Mittwoch, 7. Februar 2018

Wenn gegendert das Denken aussetzt...

von Thomas Heck...

Wer nichts wird, wird Gender-Wissenschaftler. Man braucht nicht viel tun, nichts Produktives, nichts Weltbewegendes. Sei erfinden keine neuen Produkte, keine Impfstoffe und werden die Welt nicht ein Stock voranbringen. Sie werden keine Krankheit ausrotten. Dennoch können Sie Macht ausüben. Und das in nicht zu geringem Ausmaß. Denn Sie werden die Sprache der Zukunft beherrschen und somit bestimmen, wer künftig in diesem Land Karriere macht, wer gewählt wird, wer sozial eingebunden sein wird. Wem heute bei einer Rede, ein "liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" bereits schwerfällt, kann gleich gehen. Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie mal in der NZZ, was da auf uns zukommt. Claudia Wirz hat sich der Sache mal angenommen.

Wer hat seinen Schirm vergessen? In diesem scheinbar harmlosen Sätzchen offenbaren sich alle Abgründe einer verachtenswerten Männergesellschaft. Sowohl das Wort «wer» und schon gar das Pronomen «seinen» löschen die Frau aus, verschleiern sie gründlicher als jede Burka. Eine Frau kann sich von solcher Männersprache unmöglich angesprochen fühlen. Luise F. Pusch, die Erste der Säulenheiligen in der Galerie feministischer Sprachkritik, will das ändern. Ihr seit Jahrzehnten verfolgtes Lebensziel ist es, die deutsche Sprache zu «entpatrifizieren».


Luise Pusch will den Leuten das Weibliche «intensiv in die Gehirne einimpfen». Das tut schon bei der Ankündigung weh. Allerdings spricht es für das Ästhetikgefühl der Linguistin, dass sie bei all ihrem Umgestaltungswillen den Anspruch auf eine bequeme Sprache hochhält. Sperrige Doppelnennungen sind ihr lästig. Der Leitfaden der Universität Zürich für eine gendergerechte Sprache geht noch einen Schritt weiter. Neben der Bequemlichkeit will er sogar der «grösstmöglichen Eleganz» der Sprache gerecht werden. Das sind hehre Absichten.

Die Eleganz verliert sich

Einfach ist das allerdings nicht; schliesslich hat das generische Maskulinum seine Logik und Funktion. Erst wenn es abgeschafft ist, wird klar, was verloren ist. Ein Satz wie «Die Frauen sind die besseren Autofahrer» wird der gendersensiblen Sprachkritik nicht standhalten. Eine Umformulierung zu «Frauen sind die besseren Autofahrerinnen und Autofahrer» hingegen ist absurd. Für ein bequemes, elegantes, stimmiges und gendersensibles Deutsch sind bessere Ideen gefragt.

Ideen produziert die Genderforschung haufenweise, auch angesichts der immer grösser werdenden Familie der Geschlechter. Wer glaubt denn heute noch, dass es nur Männer und Frauen gibt? Dank der Forschung ist die binäre Geschlechterordnung längst als bourgeoises Konstrukt entlarvt.

Damit sich bei der Frage «Wer wird der nächste Bundeskanzler?» alle angesprochen fühlen, empfiehlt Luise Pusch das Neutrum. So heisst es dann: «Wer wird das nächste Bundeskanzler?» Und für ein inklusiv-sprachliches Stelleninserat schlägt Pusch vor: «Gesucht wird ein katholisches Theologe, das sich in feministischer Theorie auskennt. Es darf auch verheiratet sein.»
Das Neutrum als Lösung

Nun ist gegen solche Sprachexperimente im Grundsatz nichts einzuwenden. Die Sprache ist in einer offenen Gesellschaft frei wie die anderen Künste auch. Problematisch wird es dann, wenn aus einer politischen Glaubenslehre eine staatlich geförderte Missionsbewegung wird; wenn diese von oben verordnet wird und alle Andersgläubigen umerziehen will. Dann hat die Sprache ihre Gestaltbarkeit verloren. Und dann ist auch das freie Denken dahin.

