von Thomas Heck...
Ein neues Phänomen erfasst Berlin: Brandstiftung von Rechten an Autos von SPD-nahen Aktivisten. Bei den tausenden Autos, die in den vergangenen Jahren abgefackelt wurden, schien es sich eher um spontane Selbstentzündung gehandelt zu haben. Merkwürdig. Liest man den Artikel in der B.Z. könnte man meinen, es wird von einer anderen Stadt gesprochen.
In Britz wurde das Auto einer Flüchtlingshelferin angezündet. Ein rechtsextremer Hintergrund wird vermutet. Mittlerweile keine Seltenheit mehr in Neukölln.
Schon wieder ein Brandanschlag in Neukölln, schon wieder traf es das Auto einer SPD-nahen Aktivistin, schon wieder stehlen sich die Brandstifter im Schutz der Dunkelheit davon. In der Nacht auf Mittwoch haben mutmaßlich rechtsextreme Täter das Auto der Flüchtlingshelferin Nina R. (41) angezündet. Nina R. heißt eigentlich anders, möchte ihren Namen aus Vorsicht aber lieber nicht in der Zeitung lesen.
„Ich arbeite politisch engagiert, aber eigentlich im Hintergrund“, sagt sie. Und doch machten Brandstifter ihre Privatadresse aus. Denn genau dort, im Britzer Hufeisenviertel, Straße Hanne Nüte, stand das Auto der Ehefrau und Mutter.
„In der Nacht hörten wir auf einmal ein Knallen, da muss das Auto angezündet worden sein“, sagt sie zur B.Z. Als Nina R. nachsah, waren die Täter längst verschwunden. Nachbarn hatten die Polizei gegen 2.10 Uhr alarmiert, der Mercedes Sprinter brannte komplett aus.
Nina R. ein typisches Opfer von Rechtsextremisten
Nina R. ist durch ihr Engagement das typische Opfer von Neuköllner Rechtsextremisten. Sie setzt sich für Flüchtlinge und gegen Rechtsextremismus ein, ihre beiden Söhne (10 und 11) sind Mitglieder der SPD-Jugendorganisation Falken Neukölln. „Dieser Anschlag passt in eine Serie rein. Menschen, die sich wie ich engagieren, werden bedroht“, sagt R. Ihre Freundin Mirjam Blumenthal, Neuköllner SPD-Politikerin und Gruppenleiterin bei den Falken, wurde im Januar Opfer eines Brandanschlags. Auch in diesem Fall brannten die Täter das vor der Privatadresse im Hufeisenviertel geparkte Auto an.
Im Oktober hatte der Wagen der Geschäftsführerin des Anton-Schmaus-Hauses der Falken Neukölln in Rudow gebrannt. In allen Fällen übernahm der für politisch motivierte Kriminalität zuständige Staatsschutz des Landeskriminalamtes die Ermittlungen.
Neben Neuköllnern aus dem SPD-Umfeld werden auch Buchläden, Cafés oder Privatpersonen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, zu Zielscheiben rechten Hasses. Mal werden Autos abgebrannt, mal Scheiben eingeschlagen, mal der volle Name einer Person mit dem Zusatz „rote Sau“ auf eine Hauswand gesprayt.
Es geht wie so oft um die Abgrenzung des Wir von den anderen. Wer gegen rechts ist, gehört zu den anderen. Zu den Feinden. Wer genau dieses gewaltbereite Wir ist? In einer Anfrage der Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader von der Linken an den Senat (liegt der B.Z. vor) heißt es: „Wenn die Urheber der Straftaten ermittelt werden konnten, die von Sachbeschädigungen über Brandanschläge bis hin zu Körperverletzungen reichten, handelte es sich nahezu ausschließlich um regional organisierte Rechtsextremisten, die entweder dem ‚Netzwerk Freie Kräfte’ oder dem NPD-Kreisverband Neukölln angehörten.“
Ein gut verknüpftes Neonazi-Netzwerk
Nach Erkenntnissen des Senats besteht das Netzwerk „aus einer maximal unteren zweistelligen Anzahl von Personen“, die sehr gut vernetzt seien. Im August hatte die Neonazi-Gruppe Freie Kräfte auf Facebook eine Karte mit dem Titel „Neukölln wehrt sich gegen Linksextremisten“ veröffentlicht.
