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Anschlag auf World Trade Center: Die grotesken Verschwörungstheorien zu „9/11“
Über kein Ereignis der Weltgeschichte werden mehr Lügen verbreitet als über die Terroranschläge auf New York am 11. September 2001. Egal, wie viele Fakten dagegen sprechen – sie bleiben lebendig.
von Sven Felix Kellerhoff erschinen in der Welt
Fast 3000 Menschen starben, und die Identifizierung der Opfer ist lange nicht abgeschlossen. In den vergangenen fünf Jahren wurden genau fünf Opfer eindeutig zugeordnet – auch solche Fakten tragen zur Befeuerung von Verschwörungstheorien bei.
Jeder kennt die Bilder, denn sie sind unendlich oft im Fernsehen wiederholt worden und in Tausenden YouTube-Videos gleichzeitig zu sehen. Wie genau um 8:46:30 Uhr die Boeing 767 des Fluges American Airlines 11 in den Nordturm des World Trade Center einschlug, filmte der französische Kameramann Jules Naudet. Er stand einen guten Kilometer weiter nördlich, an der Ecke Lispenard Street und Church Street, als er das Dröhnen der beiden Flugzeugturbinen hörte und die laufende Kamera hochriss. Ein zweiter, nur vier Sekunden langer Videoschnipsel eines tschechischen Immigranten wurde erst Jahre später bekannt.
Vom Einschlag des United Airlines Fluges 175 in den Südturm des World Trade Center genau um 9:03:02 Uhr gibt es mehr als zwei Dutzend Videos, auf denen die Maschine mehr oder minder deutlich zu erkennen ist. Mindestens sechs davon sind nachweislich live ausgestrahlt worden. Man sollte also eigentlich meinen, dass niemand die Realität des Einschlages zweier entführter Passagiermaschinen in das New Yorker Wahrzeichen am 11. September 2001 bestreiten kann.
Die Terroristen Mohammed Atta (r.) und Abdulaziz al-Omari am Morgen des 11. September an der Sicherheitskontrolle des Flughafens von Portland - Quelle: Getty Images
Doch das Gegenteil ist richtig: Mit zunehmendem Abstand der Anschläge nimmt die Zahl der Verschwörungstheorien zu statt ab. Offensichtlich können oder wollen sich viele Menschen nicht vorstellen, dass vier gerade einmal mäßig des Englischen mächtige Anführer und 15 ziemlich schlichte junge Fanatiker ausschließlich mit Teppichmessern so eine Katastrophe verursachen konnten.
Dennoch gibt es Verschiebungen bei den Verfechtern der verschiedenen Verschwörungstheorien. Das liegt daran, dass die weitere Entwicklung seither manche absurde Behauptung als solche offenbart hat. Allerdings lassen sich davon Anhänger derartiger „Erklärungen“ selten bekehren – sie weichen meist auf andere Theorien aus und tun so, als hätten sie nie etwas anderes behauptet. WELTGeschichte stellt die Top Five der Verschwörungstheorien zu „9/11“ vor:
Platz 5: Keine Flugzeuge
James H. Fetzer zum Beispiel, ein pensionierter Professor für Wissenschaftsphilosophie, meint, dass keine Flugzeuge in die beiden Türme eingeschlagen seien – obwohl es die mehr als zwei Dutzend Videoaufnahmen gibt. Es habe sich in Wirklichkeit vielmehr um ferngesteuerte Flugkörper gehandelt. Bei den entsprechenden Bildern, so Fetzer, handele es sich um digital bearbeitete Aufnahmen, in denen die Umrisse der beiden Boeings 767 anstelle der angeblich eingesetzten Cruise Missiles eingebaut worden seien.
Doch weil mindestens sechs Aufnahmen vom Einschlag von United Airlines Flug 175 in den Südturm live und weltweit gesendet wurden, ist Fetzer widerlegt. Ohnehin wurden zerfetzte Teile des Fahrwerks dieses Fluges auf dem Dach eines Hauses am Broadway gefunden sowie Teile der Turbinen in der Murray Street. Außerdem konnten sterbliche Überreste von drei nachweislich auf diesen Flug gebuchten Passagieren per DNA identifiziert werden.
