von Thomas Heck...
Annalena Baerbock, Deutschlands neues Aushängeschild in der Außenpolitik, hat ihren ersten Auftritt auf dem diplomatischen Parkett hinter sich. Selbst wenn man ihr die 100 Tage zugesteht, die jedem neuen Minister zustehen, kann man jetzt schon konstatieren, dass sie es nicht reißen wird. Unsicher und fahrig ihr Auftritt in Paris, symbolträchtig die Fahrt mit dem Zug von Paris nach Brüssel, so sollte Umweltbewußtsein suggeriert werden. Doch wenn der Regierungsflieger parallel zum Zug leer vorausfliegt, bleibt nur noch Volksverdummung statt Schonung der Umwelt. In den ersten Tagen ihrer Amtszeit nur Flüge unter 1.000 km, alles Flüge, die die Grünen eigentlich verbieten wollten. Dabei ist wohl jedem klar, dass ein Außenminister im Flugzeug wohnt, selbst wenn es sich um eine Quotenfrau wie Annalena Baerbock handelt.
Aber dafür will die Ampel ja die Außenpolitik feministischer machen. Aber wie könnte das aussehen? Ein Erklärungsversuch der Aktivistin Kristina Lunz. Lunz ist eine deutsche Feministin, Aktivistin und Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP). Bekanntheit erlangte sie durch die Kampagne Stop Bild Sexism und ihren Einsatz für feministische Außenpolitik. Sie hat unter anderem als Beraterin für das Auswärtige Amt gearbeitet (vulgo Beraterkohle abgegriffen) und unter dessen Schirmherrschaft das internationale Frauennetzwerk Unidas aufgebaut. Im Frühjahr erscheint ihr Buch "Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch" bei Econ.
ZEIT ONLINE: Frau Lunz, im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung steht ein Begriff, den man in der deutschen Politik bisher kaum gehört hat: "Feminist Foreign Policy", feministische Außenpolitik. Was darf man sich darunter vorstellen?
Kristina Lunz: So wie im Koalitionsvertrag beschrieben, geht es dabei vor allem um eine verstärkte Förderung von Frauen- und Mädchenrechten, eine bessere Repräsentation von Frauen in der Außenpolitik sowie ein besonderer Fokus auf Frieden und Sicherheit. Im Koalitionsvertrag wird konkret auf die Umsetzung von Resolution 1325 verwiesen. Darin hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon vor über 20 Jahren verpflichtet, Frauen stärker an Friedensprozessen zu beteiligen, weil Mädchen und Frauen viel häufiger von bewaffneten Konflikten betroffen sind als Männer.
ZEIT ONLINE: Warum ist es im Jahr 2021 noch so wichtig, das explizit hervorzuheben?
Lunz: Weil sich auch in der Außenpolitik zeigt, wie einflussreich rechte und antifeministische Kräfte weltweit geworden sind. Die Bekämpfung der Menschenrechte von Frauen und LGBTIQ ist hier so stark wie noch nie, sei es im Sicherheitsrat der UN oder im Europarat. Ein Beispiel: 2019 drängten die USA unter Donald Trump darauf, einen Passus in einer UN-Resolution zu streichen, der das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch für Frauen forderte, die in Konflikten vergewaltigt wurden. Und die Bundesregierung, die diese Resolution im Sicherheitsrat eingebracht hatte, knickte ein.
ZEIT ONLINE: Was erwarten Sie von der neuen Regierung – außer, dass sie in solchen Situationen hart bleibt?
Lunz: Dass sie die großen Zusammenhänge sieht, etwa das Zusammenspiel von Klima, Konflikten und Sicherheit, das vor allem zulasten von Frauen und anderen politisch Marginalisierten geht. Das Patriarchat funktioniert auch international vor allem über Hierarchien. Ganz oben stehen mächtige Männer im globalen Norden, ganz unten Frauen im globalen Süden. Aufrechterhalten werden solche Strukturen letztlich immer durch Gewalt. Und Gewalt wird effizient gemacht durch die Verwendung von Waffen. Man könnte sagen: Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen ist die schlimmste Ausprägung männlicher Machtstrukturen. Bei einer feministischen Außenpolitik geht es deshalb maßgeblich um Frieden und Abrüstung.
ZEIT ONLINE: Die neue Regierung will allerdings die "rüstungstechnische Zusammenarbeit in Europa" stärken und muss im Rahmen der Nato-Mitgliedschaft auch die Verteidigungsausgaben erhöhen.
Lunz: Ja, aber da steht auch viel Erfreuliches im Koalitionsvertrag: Etwa, dass Deutschland beim kürzlich in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag immerhin den Status eines Beobachterstaats einnehmen will, während sich die vorherige Bundesregierung komplett verweigert hatte. Von den Nato-Staaten hatte sich bislang nur Norwegen dazu bereit erklärt. Und auch ein Rüstungsexportkontrollgesetz hat sich die Ampel ins Programm geschrieben.
ZEIT ONLINE: Sie klingen ganz zuversichtlich.
Lunz: Ja und nein. Es muss global gesehen darum gehen, die patriarchalisch geprägten Strukturen in der Außen- und Sicherheitspolitik grundlegend auf den Kopf zu stellen, neue Narrative und Vorgehensweisen anzubieten. Das lässt sich aus dem Koalitionsvertrag jetzt weniger herauslesen. Aber er macht mit der Formulierung immerhin eine Tür auf, die bisher verschlossen gehalten wurde.