Aufgelistet waren Personen, Parteibüros, Cafés und Läden samt Adressen. Die Seite ist inzwischen gesperrt, die Gewalt von der digitalen Welt auf die Neuköllner Realität übertragen. Viele der gelisteten Menschen, Läden, Parteibüros wurden seit letztem Sommer Opfer von Anschlägen. Auffällig ist, dass rechtsextreme Aktivitäten in Neukölln wieder zunehmen, seit der stadtbekannte Neonazi Sebastian Thom (30) aus dem Gefängnis entlassen wurde. Mehr als 80 rechtsextreme Straftaten wurden in Neukölln seit letztem Sommer begangen, alle trafen politisch Engagierte.
Nach Recherchen der B.Z. kam der frühere Vorsitzende der NPD Neukölln, Sebastian Thom, im Mai 2016 aus dem Gefängnis. Vor Gericht stand er unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Auf eine Anfrage der B.Z. bezüglich der Neuköllner Anschlagsserie reagierte er nicht. In der Antwort des Senats auf die Anfrage heißt es: „Ein zumindest ehemaliger Protagonist dieses Kreisverbandes [Freie Kräfte] ist der Polizei Berlin auch durch Straftaten, u.a. durch Straftaten der PMK [Politisch motivierte Kriminalität] – rechts, bekannt.“
Nicht nur allein sondern auch gemeinsam mit Sebastian Schmidtke (31), bis vor kurzem Landeschef der NPD Berlin, saß Thom schon auf der Anklagebank. Man warf den Parteifunktionären vor, rechte Hetz-CDs auf Schulhöfen verteilt zu haben. Schmidtke gilt seit Jahren als Bindeglied zwischen seiner Partei und den Autonomen Freien Kräften, deren Aktionsraum vor allem die Straße ist.
Rechtsextremismus in Neukölln kein neues Phänomen
Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) beschäftigt sich seit Längerem mit rechten Strukturen in Neukölln. Der B.Z. sagte er: „Früher nannten sich diese jungen Neonazi-Gruppierungen Kameradschaften, später Autonome Nationalisten, heute bezeichnen sie sich mitunter als Freie Kräfte.“ Dass ausgerechnet das SPD-regierte Neukölln zu einem Brennpunkt rechter Gewalt wird, mag auf den ersten Blick überraschen.
Matthias Müller von der MBR betont allerdings, dass Rechtsextremismus in Neukölln keinesfalls ein neues Phänomen sei. Auch in der Antwort des Senats heißt es: „Neukölln ist seit vielen Jahren der am stärksten mit rechtsextremistischen Aktivitäten und Straftaten belastete Bezirk im Westteil Berlins.“ Der überwiegende Teil der Straftaten ereigne sich im Süden Neuköllns, vor allem in Rudow und Britz.
Bekannt scheint das Problem dem Senat, der Polizei und anderen Sachverständigen durchaus zu sein. Doch ein bekanntes Phänomen ist noch lange kein besiegtes Phänomen. Was gegen rechte Gewalt in Neukölln getan werden kann.
Mirjam Blumentahl von der SPD Neukölln sagte nach dem Anschlag auf ihr Auto: „Wir werden den Kampf gegen Rechtsextremismus noch verstärken. Gegen die Feinde der Demokratie helfen keine Sonntagsreden, sondern nur das aktive Handeln von Demokraten und des Staates, vor allem durch Bildung, Förderung von demokratischer Jugendarbeit sowie die intensive Bekämpfung dieser Verbrecher durch Polizei und Justiz.“ Die MBR rät Opfern von rechter Gewalt dazu, sich zu vernetzen und mit ihrem sozialen Umfeld über die Bedrohung zu sprechen.
Aus der Antwort des Senats auf die Anfrage der linken Abgeordneten geht hervor, dass der Staatsschutz des LKA am 25. Januar 2017 die Ermittlungsgruppe RESIN (Rechte Straftaten in Neukölln) gegründet hat. Sie soll die Straftaten nicht nur aufklären sondern auch die Ursachen rechter Gewalt in Neukölln ermitteln. Damit der Stadtteil sein rechtes Problem endlich nicht mehr nur kennen muss, sondern auch verbannen kann. Damit es seinem Image als weltoffener Multi-Kulti-Stadtteil endlich gerecht werden kann, statt nur den Anschein zu wahren.
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