Teile der Boeing 767 von Flug United Airlines 175 im 9/11-Memorial in New York - Quelle: AFP/Getty Images
Von Flug American Airlines 11 existieren übrigens noch weitaus mehr Reste: ein Teil der Außenhaut mit einem Fenster, Teile des Fahrwerks und der Triebwerke sowie die sicher identifizierten sterblichen Überreste von 36 Passagieren.
Platz 4: Der Mossad ist schuld
Antisemitismus sei, so eine literarisch überhöhte Definition des Philosophen Theodor W. Adorno, das „Gerücht über die Juden“. Man kann das überzeugend finden oder nicht – fest steht: „9/11“ hat üble antisemitische Behauptungen hervorgebracht.
Wohl auf einem radikal-islamischen Radiosender der schiitischen Hisbollah-Miliz geht die Behauptung zurück, am 11. September 2001 seien keine Juden umgekommen; das liege daran, dass der Mossad oder Israel allgemeinen die Anschläge organisiert habe, um die USA gegen die islamische Welt aufzubringen; Juden seien gewarnt worden, an jenem Dienstag nicht ins World Trade Center zu gehen.
So schlug die zweite Boeing ins World Trade Center ein
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Flug United Airlines 175 im Endanflug auf das Ziel – den Südturm des World Trade Centers - Quelle: Getty Images
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Flug United Airlines 175 nur noch wenige Meter vor dem Einschlag - Quelle: Getty Images
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Die Explosion durchdringt das Hochhaus - Quelle: Getty Images
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Der Feuerball der detionierten Boeing schießt aus dem Gebäude - Quelle: Getty Images
Die Karriere, die diese Behauptung gemacht hat, dürfte sogar ihre Urheber erstaunen, wenn sie denn davon wüssten. Viele Antisemiten, offene und angeblich skeptische, verbreiten den Unsinn bis heute.
Dabei kann man klare Fakten benennen. Mindestens 270 Juden starben bei den Anschlägen in New York, nach anderen Angaben sogar bis zu 400. Jedes zehnte bis siebte Opfer, also zehn bis 14 Prozent, war jüdischer Religion oder stammte von Juden ab. Bei einem Bevölkerungsanteil von Juden in den USA von 1,7 bis 2,6 Prozent und von sechs Prozent in New York bedeutet das: Jüdische Menschen waren unter den Opfern nicht unter-, sondern überrepräsentiert.
Platz 3: „Täter“ Larry Silverstein?
Machte der Pächter des Komplexes World Trade Center, der Immobilienmagnat Larry Silverstein, am 11. September 2001 ein Riesengeschäft? Das wird, in allen möglichen und unmöglichen Varianten, immer wieder behauptet.
Insgesamt erhielt Silverstein 4,68 Milliarden Dollar Entschädigung für die eingestürzten Twin Towers, die er erst wenige Wochen zuvor von der Hafenbehörde von New York gepachtet hatte. Verschwörungstheoretiker glauben, dass das kein Zufall sein könne.
Larry Silverstein pachtete das World Trade Center im Sommer 2001 - Quelle: picture alliance / Photoshot
Tatsächlich war es kein Zufall, dass Silverstein so viel Geld bekam, denn er hatte, was jeder Immobilienbetreiber tut, eine Versicherung gegen Gebäudeschäden abgeschlossen. Allerdings war es ein richtig schlechtes Geschäft.
Denn der Pächter machte nicht nur keinen Gewinn, sondern sogar einen erheblichen Verlust. Weil er vertragsgemäß die Pacht trotz der Zerstörung der Gebäude weiterzahlen musste, versuchte er für jeden der beiden eingestürzten Türme 3,5 Milliarden Dollar Schadensersatz zu bekommen. Doch damit scheiterte er vor Gericht. Und in die Neubauten, die er errichten musste, um überhaupt wieder Geld zu verdienen, musste er inzwischen mehr als zehn Milliarden Dollar investieren.
