von Mirjam Lübke...
Der Zwischenfall im Westin-Hotel in Leipzig rund um den Davidstern von Gil Ofarim zeigt wieder einmal, dass eine sofortige Verkrampfung eintritt, wenn es in Deutschland um das Thema "Juden" geht. Vor allem, wenn diese prominent sind. Die Attacke auf einen jüdischen Mann in Hamburg, bei der dieser übel zugerichtet wurde, fand ein weitaus geringeres Echo in den Medien - woraus sich die provokante Frage ergibt, ob "der Jude von nebenan" vielleicht den Preis für diese verkrampfte Debatte zahlen muss? Derjenige, für den sich auch der Zentralrat nicht zu interessieren scheint, weil er nicht in der Öffentlichkeit steht und darüber hinaus auch noch vom "falschen" Täter angegriffen wurde? In Deutschland findet es offenbar niemand widersprüchlich, einerseits eine Moderatorin in Schutz zu nehmen, die an Demos teilnimmt, bei denen israelische Flaggen verbrannt werden, aber gleichzeitig einen Hotelangestellten zu verdammen, obwohl die Angelegenheit noch gar nicht aufgeklärt ist.
In der Diskussion um den Westin-Mitarbeiter, der Gil Ofarim aufgefordert habe, seinen Davidstern abzunehmen, weil er andernfalls das Haus verlassen müsse, findet sich die ganze Bandbreite der typischen Anmerkungen wieder, die sich in Deutschland in jede derartige Debatte mischen. Ofarim muss demnach aus dem Blickwinkel der einen wie ein rohes Ei behandelt werden, an dessen Aussage kein Zweifel möglich ist, denn noch ist der Vorfall nicht aufgeklärt. Das soll - um Himmels Willen! - nicht bedeuten, dass er gelogen hat, aber vielleicht stellt sich auch noch alles als ein Missverständnis heraus. Wir waren nicht vor Ort.
Die andere Fraktion besteht aus den "was müssen die Juden auch immer Ärger machen"-Nörglern, die es als Provokation betrachten, in der Öffentlichkeit einen Davidstern zu tragen. Warum eigentlich? Solange es kein gesetzlich verbotenes Symbol ist, sollte eigentlich jeder Bürger sein Lieblingsschmuckstück unbehelligt tragen können, ob es nun ein Kreuz, ein Davidstern oder Thors Hammer ist. Wer daraufhin sofort einen emotionalen Raketenstart hinlegt, muss nachgerade mit Adleraugen durch die Welt gehen, bereit, überall seine Klauen hineinzuschlagen. Von der Persönlichkeit ähneln sie den "Maske auf!"-Schreiern, die wir derzeit so häufig im Alltag erleben. Immer auf der Lauer, immer im Besitz der alleinigen Wahrheit.
Mich ärgert es, wenn im Zusammenhang mit solchen Ereignissen der Vorwurf aufkommt - und heute Vormittag habe ich ihn noch gelesen - Juden wollten "immer bevorzugt werden", schließlich gehen die meisten eher dezent mit ihrem Judentum um. Eben, weil Antisemitismus existiert. Er existiert nicht immer dort, wo er nach Meinung des Juste Milieus grundsätzlich vorhanden ist - AfD! Sachsen! Der Osten! - dafür aber in Kreisen, in denen man ihn gern ignoriert. Antisemitismus ist Realität und Waffe zugleich, es dürfte kaum einen Juden in Deutschland geben, der nicht zumindest einmal im Leben einen dummen Spruch oder Schlimmeres abbekommen hat. Allerdings ist es ebenso Fakt, dass man den Vorwurf des Antisemitismus herbeikonstruieren kann, um jemandem politisch zu schaden. Als Luisa Neubauer die Globalisierungskritik Hans-Georg Maaßens antisemitisch nannte, sprangen die Medien begeistert darauf an. Zu den beinah täglichen Übergriffen auf Juden in Deutschland schweigen sie - es sei denn, der Betroffene hätte selbst die Möglichkeit, etwas publik zu machen, wie Gil Ofarim.
Es ist also schwer, die Frage des Herrn Borbe zu beantworten, ob Zweifel an der Geschichte aus dem Westin-Hotel antisemitisch motiviert sind. Im persönlichen Gespräch merkt man so etwas rasch an Tonfall und Mimik des Gegenübers - es gibt diesen gewissen genervten Blick - auch lässt die Frage an sich die Alarmglocken klingeln. Liefe die Debatte in Deutschland unverkrampfter ab, lautete die Frage wohl eher "Ist Gil Ofarim glaubwürdig?" - aber das vor allem von links beförderte Gruppendenken verknüpft ihn automatisch mit einer festen Zuschreibung. In diesem Fall kann man die Vorgänge bei Antisemitismus und Rassismus tatsächlich einmal vergleichen, es gibt beides, aber deshalb ist nicht jede Geschichte wahr, die erzählt wird.
Die "critical race theory" ermutigt Betroffene, ihre Erfahrungen mit Rassismus - weniger mit Antisemitismus - publik zu machen (natürlich nicht, wenn der Übeltäter kein klassischer Weißer ist). Nun tritt der Effekt ein, den man auch im Wartezimmer jedes Arztes beobachten kann, wenn Frau Müller von ihrem kaputten Rücken erzählt: Es dauert nur ein paar Sekunden, bis jemand noch ein geschundenes Knie drauflegt. Derjenige, der nur wegen ein wenig Bauchgrimmen auf seinen Arzttermin wartet, beginnt sich unbehaglich zu fühlen, ist er vielleicht fehl am Platz, weil er nichts "Richtiges" hat? Vielleicht wünscht er sich gar, sich wenigstens einen exotischen Keim eingefangen zu haben, um als "echter" Kranker zu gelten.
So ticken Menschen nun einmal - ganz unabhängig davon, welcher ethnischen Gruppe sie angehören. Es ist der Wunsch, mithalten zu können und ernst genommen zu werden. Es klingt paradox, aber gerade das hat auch bei mir leise Zweifel an der Geschichte aufkommen lassen. "In welcher Welt hat Gil Ofarim bisher gelebt?", fragte ich mich unwillkürlich, denn jeder, der seinen Davidstern schon lange Jahre trägt, weiß, dass es Situationen gibt, in denen man ihn besser versteckt, wenn eine gewisse Klientel am Horizont erscheint. Und wir sind auch alle schon einmal von einer dieser Personen mit säuerlichem Zug um den Mund angegiftet worden, ob "wir es gut finden, was die da unten mit den Palästinensern machen". Warum jetzt das Drama darum? Wir können nur hoffen, dass sich die Angelegenheit klärt.
Wie kommt man heraus aus dieser Verkrampfung, die seit Jahrzehnten in Deutschland herrscht? Es ist schwierig, ungefähr so, als fordere man jemanden auf, "spontan" zu sein. Erfahrungsgemäß funktioniert das nicht. Vielleicht wäre es erst einmal angebracht, sich menschliche Verhaltensweisen näher anzuschauen, ohne diese an Gruppen festzumachen. Denn mit diesen Ideen hat der Schlamassel angefangen.
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