von Mirjam Lübke...
Vor ein paar Tagen hatte Milosz Matuschek eine vielbeachtete Kolumne in der NZZ geschrieben: "Was wäre, wenn die Covidioten recht hätten?"
Uff. Da hatte sich jemand was getraut. Und seine Redaktion auch. In Deutschland wurde zur selben Zeit noch über den "Sturm auf den Reichstag" debattiert und der Teufel an die Wand gemalt: Die Medien schrieben die Angst vor einem Anstieg der Infektionszahlen herbei, die Fans der QAnon-Gemeinde erwarteten - wie schon im Mai - den Komplettausfall von Strom und Internet. Zum Glück trat weder das eine noch das andere ein: Die Fallzahlen blieben konstant und wir können noch immer auf Facebook diskutieren.
Doch plötzlich wurde Milosz Matuschek vor die Tür gesetzt. Nach sechs Jahren. Hatte er dem Chefredakteur einen Radiergummi gestohlen? Oder das Klopapier der Kantinentoilette? Mitnichten. Er hatte einfach das Pech, dass sein Artikel von Ken Jebsen geteilt wurde. Prompt jagte ihm ein Kollege die hämische Bemerkung hinterher, er hätte sich seine Verbündeten besser aussuchen müssen. Und da sagt man, nur Frauen seien Zicken im Beruf.
Es ist nichts Neues, dass man heute arg Acht geben muss, wem man ein Like schenkt - so begann schließlich auch meine Fangirl-Karriere. Denn es gilt: Die Salonfähigkeit einer Aussage hängt davon ab, wer sie getätigt hat. "Wer hat's gesagt?" ist ein beliebtes Quiz und sorgt oftmals für erstaunte Gesichter.
Immer häufiger jedoch werden einem die eigenen Fans angelastet, auch wenn man sich diese in den seltensten Fällen selbst ausgesucht hat. Weiß ich, was irgend jemand da draußen aus meinen Worten herausliest? Wer schreibt, ist kein Programmierer, der immer an den dümmsten anzunehmenden User denken muss. Es wäre keinerlei Kritik an gesellschaftlichen Missständen mehr möglich, wenn man jedes Mal darauf achten müsste, zu was sich irgend ein Leser aufgefordert fühlen könnte. Sonst müsste sich die TAZ jeden Tag für linke Gewalt rechtfertigen.
Die Blüten, welche diese herbeifantasierte Kontaktschuld treibt, werden immer exotischer: So hat der Attentäter Anders Breivik einmal Henryk M. Broder positiv erwähnt, was ihm von seinen Gegnern bis heute regelmäßig aufs Butterbrot geschmiert wird. Der Attentäter von Christchurch schrieb einst eine Mail an den jungen Mann, dessen Name bei Facebook so gefürchtet ist, dass sofort die Falle zuschnappt. Hat der junge Mann jetzt auch etwas mit dem Attentat zu tun? Wie üblich funktioniert das natürlich nicht innerhalb des linken Spektrums.
So müssten Linke paradoxerweise die Verbrennung der Werke Heines im Nationalsozialismus gutheißen, denn die Historikerin Brigitte Hamann fand heraus, dass Adolf Hitler in jungen Jahren einmal eine kurze pro-Heine-Phase hatte und sogar einen Aufruf zum Erhalt einer von Kaiserin Sisi gespendeten Statue des jüdischen Dichters unterstützte. Später wird er davon nichts mehr gewusst haben wollen, aber das kollektive linke Gedächtnis vergisst auch nach Jahren nichts.
Und vergessen wir ebenfalls eins nicht: Matuscheks Artikel ist bis zur Veröffentlichung durch einige Hände gegangen, so läuft das bei einer seriösen Zeitung. Wieso wird er nun als einziger abgestraft? Es sieht fast so aus, als hätte die NZZ einmal einen Probeballon gestartet, was in der Schweiz pressetechnisch möglich ist, dann aber nicht den Mut gehabt, die Konsequenzen mitzutragen.
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