Platz 2: Kontrollierte Sprengung
Ganz egal, was in die beiden Türme des World Trade Center eingeschlagen sei – sie hätten niemals so einstürzen können, wie es wahrscheinlich mehr als eine Milliarde Menschen am 11. September 2001 um 9.59 Uhr und um 10.28 Uhr live auf ihrem Bildschirm gesehen haben. Das zumindest behaupten viele Verschwörungstheoretiker.
Sie stören sich nicht daran, dass bei jeder kontrollierten Sprengung umfangreiche, meist monatelange Vorbereitungen nötig sind, um alle relevanten Stellen mit Dynamit zu versehen. Dass solche Vorbereitungen niemals möglich wären, ohne dass sie allen Besuchern des Gebäudes auffielen. Dass es Bilder aus dem Inneren des World Trade Center gibt, aufgenommen nachweislich in den ersten Septembertagen 2001, auf denen nichts davon zu sehen ist.
Die Explosion von United Airlines 175 durchschlägt den Südturm des World Trade Center - Quelle: Getty Images
Natürlich gibt es auch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass es nächtliche Aktivitäten in den Türmen gegeben hatte oder dass mehrere Tonnen hochexplosiven Sprengstoffs zum WTC gebracht worden wären. Und es gab – anders als bei allen kontrollierten Sprengungen – im Schutt nicht die geringsten Reste der hochstabilen Zündschnüren aus Hightech-Materialien, die bei kontrollierten Sprengungen so lange intakt bleiben müssen, bis sie genau koordiniert im richtigen Moment den Zündimpuls übermittelten.
Platz 1: Ein Plan der US-Regierung
Die sicher einflussreichste und weltweit am häufigsten geglaubte Verschwörungstheorie zu „9/11“ ist, dass es sich um einen von der US-Regierung geplanten oder zumindest zugelassenen Anschlag gehandelt habe. Das Ziel der bösen „Neo-Cons“ in der Regierung von Präsident George W. Bush sei es gewesen, die Zustimmung der Amerikaner für einen Krieg gegen den Terror zu bekommen und im Irak einzumarschieren.
Am lautesten verkündete fast anderthalb Jahrzehnte lang der rechtsradikale Radio-Moderator Alex Jones, „9/11“ gehe auf eine „false-flag-Operation“ der US-Geheimdienste zurück. Er wollte den Anschlag vorhergesagt haben.
Polizisten verhaften den Verschwörungstheoretiker Alex Jones 2016 in Cleveland - Quelle: picture alliance/dpa
Doch im Präsidentschaftswahlkampf 2016 wechselte er seine Haltung. Jones unterstützte Donald Trump gegen Hillary Clinton und verbreitete Lügen über die demokratische Kandidatin, für die er sich inzwischen übrigens bei unbeteiligten Opfern, nicht aber bei Clinton entschuldigt hat. Nun soll auf einmal nicht mehr die US-Regierung schuldig gewesen sein an „9/11“, sondern doch – wie die Regierung stets gesagt hatte und wie aufgrund zahlreiche Indizien eindeutig feststeht – Täter mit islamistischen Motiven.
Erstaunlicherweise störte sich das Publikum von Alex Jones an dieser totalen Kehrtwende kaum. Weiterhin verdient er glänzend an Schusswaffen, mehr oder minder wirksamen Medikamenten sowie speziellen Nahrungsmitteln, mit denen sich seine Kunden auf die angebliche laufende „Vergiftung“ der US-Bevölkerung durch den „deep state“ vorbereiten und zur Wehr setzen könnten. Jones schürt Ängste und verkauft dann die angeblichen Gegenmittel – ein perfektes Geschäftsmodell.
Der höchste Verschwörungstheoretiker der USA sitzt übrigens im Weißen Haus. Donald Trump selbst hatte noch 2015 seine Zweifel an der „offiziellen Version“ geäußert und Saudi-Arabien verantwortlich gemacht. Inzwischen allerdings hat er seine Meinung offenbar geändert, ohne das offen zu erklären, denn mit dem saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman versteht sich der US-Präsident bestens.
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