen.
Auch die russischen Streitkräfte scheinen logistische Probleme zu haben. Es gibt mehrere Berichte, dass der Vormarsch russischer mechanisierter Verbände zum Halten gekommen ist, weil es an Treibstoff fehlt. So wird über russische Soldaten berichtet, die im Umfeld ihrer Fahrzeuge nach Treibstoff suchten. Die durch zahlreich Bilder und Videos dokumentiere Zerstörung russischer Logistikfahrzeuge durch ukrainische Kräfte wird sicherlich dazu beigetragen haben, dass russische Panzer nun erstmal auf dem Trockenen sitzen. Darüber hinaus kursieren Berichte, wonach die russische Armee nur über einen begrenzten Vorrat an Munition verfügen soll. Wenn dies zutrifft, dann könnte die derzeitige Intensität des Angriffs sicherlich nicht über Wochen hinweg aufrechterhalten werden.
Gewehr > Tastatur
Entgegen weit verbreiteter Erwartungen scheint das Thema Cyberkriegsführung zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt des Krieges keine übergeordnete Rolle zu spielen. Die Abschüsse der russischen Panzer und Kampffahrzeuge wurden durch Soldaten mit klassischen Waffensystemen erzielt und nicht durch „Hoodies tragende Tastaturvirtuosen“. Ohne Frage wird auch im Ukraine-Krieg der Kampf im Informationsraum geführt. Und die Informationsstrategie der ukrainischen Streitkräfte trägt sicherlich zur Aufrechterhaltung der Moral und zur Unterstützung der ukrainischen Verteidiger durch den größten Teils der internationalen Gemeinschaft bei. Aufgehalten werden die russischen Truppen aber durch ukrainische Panzer, Flugzeuge und Panzervernichtungstrupps.
Ein Umstand, der sicherlich auch für westliche Streitkräfteplaner zur Erkenntnis führen sollte, dass das Aufkommen der neuen Dimension Cyber die anderen Dimensionen nicht weniger wichtig werden lässt. Es muss daher der Grundsatz lauten, dass Cyberkräfte konventionelle Truppe sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen können.
Drohnen
Es ist zum derzeitigen Zeitpunkt schwer zu analysieren, welche Rolle Kampfdrohnen oder Loitering Munition in dem aktuellen Krieg einnehmen. Es gibt zwar vereinzelte Berichte vom Einsatz der ukrainischen Bayraktar-TB-Drohnen – sogar ein von den ukrainischen Streitkräften veröffentlichtes Video, indem zu sehen ist, wie eine Drohne einen russischen Konvoi mit gepanzerten Fahrzeugen bekämpft. Es ist aber derzeit noch unklar, welchen Einfluss diese Technologie auf den Verlauf des Krieges haben wird.
Das gleiche gilt für die unbemannten Systeme auf russischer Seite. Auch dort gibt es Berichte, die nahelegen, dass russische Drohnen an der Schwarzmeerküste zum Einsatz kommen. Doch auch hier herrscht Ungewissheit, welchen Beitrag diese Systeme für den russischen Vormarsch leisten.
Einsatz von Luftlandetruppen
Die erste Phase des Krieges in der Ukraine begann mit einem Angriff der russischen Armee auf die militärische Infrastruktur des Landes. Zum Einsatz kamen hauptsächlich weitreichende Artillerie- und Präzisionswaffen auf offenbar im Vorfeld aufgeklärte Stellungen der ukrainischen Truppen sowie ortsfeste Anlagen. Ziel war es wohl, die Fähigkeiten der Ukraine im Bereich der Führung und Flugabwehr soweit wie möglich zu zerstören. Kurze Zeit später begann eine breite Bodenoffensive aus mindestens drei Stoßrichtungen sowie eine hubschraubergestützte Luftlandung auf einen Flughafen westlich der Hauptstadt Kiew.
Die russischen Luftlandekräfte waren zwar in der Lage, den Flughafen zu gewinnen, konnten diese aber nur über wenige Stunden halten, bevor die ukrainische Armee das Flugfeld mittels eines Gegenangriffs wieder einnehmen konnte. Der zweite Versuch einer Luftlandung am zweiten Gefechtstag südlich von Kiew soll Berichten zufolge komplett gescheitert sein.
Eine abschließende Bewertung über die Relevanz von Luftlandetruppen lässt sich aus diesen Ereignissen nicht machen. Die beiden Operationen sind zwar gescheitert, aber die erfolgreiche Einnahme des Flughafens am ersten Tag hat gezeigt, dass die russischen Luftlandetruppen in klassischer Manier in der Lage waren, die temporäre Luftüberlegenheit auszunutzen und einen erfolgreichen Angriff in die Tiefe des Raumes auszuführen. Es scheint den russischen Truppen jedoch nicht gelungen zu sein, schnell Folgekräfte in den Luftlandekopf nachzuführen. Die Gründe dafür sind unbekannt. Ein Grund könnten fehlende Lufttransportkapazitäten in Belarus gewesen sein, von wo die Operation durchgeführt wurde. Denkbar ist auch, dass es der Ukraine gelungen ist, den relevanten Luftraum zumindest teilweise zu verteidigen, was man auf russischer Seite wohl nicht erwartet hatte.
Die Luftlandung hat auf jeden Fall dazu geführt, dass ukrainische Kräfte mitten im Kernland gebunden waren und nicht zum Einsatz an der Front zur Verfügung standen.
Einsatz von Spezialkräften
Es mehren sich die Berichte von festgenommenen Saboteuren in unterschiedlichen Bevölkerungszentren der Ukraine. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um Spezialkräfteangehörige unterschiedlicher russischer Dienste handelt. Diese sind vermutlich mehrere Tage, wenn nicht Wochen vorher in den Einsatzraum eingesickert. Die ukrainischen Streitkräfte haben die Festnahme von zivil gekleideten oder ukrainische Uniformen tragenden Saboteuren in Kiew und anderen Städten bekanntgegeben und teilweise Videos von den Verhören veröffentlicht.
Darüber hinaus wurden von der ukrainischen Bevölkerung vergangene Nacht mehrere Videos ins Netz gestellt, die Szenen zeigen, in denen einzelne Personen oder Personengruppen Lichtsignale geben oder Markierungen anbringen. Es wird davon ausgegangen, dass diese der Kommunikationen mit russischen Luftstreitkräften dienen.
Diese Ereignisse haben dazu geführt, dass die ukrainische Regierung eine Ausgangssperre in Kiew verhängt hat, die heute Abend beginnt und mehrere Tage dauern soll. Es wurde öffentlich kommuniziert, dass Menschen, die sich nicht daran halten, als Saboteure betrachtet werden.
Genauso wie bei der Luftlandeoperation werden allerdings auch diese Ereignisse dazu führen, dass erhebliche Kräfte der Ukrainer gebunden werden.
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