Dienstag, 28. September 2021

Vizekanzler Habeck statt Kanzlerin Baerbock

von Thomas Heck...

Kurz nach der Bundestagswahl sucht man auch bei den Grünen nach den Verantwortlichen eines Ergebnisses, von dem man sich mehr erhofft hatte, nämlich nicht weniger als den Einzug ins Kanzleramt. Und die findet man in der Person einer Annalena Baerbock, derer Liste an Fehlern länger wäre als dieser Artikel. Deshalb erscheint es mehr als logisch, dass als möglicher Vizekanzler einer SPD-geführten Koalition der aufgrund der grünen Frauenquote als Kanzlerkandidat geschasste Robert Habeck gehandelt wird. Doch dies kommt beim Weibsvolk unter den Journalisten gar nicht gut an. Constanze von Bullion, Korrespondentin für die Süddeutsche Zeitung in Berlin verortet fast eine Sexismus-Kampagne mit markigen Worten: „Solotänzer“, „One-Man-Show“, „Bankrotterklärung“: Würde ein männlicher Journalist so über eine weibliche Politikerin schreiben, würde man ihm (zurecht) latenten Sexismus unterstellen. 

Doch da macht man sich es im Umgang mit den Fehlern von Annalena Baerbock allzu leicht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Denn es wird unterstellt, dass für Frauen in der Politik andere Regeln gelten als für Männer. Nach 16 Jahren  Kanzlerin eigentlich eine ziemlich steile These. Dabei ist es bei den Grünen genau andersrum. Wäre Baerbock ein Mann, wäre sie niemals Kanzlerkandidatin geworden. Und Baerbock ist das selbst auch glasklar. Seit der Wahlniederlage merkt man ihr fast an, wie erleichtert sie ist. Sie hatte sich mit der Aufgabe übernommen und das war ihr auch vom ersten Augenblick an klar.

So titelt die SZ: Vizekanzler Habeck? wäre fair.

Und führt weiter aus: Doch eines darf jetzt bei der Regierungsbildung nicht wieder passieren: dass die Herren die Machtfragen unter sich ausmachen.

Die Stimmen sind kaum ausgezählt, die Koalitionsverhandlungen noch nicht aufgenommen, da beginnt schon der Ärger über wichtige Ämter. Im Fall einer grünen Regierungsbeteiligung könnte Parteichef Robert Habeck Vizekanzler werden, nicht Ex-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Diese Botschaft verbreitet sich seit Montagabend in Berlin und sorgt bei manchen für Nervosität. Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin verbat sich vorzeitige Postenschieberei. Wer am Ende der Regierungsgespräche ganz vorn stehe bei den Grünen, habe die Partei zu bestimmen, nicht das Konklave Baerbock/Habeck.


Trittins Einwurf kann als Warnung einer Partei verstanden werden, die lange die Füße still gehalten hat. Die Grünen haben ihre Parteivorsitzenden gewähren lassen, als sie im Frühjahr im Vieraugengespräch entschieden, wer die Kanzlerkandidatur übernimmt. Sie haben mit Annalena Baerbock gehofft und gehadert, als ihre Kanzlerkandidatur ins Trudeln geriet, dann scheiterte. Nun will die Partei wieder mitreden. Das ist berechtigt. Es ist auch kein Fehler, Robert Habeck daran zu erinnern, dass eine Ein-Mann-Show des wiedererstarkten grünen Parteivorsitzenden nicht das ist, was die Grünen jetzt voranbringt.

Robert Habeck als Solotänzer - das wäre eine Bankrotterklärung

Richtig ist aber auch, dass eine Postenverteilung, wie sie sich jetzt ankündigt, auch eine mögliche Vizekanzlerschaft für Robert Habeck, alles anders als überraschend wäre. Annalena Baerbock hatte den Mut, sich fürs höchste Regierungsamt zu bewerben. Das war richtig, bei allen Risiken und Blessuren, die sie und ihre Partei davongetragen haben. Denn ein Wahlkampf, bei dem ausschließlich männliche Kanzlerkandidaten das Wort führen und auch die Grünen sich in stereotype Rollenerwartungen fügen, wäre unerträglich gewesen fürs Land und unvereinbar mit grünen Grundsätzen. Gleichzeitig ist es aber ein Gebot der Fairness, dem Nichtkanzlerkandidaten Robert Habeck nun zum Ausgleich den ersten Zugriff auf ein Regierungsamt zu geben, auch aufs Vizekanzlertum, sollte es denn zur Verfügung stehen.

Wer Macht gerecht teilen will zwischen den Geschlechtern, muss es auch dann tun, wenn eine Frau formal auf Platz eins steht, wenn auch nur vorübergehend wie im Fall Baerbock. Das allerdings darf nicht bedeuten, dass sich in der Regierungsbildung nun vollzieht, was die Grünen bei der Kanzlerkandidatur vermieden haben: dass die Herren die Machtfragen unter sich ausmachen. Es ist eine Frage grüner Glaubwürdigkeit, dass Annalena Baerbock auch weiter in erster Reihe Verantwortung trägt bei den Grünen, und zwar für harte Kernthemen wie Wirtschaft, Klima, Außenpolitik. Ihr am Ende das Frauen- und Familienministerin zu überantworten, wie das bisher so üblich war, und dem Solotänzer Robert Habeck die große Bühne, das wäre eine grüne Bankrotterklärung.

Wo sind eigentlich die Frauen bei FDP und SPD gelandet?

Es darf an dieser Stelle aber auch mal gefragt werden, wo die potenziellen Regierungspartner der Grünen eigentlich ihre Wortführerinnen versteckt haben. Die FDP kommt in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit daher wie ein Tabakskollegium des vorletzten Jahrhunderts. Die SPD hat mit Andrea Nahles, Katarina Barley, Manuela Schwesig und Franziska Giffey ihre wichtigsten Frauen aus der Bundespolitik verloren. In der Union ist nach dem Abschied von Angela Merkel keine Politikerin von nennenswertem Einfluss in Sicht. Das aber ist nicht hinzunehmen. Die nächste Regierung muss eine der Zukunft sein, nicht nur bei Fragen von Klima und Finanzen, bei Digitalisierung und Einwanderung. Sie muss das Versprechen eines Aufbruchs auch bei der Gleichstellung der Geschlechter einlösen. Sonst braucht sie gar nicht erst anzutreten.




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