Dass sich ausgerechnet die Universitäten, jener angebliche Hort des freien Denkens, überdisziplinär als Nährmutter für das Gendern verwenden, ist insofern ironisch zu nennen. Das Gelübde der Universitäten, die vermeintlich gendergerechte Sprache zu fördern – und zu fordern –, lässt an der Existenz einer unabhängigen Forschung in diesem Bereich zweifeln. Kritische Fragen hört man insbesondere bei den Gleichstellungsstellen von Universitäten nicht gern; schon gar nicht, wenn sie von einer Frau kommen. Lieber arbeitet man an Sprachleitfäden, die man aus Quellen schöpft, die die eigenen Thesen stützen.

Ideologie an der Universität

Die Universitäten machen kein Hehl daraus, dass sie das Denken ihrer Schutzbefohlenen steuern wollen. Alte Bilder und Gewohnheiten sollen überwunden werden, nicht nur auf dem Papier, auch in den Köpfen, schreibt Vizerektorin Doris Wastl-Walter in ihrem Vorwort zum brandneuen, 44 Seiten starken Sprachleitfaden der Universität Bern. Es sind 44 Seiten Belehrung über das richtige Denken und Abbilden. Von der Doppelnennung über das Binnen-I und den Schrägstrich bis hin zum Unterstrich und dem Gender-Stern gibt es alles. Nur eines ist pfui: das generische Maskulinum.

Ideologische Anleitung hat an einer Universität nichts verloren. Dass sie im Genderbereich trotzdem fast widerspruchslos praktiziert und gefördert wird, zeigt den Grad der Verzagtheit, der sich gegenüber dem Diktat der politischen Korrektheit eingestellt hat. Wer sich wehrt, gilt als reaktionär, also ist man lieber still. So werden aus vermeintlich «freiwilligen» Sprachempfehlungen handfeste Sprech- und Denkverbote. Genauso funktioniert genormte Sprache, genauso funktioniert Soft Power.

Manchen ist dieser «sanfte» Druck aber nicht genug. Christa Binswanger, Dozentin an der Universität St. Gallen und geschätzte Expertin für Genderfragen im Schweizer Radio und Fernsehen SRF, sagt in einem Plädoyer ganz unverblümt: «Bei mir ist die gendergerechte Sprache ein Beurteilungskriterium.» Das betreffe auch Bachelor- und Masterarbeiten. Das heisst mit anderen Worten: Dozentin Binswanger verteilt Gesinnungsnoten – und das ausgerechnet unter dem Titel der Antidiskriminierung.

Gesinnung statt Gehalt

Vom Kollektivdenken abweichende Meinungen haben es an den Universitäten nicht nur beim Gendern schwer. Linksaktivistische Antidemokraten können erfolgreich die Auftritte «neoliberaler Akteure» wie der IWF-Chefin Christine Lagarde an der Universität Zürich stören oder im Falle des ehemaligen CIA-Chefs David Petraeus an der ETH Zürich sogar vereiteln. Und wenn eine Grossbank in universitäre Lehrstühle investiert, folgen besorgte «Appelle». Plötzlich fürchtet man um die «wissenschaftliche Unabhängigkeit».

Beim Diktat der politischen Korrektheit ist das offenbar nicht so. «Unser Sprachleitfaden erfreut sich grosser Beliebtheit», beteuert Christiane Löwe, Leiterin der Gleichstellungsstelle an der Universität Zürich. Doch wie stellt sie die Beliebtheit eines solchen Objektes fest? Das Dokument, das seit 2006 die Sprache der Universitätsangehörigen regelt und sich in Überarbeitung befindet, werde häufig angeklickt, meint Löwe. Das sagt nun aber gar nichts über die Beliebtheit aus, denn wer das Dokument anklickt und warum und was man davon hält, ist unbekannt.

