Mittwoch, 17. Juni 2020

MeToo in Spannungsfeld des Multi-Kulti-Wahns...

von Thomas Heck...

Wenn in Deutschland über Sexismus diskutiert wird, findet diese ganz schnell ihre Grenzen, wenn es denn um die Ursachen von Sexismus geht. Und leider darf aus Gründen der politischen Korrektheit nur hinter vorgehaltener Hand offen diskutiert werden. Denn die Frauen in Deutschland haben eben nicht den alten weißen Mann zum Problem, der mehr als Schwarzer Peter in der politischen Debatte herhalten muss. Was ist mit den Migranten, die immer zahlreicher dieses Land bevölkern und denen Feminismus und Gleichberechtigung bis heute selbst in Migrantenfanilien der 3. oder 4. Generation Fremdworte sind? Da lohnt ein Blick nach Süden, wo die NZZ Themen aufgreift, die in Deutschland schon längst tabu sind.



«Männerwelten» bei Joko und Klaas: Warum ich mich als Frau nicht ernsthaft unterstützt fühle

Die TV-Moderatoren Joko und Klaas wenden sich gegen Frauenfeindlichkeit. Doch ihre Solidarität stösst im Konflikt mit der Multikulturalität sehr schnell an ihre Grenzen.

«Alles fit im Schritt?» So wurden wir als Dreizehnjährige von einigen männlichen Mitschülern begrüsst. Im Hure-Heilige-Schema waren wir längst eingeordnet worden. Auf dem ersten Huren-Platz stand eine meiner Freundinnen, als Gothic-Fan immer in engen Lederhosen und wehendem schwarzem Mantel unterwegs. Die Jungs grölten durch das Treppenhaus, wenn sie sie sahen, und riefen anzüglich ihren Namen. Einmal versperrte mir einer von ihnen die Türöffnung. Ich forderte ihn auf, Platz zu machen, und liess keinen Zweifel daran, dass ich mich für diese Art von Flirt nicht begeistern konnte. Doch er wich nicht von der Stelle. Schliesslich musste ich mich an ihm vorbeizwängen.

Meine Cousine war zwei Jahre alt, da blockierte ein Junge die Rutsche und wollte das Spielgerät partout nicht freigeben. Als meine Tante ihn nach einer Ewigkeit bat, Platz zu machen, damit auch meine Cousine rutschen könne, mischte sich die Mutter des Jungen ein: Niemand dürfe ihrem Sohn Vorschriften machen. Völlig ausser sich schrie sie schliesslich über den ganzen Spielplatz: «Mein Sohn darf alles!»

In Zeiten von #MeToo kann ich mir einer breiten öffentlichen Unterstützung gewiss sein, wenn ich von derartigen Vorfällen berichte. Doch gilt das auch, wenn ich oben verschwiegene Details ergänze? Die Mutter auf dem Spielplatz trug ein Kopftuch. Die anzüglichen Bemerkungen musste ich nur im Ethikunterricht über mich ergehen lassen, wo muslimische Jungen den Ton angaben, die wie ich nicht den christlichen Religionsunterricht gewählt hatten.

Meine persönlichen Erlebnisse stehen in einer Reihe mit zahlreichen ähnlichen Situationen, in denen Frauen den importierten patriarchalen Strukturen aus muslimischen, aber auch anderen Kulturkreisen ausgesetzt sind, die den Alltag in Deutschland zunehmend prägen.
Wessen Freiheit?

Thematisiert man diesen Konflikt zweier potenziell benachteiligter Gruppen, dann ändert sich die Art, wie man wahrgenommen wird: Statt als Opfer frauenverachtender Diskriminierung gilt man als potenzielle Rassistin und gerät unter Rechtfertigungsdruck. Dabei sind mit diesem Konflikt wichtige Abwägungen verbunden: Soll man tolerieren, wenn eine muslimische Mutter ihrer sechsjährigen Tochter das Singen verbietet? Wenn Jungen ihren Lehrerinnen den Handschlag verweigern? Wenn achtjährige Mädchen Kopftuch tragen müssen? All diese Fälle fordern den Mut ein, Entscheidungen zu fällen, welche die Freiheit mindestens einer Konfliktpartei beschneiden.

Wie diese Debatte unter den Teppich gekehrt wird, indem Kritiker der deutschen Migrationspolitik pauschal unter Rassismusverdacht gestellt werden, illustrieren auch die widersprüchlichen politischen Stellungnahmen des Moderatorenteams Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Die beiden sind nicht nur Identifikationsfiguren für die Generation der 20- bis Mitte-30-Jährigen, die mit Multikulturalität aufgewachsen ist. Sie stehen auch stellvertretend für jenen Teil des linksliberalen Milieus, der die Konflikte im Zusammenhang mit Migration konsequent verleugnet.

Mitte Mai lösten die Moderatoren eine Diskussion über Frauenfeindlichkeit und sexuelle Belästigung aus. In ihrer Show «Joko und Klaas gegen Pro Sieben» hatten sie wieder einmal fünfzehn Minuten Sendezeit erspielt, die ihnen – so sehen es die Regeln der Show vor – zur freien Verfügung standen. Die beiden erdachten das Konzept zu einer fingierten Ausstellung mit dem Titel «Männerwelten», in der allein Frauen zu Wort kamen.

Die Autorin und Moderatorin Sophie Passmann führte durch die abgedunkelten Ausstellungsräume, wo die Zuschauer schonungslos mit dem krassen und doch alltäglichen Ausmass sexueller Übergriffe konfrontiert wurden: Man zeigte Penis-Fotos, die Frauen ungefragt im Netz zugeschickt bekommen, las übergriffige Chatnachrichten vor und schilderte Belästigungen und Vergewaltigungen. Ein starkes Zeichen. Eine wichtige, ja unabdingbare Ausstellung, die Denkanstösse liefert und Frauen darin bestärkt, Übergriffe zu thematisieren.

«Entkräfter Pro Max»

Warum fühle ich mich als junge Frau von Joko und Klaas dennoch nicht ernsthaft unterstützt? Schon vor dem «Männerwelten»-Beitrag hatten sich Joko und Klaas des Öfteren politisch geäussert – auch zum Thema Migration, was aber im «Männerwelten»-Beitrag ausgeklammert wurde. Ende 2019 etwa nutzten Joko und Klaas ihre gewonnene Viertelstunde Primetime, um in Teleshopping-Manier den «Entkräfter Pro Max» zu präsentieren: ein kleines Gerät, das auf Knopfdruck acht gängige rechtspopulistische Aussagen argumentativ entkräften könne, zusammengetragen und recherchiert von den «klügsten Journalisten Deutschlands». Es ging um Sätze wie: «Seenotrettung fördert Schlepperei», «Ausländer sind kriminell» und «Deutschland kann nicht die ganze Welt retten» – «Bullshit-Noise» und «rechtspopulistischer Müll».

Rechtspopulisten, erklärten die Moderatoren, seien nicht am Austausch von Argumenten interessiert. Stattdessen reduzierten sie «komplexe Sachverhalte und gesellschaftliche Probleme immer und immer wieder einfach auf Parolen» und diskriminierten «die Schwächsten unserer Gesellschaft». In Zukunft könnten sie ihre Gedanken mit dieser Plastikbox ausdiskutieren.

Wie man komplexe Sachverhalte und gesellschaftliche Probleme auf einfache Parolen reduziert, das illustrieren Joko und Klaas unfreiwillig gleich zu Beginn ihres Entkräfter-Beitrags mit einer gestellten Szene in einer Kneipe: Joko und Klaas wollen sich gemütlich auf ein Bier treffen, stören sich jedoch an einem Gespräch am Nebentisch.

«Das ist einfach Fakt», sagt dort einer der Männer, «Ausländer sind krimineller als Deutsche. Kann man überall nachlesen. Da haben früher Kinder gespielt. Und heute muss man da Angst haben, wenn man da abends langläuft. Seit die Merkel die ganzen Flüchtlinge reingelassen hat, ist die Kriminalität in Deutschland . . .» Worauf Klaas aufsteht und das Gespräch unterbricht: Der ganze Laden müsse sich diesen Quark anhören, «und nichts von dem, was Sie sagen, entspricht tatsächlich der Realität». Er zaubert einen Professor für Soziologie und Politikwissenschaften hervor, der über die Kriminalitätsstatistik referiert und dem Mann am Nebentisch erklärt: «Zusammenfassend lässt sich sagen: Sie sind ein Idiot.»

Ob man Angst hat, wenn man abends durch einen Park läuft, hängt allerdings nicht von einer Kriminalstatistik ab. Überhaupt sagen Kriminalitätsraten nicht zwangsläufig etwas über die Sicherheit und das Zusammenleben der Bevölkerung aus. Insbesondere als Frau ist man immer wieder Formen von Übergriffigkeit und Belästigung ausgesetzt, die unterhalb der Grenze der Strafbarkeit liegen, aber eben entwürdigend sind. Deshalb ist man so häufig in der schwächeren Position. Tatsächlich haben sich seit 2015 in Deutschland bereits zuvor bestehende frauenverachtende Tendenzen verschärft.

