von Dr. Eran Yardeni
Was normal tickende Bürger plötzlich dazu treibt, ihr eigenes Wohl aufs Spiel zu setzen und Superman-artig Zivilcourage zu zeigen, war mir seit eh und je ein unerklärliches Rätsel. Dieses mysteriöse Verhalten betrachte ich bestenfalls als infantil und bescheuert, schlimmstenfalls als Suizidversuch im Mantel der Nächstenliebe.
Die folgende Geschichte, veröffentlicht auf Spiegel-Online, zeigt nicht nur, dass ich Recht habe, sondern auch dass ich mit meiner Meinung nicht allein stehe.
2012 suchte ein Maschinenbauunternehmen Kandidaten für den Job eines technischen Verkäufers. Mit dieser Aufgabe wurde ein Personalberater beauftragt. Nachdem der Berater die Unterlagen einer bestimmten Kandidatin an die Firma geschickt hatte, war er völlig überrascht und empört zu erfahren, dass die Firma „keine Frau für die Position“ wolle. Dieses Argument war nicht nur diskriminierend, es verstieß auch gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Jetzt hatte unser Held zwei Möglichkeiten. Nach dem Vertrag zum Stillschweigen verpflichtet, könnte er einfach den Mund halten, wie jeder vernünftige Mensch, der das deutsche Justizsystem kennt, oder seinem Gewissen folgen, nämlich diese Information an die Kandidatin weiterzuleiten.
Der Berater, dummerweise davon ausgehend, dass er in einem Rechtsstaat lebt, hat sich für die zweite Alternative entschieden.
Mit dieser Information ausgerüstet hat die Kandidatin von der Firma Schadenersatz gefordert und auch bekommen – insgesamt 8.500 EUR.
Damit ist aber diese Geschichte noch längst nicht vorbei, denn jetzt ist die Firma dran. Diese verklagte den Berater, weil er mit seiner gut gemeinten Aktion die Verschwiegenheitsverpflichtung verletzt hatte. Sie will von ihm 11.500 EUR.
Und was sagt das Oberlandesgericht in Frankfurt dazu? Das folgende Zitat stammt aus seiner Pressemitteilung vom 9.5.2014:
Mit einem gestern verkündeten Urteil hat das Oberlandesgericht (OLG) einen Personalberater zu Schadenersatz verurteilt, weil er einer abgelehnten Bewerberin mitteilte, dass sein Auftraggeber sie als Frau nicht einstellen wollte (…) Zur Begründung führt es aus, der Beklagte sei schadenersatzpflichtig, weil er seine vertraglichen Verschwiegenheits- und Treuepflichten gegenüber der Klägerin verletzt habe.
Es liege auf der Hand, dass den Beklagten aus der Natur des Vertrages heraus, die Pflicht traf, über die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit bekannt werdenden Informationen Stillschweigen zu bewahren. Dies umso mehr, als der Beklagte im Vorfeld - auf einem von ihm in Umlauf gebrachten Flyer - mit seiner strikten Diskretion geworben hatte. Diese Verschwiegenheits- und Treuepflicht habe der Beklagte verletzt, indem er der abgelehnten Bewerberin die Gründe für die Absage mitgeteilt und auf einen Verstoß gegen das AGG hingewiesen habe.
Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, zur Weitergabe dieser Gründe berechtigt gewesen zu sein. Zwar werde im Arbeitsrecht die Erstattung einer Strafanzeige des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber als zulässig erachtet. Der Beklagte habe allerdings keine Strafanzeige wegen einer möglichen Straftat der Klägerin erstattet, sondern der Bewerberin einen Verstoß gegen das AGG mitgeteilt. Ein solcher Verstoß stelle nach dem Willen des Gesetzgebers keine Straftat dar, sondern führe lediglich zu einem zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch des Betroffenen. Gehe es allein um einen zivilrechtlichen Sachverhalt, könne sich der Beklagte auch nicht darauf berufen, im Interesse der Allgemeinheit gehandelt zu haben.
Was ist daraus zu lernen? Erstens: Seien Sie bitte nicht doof und zeigen Sie niemals und unter keinen Umständen Zivilcourage, weil Sie niemals wissen können, gegen welche Paragraphen Sie damit verstoßen. In unserem Fall beging der ahnungslose Berater den Fehler, dass er anstatt selbst Anzeige zu erstatten, sich mit dem Weiterleiten der Information an die Kandidatin begnügte.
Zweitens: Vergessen Sie, was Ihnen in der Schule erzählt wurde: Der kategorische Imperativ ist der Anwalt, nur dem sollen Sie gehorchen! Handle so, dass der Anwalt über Ihr Handeln nicht meckern kann.
Drittens: Vertrag ist Vertrag, Versprechen ist Versprechen, sie sind beide heilig und dürfen auf gar keinen Fall auf dem Altar der Moral geopfert werden. Und erzählen Sie mir bitte nicht, dass ein solches Motto auch das Leitmotiv eines Propagandisten in einem Unrechtsstaat sein könnte.
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