ZEIT ONLINE: Vor allem für eine: Deutschland hat mit Annalena Baerbock seine erste Außenministerin. Warum spielt es eine Rolle, dass die oberste Diplomatin des Landes eine Frau ist?
Lunz: Natürlich ist diese Personalie ein großer Gewinn, weil ihre Amtsübernahme eine andere Machtverteilung bedeutet. Aber es geht nicht nur darum, wer die Politik macht, sondern für wen sie gemacht wird. Eine feministische Außenpolitik orientiert sich an den Bedürfnissen aller marginalisierten Gruppen, von denen Frauen die zahlenmäßig größte sind. Als Außenministerin sollte man sich kritisch mit den Strukturen auseinandersetzen, die zu dieser Marginalisierung führen und unsere Gesellschaft prägen. Annalena Baerbock ist eine kompetente, feministische Frau, die immer einen starken Fokus auf wertebasiertes, integres politisches Handeln gelegt hat. Insofern ist dieses Amt bei ihr in guten Händen. Und auch im Auswärtigen Amt gibt es seit einigen Jahren quasi basisdemokratische Netzwerke wie Frauen@Diplo oder Diplomats of Color, die sich für eine feministische Außenpolitik einsetzen.
"Die Geschichte des internationalen Friedens ist eine weibliche"
ZEIT ONLINE: Die USA hatten in ihrer Geschichte schon drei Außenministerinnen. Aber eine "Feministische Außenpolitik" spielte in den Vereinigten Staaten bislang keine Rolle. Warum braucht es den Begriff überhaupt? Man könnte doch auch inklusive Außenpolitik sagen.
Lunz: Feminismus geht weiter als Inklusivität. Feminismus bedeutet, problematische Strukturen von Grund auf zu ändern – und nicht, unterrepräsentierte Personengruppen in diese Strukturen einzuschließen. Der moderne Feminismus erkennt an, dass die Unterdrückung, unter der Frauen leiden, auch andere betrifft, für deren Gleichstellung man sich genauso einsetzt. Ich spreche auch deshalb weiter von feministischer Außenpolitik, weil der Begriff berücksichtigt, welche wichtige Rolle Frauen schon immer in den internationalen Beziehungen gespielt haben, auch wenn das kaum bekannt ist. Die Geschichte des internationalen Friedens ist letztlich eine weibliche.
ZEIT ONLINE: Wie das?
Lunz: Der Grundstein für die feministische Außenpolitik wurde 1915 beim Internationalen Frauenkongress in Den Haag gelegt. Dessen Abschlussresolution sah etwa vor, den Ersten Weltkrieg sofort zu beenden, Krieg als illegal im Völkerrecht zu verankern und den Waffenhandel zu privatisieren, um ihn mittelfristig ganz abzuschaffen. Natürlich wurde das von Seiten der politischen Entscheider, die ja alle Männer waren, zunächst nicht ernst genommen. Man hat auch später Frauen nicht an Friedensverhandlungen teilnehmen lassen, weil man Angst hatte, sie würden sich tatsächlich für Frieden einsetzen. Aber dass wir heute eine internationale Strafbarkeit haben und ein völkerrechtliches Verbot von militärischen Aggressionen, verdanken wir letztlich den Aktivistinnen von damals.
ZEIT ONLINE: Ist dieses Verdrängen von Frauen in der Außenpolitik ausgeprägter als in anderen Bereichen der Politik?
Lunz: Ja, durchaus. Wahrscheinlich, weil Diplomatie ein besonders elitärer Bereich unserer Gesellschaft ist. Und umso mehr Macht und Reputation im Spiel sind, desto größer waren stets die Beharrungskräfte, um Frauen vom Tisch fernzuhalten. Bis in die Siebzigerjahre hinein musste sich eine Frau in Großbritannien entscheiden, ob sie heiraten oder Diplomatin werden wollte. Beides zusammen war nur Männern erlaubt. In Deutschland durften Frauen erst ab 1949 die diplomatische Laufbahn antreten und erst ab den späten Achtzigerjahren waren dann auch mal mehr als nur ein, zwei Frauen in den Ausbildungsjahrgängen vertreten. Unter den Abteilungsleitungen sind immer noch nur 25 Prozent Frauen.
ZEIT ONLINE: Diplomatie ist ein Tanz, bei dem es oft darum geht, manches gerade nicht direkt zur Sprache zu bringen. Ist es bei Verhandlungen mit Machos wie Putin oder Erdoğan nicht womöglich kontraproduktiv, feministische Prinzipien hochzuhalten?
Lunz: Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen den Maximalforderungen, die man als feministische Aktivistin formuliert, und den realpolitischen Möglichkeiten, die man als Außenministerin oder Bundeskanzler hat. Man kann das auf eine Erfahrung herunterbrechen, die wir als Frauen im Alltag immer wieder machen: Konfrontation ist ein Risiko. Das Gewaltpotenzial steigt, wenn toxische Männer ihren Willen nicht durchsetzen können. Nur ist es für eine Gesellschaft keine Option, das einfach hinzunehmen. Genauso, wie man es nicht zulassen würde, dass ein aggressiver Mensch seine ganze Nachbarschaft terrorisiert. Es muss rote Linien geben, und sei es nur die, dass Menschen nicht durch andere Menschen Gewalt zugefügt wird. Das kann man auch formulieren, ohne überhaupt den Begriff Feminismus zu benutzen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen