Mittwoch, 16. Januar 2019

The german Angst zum Thema Brexit...

von Thomas Heck...

Die Angst vor einem harten Brexit sitzt tief, besonders in Deutschland, wo die Hasenfüßigkeit tief verwurzelt ist. Der Versuch der EU, Großbritannien die Bedingungen eines Brexits zu diktieren, ist vorerst gescheitert. Nach einer leidenschaftlichen Debatte im britischen Unterhaus, wo die direkte Rede und Gegenrede im Gegensatz zu lahmen Debatten im Bundestag oder im EU-Parlament wohltuend frisch und demokratisch daherkommt, haben die Abgeordneten der EU den Stinkefinger gezeigt. Die Forderungen nach einem erneuten Votum sind untauglich, denn Demokratie heisst ja nicht zu wählen, bis das Ergebnis stimmt.

Auf 585 Seiten und in 185 Artikeln sowie drei Zusatzprotokollen regeln die EU und Großbritannien die Bedingungen für den Brexit. Allein wegen des schieren Umfangs des Dokuments ist davon auszugehen, dass bisher noch nicht alle Details des Abkommens der Öffentlichkeit bekannt sind. Doch alleine die Grenzen zwischen Nordirland und der Republik Irland, die nach EU-Willen wieder kontrolliert werden müssten, gefährden den Friedensprozess nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs und IRA-Terrors. Allein aus diesem Grunde haben viele Abgeordnete den Brexit in der vorliegenden Form abgelehnt. Zu Recht.

Großbritannien ist für Deutschland der viertwichtigste Handelspartner und hat viel zu verlieren. So verwundert es nicht, wenn der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Spiegel seine Angst vor einem harten Brexit kaum verbergen kann. Doch für die EU geht es um viel mehr. Es geht auch darum, unruhigen Wackelkandidaten innerhalb der EU ein drohendes Szenario für den Fall aufzuzeigen, wenn Bestrebungen zum EU-Austritt verfolgt werden würden. Allzu leicht wird man es diesen Ländern nicht machen wollen. Und eine bittere Erkenntnis, wohin sich dieses EU-Bürokratiemonster entwickelt hat, welches einmal als Wirtschaftsverband begann und heute seinen Mitgliedsländern massiv drohen muss. So erscheint die Drohkulisse nur als besonders starke Ausprägung der allseits bekannten german Angst.


Mays Niederlage im ParlamentEs gibt noch Hoffnung

Die Brexit-Vereinbarung, die Theresa May mit der EU getroffen hat, ist Geschichte. Doch die Entscheidung des britischen Parlaments muss nicht zwangsläufig in eine Katastrophe münden.
Ein Kommentar von DIW-Präsident 
Kommt nun der harte Brexit? Wie stark wird er Europa und Deutschland schaden, könnte es unsere Wirtschaft sogar in die Rezession treiben? Viele sind nach der Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament stark verunsichert und besorgt. Dabei ist diese Entscheidung bei Weitem nicht so negativ, wie viele sie wahrnehmen. Sie gibt gar vorsichtigen Anlass zur Hoffnung.

Zum Autor
  • diw
    Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied im Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.



Das Horrorszenario eines harten Brexits am 29. März 2019 wird intensiv diskutiert: fehlende Medikamente, ein Zusammenbruch des Verkehrs zwischen Großbritannien und der EU, Stillstand bei Unternehmen und ein Einbruch der Finanzmärkte sind nur einige Elemente dieses Szenarios. Diese Sorgen sollten nicht unterschätzt werden. Aber die Entscheidung des britischen Parlaments enthält auch vier Hoffnungssignale.

Zum einen ist es noch immer höchst unwahrscheinlich, dass es zu einem solchen Szenario am 29. März kommen wird. Es ist nun sehr viel wahrscheinlicher, dass der Austrittstermin für einige Monate verschoben wird und zudem Einzelabkommen für eine Übergangsphase getroffen werden, um das befürchtete Chaos zu verhindern. Und die Ablehnung hat die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zu einem zweiten Referendum kommen wird, bei dem die Briten sich für die EU und gegen einen Brexit aussprechen werden.

Einige Brexit-Befürworter monieren, dieses würde das Land noch stärker spalten. Es ist zweifelhaft, ob die jetzt schon existierende Spaltung nochmals übertroffen werden kann und ob die Briten nicht doch froh sein würden, in der EU zu bleiben.

Die Kosten werden überschätzt

Zum zweiten werden die Kosten und Verwerfungen eines harten Brexit wahrscheinlich überschätzt, zumindest für Deutschland und andere Länder auf dem Kontinent. Großbritannien (und vor allem Irland) würden sicherlich einen hohen wirtschaftlichen Preis für einen harten Brexit zahlen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass der wirtschaftliche Schaden für Deutschland signifikant sein wird.

Bei aller Vorsicht ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass ein harter Brexit kurzfristig die deutsche Wirtschaftsleistung vielleicht um 0,2 oder 0,3 Prozent reduzieren könnte - also eine ähnliche Größenordnung wie der Einbruch des Wirtschaftswachstums im dritten Quartal 2018 in Deutschland. Nur sehr wenige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben diese Korrektur durch weniger Beschäftigung oder geringere Einkommen am eigenen Leib erfahren müssen.

Zudem haben viele deutsche Unternehmen in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie flexibel und schnell auf Schocks reagieren können. Ähnlich sollte es auch für die meisten Unternehmen im Falle eines harten Brexit sein.

Der größte langfristige Schaden eines Brexit aus deutscher Perspektive ist, dass Deutschland ein wichtiger Partner bei den Reformen der Europäischen Union verlorengehen wird. Großbritannien war stets ein Champion von wirtschaftlicher Integration, offenen Märkten und Globalisierung - also Prioritäten, die für kaum ein Land so wichtig sind wie für Deutschland.

Die Briten profitieren nicht

Gleichzeitig ist Großbritannien aber auch immer ein Bremsklotz der europäischen Reformen gewesen. Es hat nicht selten als Priorität versucht, für sich selbst Privilegien auszuhandeln, wie beim Budget. Der Brexit wird somit zwar Deutschland eines wichtigen Partners berauben, aber auch viele Reformen Europas einfacher machen.

Eine große Sorge am Anfang des Brexit-Prozesses war, dass Großbritannien vom Austritt profitieren könnte und in der Folge andere Länder austreten - die EU würde implodieren. Es zeigt sich nun, dass eine solche Sorge nicht unbegründeter hätte sein können.

Großbritannien zerlegt sich politisch, sozial und wirtschaftlich nach allen Regeln der Kunst. Die britische Politik beschäftigt sich seit fast drei Jahren mit kaum etwas anderem, als mit internen Querelen, ob und wie sie nun die EU verlassen sollen. Dringende Reformen bleiben auf der Strecke, und dies wird sich auch nach dem Brexit nicht ändern, denn das Land muss Dutzende neuer Institutionen gründen und aufbauen, um europäische Institutionen zu ersetzen. 

Der Wert Europas ist deutlich geworden

Und der Brexit hat das Land sozial und gesellschaftlich so stark gespalten, wie es keine noch so große und langanhaltende Flüchtlingsmigration in Deutschland je tun könnte. Die Spaltung verläuft nicht nur zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Regionen, sondern innerhalb von Gruppen und selbst Familien. 

Kurzum, der Brexit ist eine wirtschaftliche, soziale und politische Katastrophe für Großbritannien. Und es besteht kaum mehr Sorge, dass eine Regierung oder eine Partei die Erfahrung Großbritanniens gerne im eigenen Land wiederholen möchte - die AfD dürfte eine der wenigen Ausnahmen sein mit ihrer bedingten Forderung nach einem EU-Austritt Deutschlands im Jahr 2024. 

Die Hoffnung ist, dass noch mehr Menschen in Europa durch das Brexit-Chaos verstehen, wie wichtig die europäische Integration für sie selbst und die Zukunft ihrer Kinder ist. Und dass damit die Politik nun mehr Mut findet, Europa zu reformieren und voranzubringen.




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