Aussagekräftiger in anderer Hinsicht sind die Literaturangaben in den Sprachleitfäden. Sie zeigen, wes Geistes Kind das universitäre Gendern ist. So stützt sich die Universität Bern neben Luise Pusch, der auch die Universität Zürich die Reverenz erweist, unter anderem auf die Publikation «W_Ortungen statt Tatenlosigkeit» der «AG feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin». Diese Publikation liest sich wie der Kodex eines Geheimbundes, verständlich nur für Eingeweihte und auch für diese eine Qual.
Diskriminierung und Absurdität

Dort heisst es: «So ist es beispielsweise eine diskriminierende Norm, dass ich als ableisierte [von eng. able, fähig. Anm. der Red.], d. h. nicht beHinderte Dozen_tin, in einem Gespräch mit einer studentischen Arbeitsgruppe auf eine bestimmte Stud_entin hinweise und mich dabei nicht auf ihre inhaltlichen Beiträge beziehe, sondern auf ihr_e Kommunikationsform – beispielsweise Gebärdensprache – als sie charakterisierendes Kriterium, weil ich mich bislang noch nicht mit dieser Diskriminierungsform beschäftigt habe.» Man darf gespannt sein, ob diese Quelle auch Ideen für den neuen Sprachleitfaden der Universität Zürich liefert, der sich doch der grösstmöglichen Eleganz verpflichtet hat.

An den skurrilen «W_Ortungen» hat Lann Hornscheidt mitgearbeitet. Hornscheidt, bis vor einem guten Jahr noch Professor an der Humboldt-Universität, fühlt sich weder als Frau noch als Mann, lebt auch nicht als das eine oder andere und möchte, wie auf der Website der Universität nachzulesen ist, respektvoll, aber nicht «zweigendernd» angesprochen werden. Also nicht mit «Liebe» oder «Lieber», schon gar nicht als «Herr» oder «Frau». Kreative antidiskriminierende Ideen sind willkommen, aber Obacht, das Feld ist voller Tretminen.

Wie einfach war die Welt noch 1980, als die Bibliothekarin Gerda Rechenberg vor Gericht trat, um ihre Arbeitgeberin, die Stadt Harzburg, dazu verurteilen zu lassen, in Korrespondenz und Gespräch die Anrede «Frau» durch «Dame» zu ersetzen. Dame Rechenberg blieb erfolglos. Die Richter fanden, eine Änderung des Sprachgebrauchs könne nicht gerichtlich erwirkt werden. Ob das in unseren Zeiten immer noch so klar ist, ist zu bezweifeln.

Die Männer bleiben fern

Wenn heute Sätze fallen wie «Nur 20 Prozent der Managerinnen sind Frauen» oder wenn sich die Dudenredaktion mit der Wendung «Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder» befassen muss, sagt dies weniger aus über Gerechtigkeit als vielmehr über die Wirkungsweise der permanenten Gehirnimpfung. Irgendwann und manchenorts schaltet sie das Denken ab. Ob das ausgerechnet eine Universität fördern soll?

Tröstlich ist's immerhin, dass im Universitätsalltag bisher eine gesunde Immunität gegen solche geistige Übernahmetendenzen vorhanden zu sein scheint. Vorlesungen in Hornscheidtschem Neusprech sind kaum denkbar, es sei denn als Kunstprojekt. Auf den Gleichstellungsabteilungen der Universitäten arbeiten fast nur Frauen; es wollen sich einfach kaum Männer bewerben.

Als beim regelmässig stattfindenden Alumnae-Lunch an der Universität Zürich kürzlich die linke Historikerin Elisabeth Joris – übrigens gänzlich ungestört – ihre Thesen zum Feminismus darlegte, hätten auch Männer teilnehmen können. Aber es kam kein einziger, und zwar zum ersten Mal. Könnte es sein, dass die penetrante Inklusionspolitik zum Gegenteil des Beabsichtigten geführt hat?

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