Zwischen Toleranz und Gleichgültigkeit

Man muss keine Kritikerin der deutschen Migrationspolitik sein, um diese Veränderungen wahrzunehmen: Ein muslimischer Integrationsbeauftragter berichtete in einem Interview mit der «FAZ» aus seinem Arbeitsalltag mit Asylbewerbern: «Wenn junge Frauen im Sommer in Tanktops und Hotpants rumlaufen, ist das für manche eine Aufforderung, zu gaffen oder übergriffig zu werden. Auf Ausflügen habe ich immer wieder erlebt, dass die Jugendlichen den Frauen hinterherriefen, manchmal auch versuchten, sie anzufassen.»

Wer derartige Entwicklungen verleugnet, verschliesst die Augen davor, wie schmal der Grat zwischen Toleranz und Gleichgültigkeit ist, wie sehr der Wert der Toleranz ad absurdum geführt wird, wenn er zur bedingungslosen Maxime wird: Eine Toleranz ohne Grenzen toleriert auch die Intoleranten. Im Grunde muss einem Bekenntnis zu Toleranz stets eine Grenzziehung inhärent sein.

Dabei geht es nicht um die Herabwürdigung einzelner Kulturräume oder Religionen, sondern um ihre Gleichbehandlung. In unserer aufgeklärten Gesellschaft ist es gängige Praxis, menschliches Verhalten im Kontext kultureller und religiöser Strukturen zu deuten. Wir karikieren das reaktionäre Frauenbild von Neonazis. Wir fragen nach dem Einfluss der DDR-Vergangenheit auf die Frauenpolitik der Kanzlerin. Wir lesen familienpolitische Projekte der CSU als Ausdruck eines speziellen bayrischen Konservativismus. Nicht zuletzt ringt Deutschland bis heute mit dem Frauenbild der katholischen Kirche.

Doch nicht wenige jener Frauen, die sich in den sechziger und siebziger Jahren ihre Rechte, auch gegen die Sexualmoral und das Frauenbild der Kirchen, mühevoll erkämpfen mussten, verwehren jungen Frauen heute die Solidarität in vergleichbaren Konflikten und brandmarken strukturelle Kulturkritik als Rassismus. Auf die Klage etwa, man fühle sich als Frau an Silvester nicht mehr wohl auf einem zentralen Platz in der Innenstadt, der von jungen männlichen Migranten vollkommen dominiert werde, erwidert eine ältere Bekannte, glühende Anhängerin der Frauenbewegung: «Da gehe ich sowieso nicht mehr hin!»

Im Zweifel für den Migranten

Das also soll die Strategie der Zukunft sein? Die Trauben der Freiheit für sauer erklären, weil sie zu hoch hängen? Ausweichen und sich anpassen? Ich beobachte mich selbst dabei, wie ich diese Haltung verinnerliche: etwa wenn ich gezwungen bin, auf die vielbefahrene Strasse auszuweichen, weil der Bürgersteig vor der Moschee von Männern blockiert wird, die sich keinen Zentimeter zur Seite bewegen.

Ich bin 1993 geboren, und meine Generation ist vielleicht die erste, die davon zu berichten weiss, wie stark Migration soziale Standards verschieben kann. Wenn wir davor warnen, die Augen vor den Folgen unseres Handelns für die Umwelt zu verschliessen, dann muss dasselbe für die Folgen für das Zusammenleben gelten. Neben humanitären Aspekten und den Vorteilen kultureller Vielfalt müssen wir auch gefährliche gesellschaftliche Auswirkungen in den Blick nehmen. Alles andere wäre ein Verrat an unseren eigenen Werten und an den nachfolgenden Generationen.

«Männerwelten» war ein wichtiges und äusserst mutiges Statement. Und dennoch bleibt in Bezug auf Joko und Klaas ein fader Beigeschmack. Bei diesem Beitrag kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die beiden wollten darüber befinden, welche Spielart des Feminismus öffentlich diskutiert werden darf – und welche, versehen mit dem Etikett der populistischen Fremdenfeindlichkeit, im Keim erstickt wird.

Joko und Klaas stehen sinnbildlich für so viele, die sich dem Konflikt zwischen Multikulturalität und Feminismus nicht stellen und Letzteren nur unterstützen, solange es dem eigenen Image zuträglich ist. Im Zweifel gilt ihre Solidarität den männlichen Migranten.




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